Wie hat die DDR jene geprägt, die heute Großeltern sind? Unsere Autorin ist zurück nach Geithain gereist, wo sich Opa Hubertus und Oma Christel vor der Welt einigeln.
Mein Opa war einmal in Namibia. Das war vor 16 Jahren. Seitdem sitzt er oft im Keller und malt Elefanten. Aber nicht die indischen, die haben keine Ohren, sagt er. Opa mag die freiheitsliebenden afrikanischen Elefanten mit den großen Ohren; die, die dir so eine Angst einjagen, wenn sie vor dir stehen mit ihren 70 Zentnern.
Das war das letzte Mal, dass mein Opa Hubertus Mau, Sohn einer Hausfrau und eines Elektrikers, geboren am 22. Januar 1936 in Spremberg in der Niederlausitz, seit 1975 wohnhaft in der sächsischen Kleinstadt Geithain im Blumenweg, so weit auf Reisen war. Natürlich zusammen mit seiner Frau Christel Mau, geborene Kohlmann. Das Leben der beiden war schön - viele Jahrzehnte lang. In den zahlreichen Fotoalben kann das jeder nachsehen.
Es ist ein Spätnachmittag, ein Samstag. Ich bin gerade mit dem Zug am Geithainer Bahnhof angekommen. Durch die Straßen laufe ich - vorbei am Tierpark, wo wir früher die Rehe gefüttert haben, vorbei an der Sparkasse mit dem Holzschaukelpferd in der Lobby, über den kleinen Fluss Eula, in den wir Kinder gespuckt haben - bis zum Blumenweg. Ich gehe hinten rein, so wie immer. Weil ich zur Familie gehöre, und die Familie muss nicht klingeln.
"Sitzen Sie vor Ihrem Kaffeevollautomaten?", fragt eine Frauenstimme durch den Lautsprecher des Telefons. "Im Moment nicht", antwortet Opa. "Wo sind Sie denn?" - "Gerade bin ich am Telefon!" - "Nehmen Sie doch bitte Ihr Telefon, und setzen sich vor Ihren Kaffeevollautomaten, dann lösen wir gemeinsam das Problem. Das rote Lämpchen leuchtet bald wieder grün für Sie, Herr Mau, versprochen!"
Alle Menschen sind Menschen, die demnächst losmüssen. Nur Oma und Opa nicht. Oma begrüßt mich, wie sie mich immer begrüßt: dicke Umarmung, die aufzuholen versucht, was wir an gemeinsamer Zeit versäumt haben. Der Abreißkalender hängt in der Küche neben dem Puddingfisch, zeigt den aktuellen Tag. Wenn man Rentner ist, vergisst man oft, welcher Tag gerade ist. Die Tage in Geithain ähneln sich.
Um sechs gibt es Abendbrot, weil es um sechs immer Abendbrot gab und Opa um halb sieben aufbricht: von der Küche ins Wohnzimmer. Dann beginnt sein Fernsehabend, mit einem oder zwei Feldschlösschen. Und damit sein Kopf nicht so hart an der Wand lehnt, sondern es gemütlich hat, legt sich Opa ein Kissen in den Nacken, das mit einem Handtuch umwickelt ist, weil Opa oft schwitzt. Auf RTL läuft Exclusiv - Das Starmagazin, um 18.45 Uhr folgt RTL aktuell, die Nachrichten, um 19 Uhr schaltet er um auf die Zwei. Danach schaut er, bis der Spielfilm anfängt, abwechselnd Galileo auf ProSieben und, wenn da Werbung kommt, Das Erste. Seine Lieblingsmoderatoren sind Ingo Zamperoni und Marietta Slomka, aber am allerliebsten hat er Caren Miosga.Oma Christel räumt derweil noch ein bisschen "zsamm", Teller in die Spülmaschine. Manchmal hat sie schon einen fallen lassen, weil ihre Hände zittern und sie oft im ganzen Körper Schmerzen hat. Dann läuft Hubertus vom Wohnzimmer in die Küche und schimpft: Mensch, Mami! Weil sie sich so nennen, wie ihre zwei Töchter ihre Eltern genannt haben, bis sie ausgezogen sind. Als ich ein Teenager war, hat Oma gesagt: Ach, Sophie, guck mal, wie meine Hand schon wieder zittert. Und ich habe gesagt, dann hör doch einfach auf damit. Aber Oma kann nicht aufhören. Ihre linke Hand wackelt wie der Kopf eines Wackeldackels auf dem Armaturenbrett bei holpriger Strecke. Nachdem Oma ihren Posteingang auf Web.de überprüft und geguckt hat, ob ihre Enkelinnen ein neues Foto bei Facebook reingestellt haben, kommt auch sie rüber in die gute Stube. Hubertus hilft ihr, ihre Beine hochzulegen, wickelt eine Decke drum. Christel friert oft, auch im Sommer. Dann sitzen beide auf dem Sofa. Wenn Samstag ist, schenkt Opa Sekt aus, denn bei Maus gibt es jeden Samstag Sekt. Und zum Mittagessen Nudeln. Das war schon so, als ihre Tochter Kristina, meine Mama, zur Schule ging.
