Sophie Deistler

Journalistin in Ausbildung @Kölner Journalistenschule

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Artikel

Wie Start-ups mit der Cannabis-Legalisierung viele Millionen Euro scheffeln wollen

Noch könnte die geplante Cannabis-Legalisierung auf EU-Ebene scheitern. Wie sich deutsche Start-ups trotzdem auf den Verkauf von THC vorbereiten – und was sie machen, wenn der Traum doch noch platzt.


Auf den ersten Blick ist Bloomwell ein langweiliges Unternehmen. In einem braunen, eckigen Bürogebäude zwischen der Frankfurter Innenstadt und dem Main liegt das Büro des Start-ups. Ein Logo im Eingangsbereich zeigt ein grünes Blatt, das ebenso von einem Laubbaum stammen könnte wie von jeder anderen Pflanze. Von dort führt eine Tür in einen Gang, der zu mehreren Besprechungsräumen führt. Ein langer Tisch, weiße Wände, ein Flipchart. Fehlt noch ein Kicker und das Klischee des ganz normalen Start-ups ist perfekt. 

Doch wer genauer hinschaut dieser Tage, der sieht, was hinter der langweiligen Fassade steckt. Pink Kush heißt beispielsweise der Besprechungsraum und ist damit benannt nach einer Cannabissorte. Und auch die Gründer Niklas und Anna-Sophia Kouparanis reden hier nicht über Fintechs oder Lieferdienste, sondern darüber, worüber in Deutschland lange niemand reden wollte: Der Legalisierung von Cannabis und wie sich damit viele Millionen Euro scheffeln lassen können.


Kommt jetzt das Kiffen für alle, fragen Medien. Wie kann man damit jetzt viel Geld verdienen, fragen Unternehmer. 

Zugegeben, so richtig groß ist die deutsche Cannabis-Industrie noch nicht. Doch sie hat großes vor. Schließlich könnte Deutschland bald zum größten Cannabis-Markt der Welt werden, zumindest wenn es nach einem zwölfseitigen Papier geht, in welches die deutsche Cannabis-Branche ihre gesamte Hoffnung steckt. Zwölf Seiten, die darüber entscheiden, ob hier ein Milliardenmarkt entsteht oder nicht – und zwölf Seiten, die es in sich haben. Denn das im Oktober vorgestellte Eckpunktepapier der Ampel-Regierung sieht vor, dass THC nicht wie bisher  als Betäubungsmittel eingestuft werden soll. In lizenzierten Fachgeschäften sollen Erwachsene künftig Cannabis kaufen können, auch der Anbau für den Verkauf soll mit Lizenz möglich sein. Kommt jetzt das Kiffen für alle, fragen Medien. Wie kann man damit jetzt viel Geld verdienen, fragen Unternehmer. 

Noch ist vieles offen. Die Ampel-Koalition kann nicht alleine über die Legalisierung von Cannabis entscheiden. Ohne Zustimmung der EU-Kommission geht es nicht und die steht noch aus. Start-ups stehen also vor einem Dilemma. Zum einen müssen sie vorbereitet sein, sollte die Legalisierung durchkommen, sonst schnappt sich jemand anderes ihre Marktanteile. Zum anderen könnten sie womöglich Milliarden in den Sand setzen, wenn die EU die Sache kippt und man die zwölf Seiten plötzlich in der Pfeife rauchen kann. Und jetzt? 


Ein Franchise-Konzept in der Schublade? Haben deutsche Start-ups

Die Geschwister Niklas und Anna-Sophia Kouparanis sind zwei der Unternehmer, die gerade das Unplanbare planen müssen. Der Mann mit den kurzen Haaren, dem langen Bart und den breiten Schultern sagt: „Es wäre für uns unternehmerisch fahrlässig, sich nicht für diesen Markt vorzubereiten.” Pläne hat er längst in der Schublade, abgeschaut in anderen Ländern, aber natürlich noch nicht umgesetzt. „Wir sehen in anderen Märkten, dass Stores als Anlaufstelle am Anfang sehr gefragt sind“, sagt Niklas Kouparanis. „Deshalb werden wir auch ein Storekonzept ausarbeiten. Wir werden aber nicht die Firma sein, die 200.000 Stores in Deutschland haben wird.“ Viel mehr möchte sich Bloomwell auf den Onlineversand von Cannabis fokussieren – zumindest, wenn dieser möglich werden sollte. Denn noch sieht das Eckpunktepapier diesen nicht vor, erst später soll darüber entschieden werden. 

Im Geschäft mit Cannabis kennst sich das Start-up schon aus. Den größten Umsatz generiert derzeit laut Niklas Kouparanis die Telemedizin-Plattform Algea Care. 88 Ärztinnen und Ärzte versorgen dort 11.000 Patientinnen und Patienten mit Cannabis. Den zweitgrößten Umsatz liefert Ilios Santé, das Produktbeschaffungsgeschäft, das von Anna-Sophia Kouparanis gegründet wurde. Schon heute importiert die dunkelblonde, groß gewachsene Gründerin medizinisches Cannabis aus den Niederlanden, Kanada, Portugal, Dänemark, Spanien und Kolumbien. Sollte Cannabis legalisiert werden, möchte sie in Deutschland verkaufen, aber weiterhin Cannabis aus dem Ausland beziehen und nicht selbst anbauen.

Neu gegründet wurde Breezy Brands. In dessen Onlineshop können Kundinnen und Kunden sich derzeit Verdampfer, Zigarettenpapier und Allerlei