Die Elefanten, die Opa in seinem Keller malt, sehen ihm verblüffend ähnlich. Dicke Haut und große Ohren. Und er erinnert sich, wie ein Elefant, an alles.
Als sie sich wiedersehen, trägt Christel einen engen, braunen Pullover. An diesen Moment erinnert sich Opa genau. Denn der Pulli, sagt er, sei superscharf gewesen. Christel war eines der Mädchen in der Landwirtschaftslehre, die den Hopfen ernteten auf dem volkseigenen Gut in Apolda. Hubertus war einer der Studenten, die im Schweinestall arbeiten sollten, bevor sie in Jena weiter Landwirtschaft studierten. In Apolda hatten sie sich damals schon geneckt, auf dem Kartoffelfeld, beim Tränken der Kälbchen. Sie besprachen den Sternenhimmel unterm Zwillingsahornbaum am Schötener Grund, tanzten von der Geisternacht im Lehrlingswohnheim bis nach Utenbach in Christels Bett, wo Hubertus ihr die Füße wärmte. Dann verloren sie sich aus den Augen. Wahrscheinlich hat der wohlgeformte braune Pullover ein paar Jahre später große Schuld daran, dass Christel und Hubertus Mau im Oktober 1966 heiraten.
Das Ehepaar Mau zieht nach Geithain, südlich von Leipzig. Geithain hat eine Einkaufsmeile mit Fleischern und Bäckern und einem Möbelladen. Außerdem gibt es das Emaillierwerk, in dem die Geithainer Töpfe hergestellt werden, mit denen man in ganz Europa kocht. Nur der Wohnraum ist knapp, wie überall, doch das junge Paar hat Glück und findet eine kleine Wohnung. Das Plumpsklo liegt zwar über den Hof, die Dielen sind morsch, der Anstrich verschlissen, aber sie haben ja einander. Christel findet eine Stelle als Ausbilderin in der Landwirtschaftsschule, Hubertus ist da schon Betriebsleiter der Meliorationsgenossenschaft in Tautenhain.
Wiener Boden mit Pfirsichstücken und ButtercremeMeliorare ist lateinisch und bedeutet "verbessern". Seine Aufgabe: Äcker fruchtbarer machen. Ist der Boden zu feucht, bauen seine Arbeiter Drainagen ein, ist er zu trocken, bewässern sie ihn. Es ist nicht Hubertus' Betrieb, natürlich nicht. Aber es fühlt sich so an. Weil es seine Ideen sind. Weil sie erfinderisch sind. Einmal kauft er eine russische Planierraupe T100 und einen Traktorenanhänger, beide lässt er mit Ersatzteilen zusammenflicken, fertig ist der Lastwagen.
Hubertus steigert den Umsatz des Meliorationsbetriebs von einem Jahr zum anderen. Er lässt eine Werkstatt bauen, Garagen, Lagerräume und schöne Büroräume. In der DDR gibt es keine Arbeitslosen, jeder, der arbeiten kann, wird einem Betrieb zugeteilt. Er beschäftigt Maurer, Zimmerleute, einen Bäcker und zwei Köche, einen Kraftfahrer, einen Industriearbeiter. Die haben alle keinen Schimmer von Melioration. Aber Hubertus schickt sie zu Schulungen. Der Konditor wird der beste Kranfahrer des Betriebs.
Am 30. Dezember 1967, einem Samstag, setzen bei Christel die Wehen ein. Hubertus läuft zum nächsten Nachbarn mit Telefonanschluss und ruft den Krankenwagen. Das Baby ist 2.900 Gramm schwer. Zur Begrüßung der kleinen Kristina backt Hubertus die Lieblingstorte der Familie Mau: Wiener Boden mit Pfirsichstücken und Buttercreme.
Bald kommt ihre zweite Tochter Karen auf die Welt. Danach machen sie den ersten Spatenstich für ihr Haus, 23 Pfennig pro Quadratmeter kostet das Grundstück. Nun sind sie eine richtige Familie.
Im Meliorationsbetrieb wird viel gefeiert. Der Frauentag, das Betriebsfest am Ende des Jahres, die Betriebsversammlungen. Einmal im Monat treffen sich die Frauen nach Feierabend, Christel ist eine von ihnen, Hubertus hat ihr in der Verwaltung des Betriebs eine Stelle freigemacht. Die Frauen stopfen Socken und reparieren Kragen, machen dabei ein paar Flaschen Bier und Wein nieder. Zu den Betriebsversammlungen geht die Belegschaft in den Gasthof Lindenvorwerk nach Kohren. Vorher liest Hubertus die aktuelle Ausgabe vom Neuen Deutschland diagonal, um sich schnell zu informieren, was gesagt werden darf und was nicht. Es wird gegessen und getrunken, anschließend wird die Belegschaft auf die Bühne geholt. Sie dichten Schlagertitel um, tanzen und führen Sketche auf. Und alle singen: "Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt." Sie würden ja gern mehr arbeiten. Wenn sie Maschinen hätten, die anspringen würden.
Manche im Betrieb sagen, Hubertus sei zu weich als Chef. Nach außen muss er die vorgeschriebenen Planaufgaben so hinbiegen, dass sie erfüllbar sind. Nach innen muss er versuchen, seine Leute, trotz der Unsinnigkeit mancher Aufgaben, zu motivieren. Die achtziger Jahre brechen an, der Sozialismus gerät in Schwierigkeiten. Tochter Kristina macht ihr Abitur, will eine Fotografenlehre beginnen. Im Aufnahmegespräch wird sie nach Westverwandtschaft gefragt, Onkel Paul aus Stuttgart wird ihr zum Verhängnis. Ein Glück, dass Hubertus noch Vitamin B zur Ausbildungsstätte für Meliorationsingenieure hat. Das nächste Aufnahmegespräch verläuft positiv, Kristina kann in Fürstenwalde Wasser- und Wegebau studieren. Im Seminarraum sitzt neben ihr ein langer Typ namens Thomas, mein Vater, der ständig Füchse und Schakale zeichnet, verbotene Schallplatten tauscht und im Staatsbürgerkundeunterricht nicht um Thälmann trauern will. Er will keinen besseren Sozialismus, er will gar keinen Sozialismus.
Der 6. Oktober 1989. Kristina und Thomas wollen abhauen in den Westen. Noch ist die Grenze nicht offen. Aber über Ungarn fliehen täglich Heerscharen von DDR-Bürgern. In der Nacht vor ihrer Abreise weinen Kristina und ihre Mutter Christel viel, Hubertus schweigt. Er hat Angst. Um seine Tochter und seinen Posten als Betriebsleiter.
13 Uhr, Dresdens Hauptbahnhof wimmelt von Stasi. Thomas und Kristina verabschieden sich von ihren Eltern, wie man sich verabschiedet, wenn man glaubt, sich 25 Jahre nicht wiederzusehen. Kristina schluckt eine Beruhigungstablette, Thomas trinkt Schnäpse. Zur Tarnung haben sie im Koffer einen Geithainer Emailletopf, als Geschenk - weil sie offiziell zur Hochzeit der Brieffreundin nach Bulgarien fahren. 15 Stunden dauert die Fahrt bis Budapest. In den Achterabteilen sitzen sich die Reisenden gegenüber, erzählen von Bulgarien. Kurz vor Budapest packen alle ihr Zeug zusammen. Niemand wollte in Bulgarien Urlaub machen.
Ein Schwarztaxi bringt Kristina und Thomas bis vor die österreichische Grenze. Sie gehen die letzten 200 Meter zu Fuß bis zum Grenzübergang in Nickelsdorf. Das mulmige Gefühl bleibt, die Angst, erschossen oder festgenommen und zurückgebracht zu werden. So unerreichbar scheint die Freiheit, als sie nur noch wenige Meter zu gehen haben.
Sie geben ihre Pässe beim österreichischen Grenzer ab. "Seid ihr DDR?", fragt er. "Na, dann kommt mal herein." Am nächsten Tag, am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, machen meine Eltern eine Stadtrundfahrt durch Wien.
Der neuen Welt nicht gewachsenZwei Tage später liegt eine Postkarte im Briefkasten in Geithain. "Wir sind durch!" Es folgen Anrufe und Briefe. Hubertus findet, das sind die schönsten Briefe, die er je von seiner Tochter bekommen hat. So froh über die Flucht und die neue Arbeit bei einer Baufirma in Sindelfingen. Ihre Ingenieursausbildung wird dort belächelt, die Erdarbeiten, denen sie ihr ganzes Studium gewidmet hatten, macht das westdeutsche Unternehmen mit seinen Großmaschinen so nebenbei. Dass man Thomas und Kristina einstellt, passiert mehr aus Neugierde: Das, was in der Zeitung steht, gibt's ja in echt, echte Ossis, die nie eine Kiwi gegessen, an einem Computer gesessen haben.
Einen Monat später, am 9. November 1989, fällt die Mauer. Hubertus und Christel setzen sich in Geithain in ihren Wartburg und fahren bis an die Grenze, nur um mal zu gucken. Doch dann fahren sie einfach weiter. Christel will zu ihrer Tochter nach Tübingen. Hubertus schimpft, er habe den Zweitakter nicht vollgetankt. Sie staunen über die frisch gestrichenen Fassaden der Häuser, Christel findet, das Gras wirke viel grüner. Auf den Straßen hupen und winken die Menschen, und dann halten Christel und Hubertus vor der Baracke in der Sindelfinger Straße, in der Kristina und Thomas zusammen mit zwölf Italienern leben. Kristina kocht gerade Spaghetti, lässt alles fallen, rennt wie irre auf ihre Eltern zu. Das ist die schönste Wiedervereinigung für die Familie Mau. Hubertus und Christel spucken in den Neckar und lassen sich die Großbaustellen der Firma zeigen, in der Kristina und Thomas arbeiten. Staunen über die Maschinen. In diesem Moment, voll Euphorie über die neuen Möglichkeiten, die er nie gehabt hatte, wächst in Hubertus eine Idee.
Ein halbes Jahr später empfangen Hubertus und Christel die Geschäftsleitung der Sindelfinger Baufirma in Geithain wie gute Freunde, servieren Rotkäppchen, zeigen ihren Garten. Die Verhandlungen beginnen: Das Unternehmen soll Hubertus' Betrieb übernehmen. Hubertus freut sich wie ein Kind, das Unternehmen kommt mit Anwälten und Kaufverträgen. Das Land, auf dem der Betrieb von Hubertus Mau steht, gehört bald der Firma aus Sindelfingen, mit Maschinen, Belegschaft, Gebäude. Die alten Maschinen werden weitgehend verkauft, die Rechenmaschine mit der Kurbel nehmen die neuen Besitzer mit in den Westen. Ins Museum. Hubertus wird als Betriebsleiter eingestellt, ein zweiter Betriebsleiter wird aus Sindelfingen eingeflogen, ihm für die Niederlassung Ost vor die Nase gesetzt. Ein Weinkenner mit teuren Lederschuhen.
Plötzlich dreht sich die Erde schneller. Hubertus merkt, dass er dieser neuen Welt nicht gewachsen ist. An manchen Tagen schließt er sich in seinem Büro ein. Wie gern hätte er wieder Ersatzteile organisiert für kaputte Maschinen, angestanden für Mandarinen, Betriebsleiterreden gehalten.
Im Juni 1991 wird Hubertus nach Sindelfingen bestellt. Im Büro des Juniorchefs, so erinnert sich Hubertus, hängt das Bild, das er der Geschäftsleitung geschenkt hatte: Öl auf Leinwand, eine Baustelle der Firma im Osten. Das Gemälde sollte eine gemeinsame Zukunft beschwören. Nun hört er: Man könne sich keine zwei Betriebsleiter in der Niederlassung Ost leisten. So kommt es, dass Hubertus Mau im Alter von 54 Jahren in den Ruhestand geschickt wird. Zweimal versucht er noch Fuß zu fassen auf dem Arbeitsmarkt, einmal als Vertreter für Baumaschinen, dann als Teilhaber einer Parkettfirma. Fast hätte er dabei alle Ersparnisse verloren.
Christel ist noch zehn weitere Jahre in der Verwaltung der Niederlassung beschäftigt und fährt jeden Tag zur Arbeit. Sie hat es nicht leicht als Frau des ehemaligen Chefs. Arbeitsplätze sind im Osten knapp in dieser Zeit, Christel sagt, sie sei zum Spielball von Intrigen geworden. Irgendwann folgt auch ihre Entlassung, wegen Geldmangels. Wenig später fängt eine neue Mitarbeiterin aus dem Westen und Christels linke Hand zu zittern an.
Seitdem halten Oma und Opa sich versteckt vor der Welt da draußen, auf ihrem Grundstück, zwischen Goldruten, Perückensträuchern, einer Vogelbeere, einem Apfelbaum, dem Opa eine eigenwillig runde Schnittführung verpasst hat, zwischen Kletterhortensien, Buchsbäumen, Lavendel, fünf Hochbeeten mit Aubergine, Gurke, Pflücksalat, Lorbeer, Fenchel, Tomatensorten wie Ochsenherz, Hamlet, Roter Russe und Grünes Zebra.
Inmitten der wilden Blumenabteilung steht ein Holzhäuschen. Und eine dicke Hummel fliegt träge vom Essigbaum zum Brombeerstrauch. Im Herbst wächst Wein am Haus. Opa macht aus den Trauben Chutney und Gelee. In der Arche Noah von Geithain gibt es nur die vier Jahreszeiten.
Opa ist jetzt 81 und zu Hause Betriebsleiter. Er legt Hochbeete an und Oma die Thrombosestrümpfe und nimmt Karpfen aus in allen Monaten mit "r". Einmal im Monat geht er zur Chorprobe und montags zu Aldi. Er steht um sieben Uhr auf, weil ein Betriebsleiter früh rausmuss. Dann frühstückt er, liest die Leipziger Volkszeitung von vorn bis hinten, löst das Kreuzworträtsel, setzt sich zu seiner Frau, die gegen halb neun frühstückt, und bereitet danach das Mittagessen vor. Sein Feinrippunterhemd hat Flecken, aber es sieht ja keiner. Die beiden haben getrennte Schlafzimmer, weil Oma in der Nacht oft nicht schlafen kann wegen der Nebenwirkungen der Tabletten, und Opa schnarcht wie ein angeschossenes Wildschwein. Manchmal träumt er, dass er noch Betriebsleiter ist und vom Kranfahrer, der eigentlich Konditor war. Aber dann denkt er an die Baufirma aus Sindelfingen, die 2008 Insolvenz anmelden musste, dreht sich noch mal um und findet, dass es ihm gar nicht so schlecht geht. Die haben so gehandelt, wie man im Kapitalismus handelt, sagt er, und deswegen ist das eine wunderbare Gesellschaftsordnung, aber eben nicht für alle.
Was Opa einkauft, wenn er zu Aldi geht: Geleebananen für 89 Cent, scharfe Chili-Sardinen für 85 Cent, Harzer Käse für Oma. Danach fährt er tanken. Vielleicht trifft er die Nachbarin bei Aldi, vielleicht sieht er ein Rebhuhn im Rapsfeld. Das alles erzählt er Christel, wenn er zurückkommt in den Blumenweg. Dann ist es, als wäre Oma auch draußen gewesen. Nach Afrika fahren sie nicht mehr. Oma kann nicht. Allein will Opa nicht. Und wem soll er erzählen, was er erlebt hat, wenn er von der Safari zurückkommt?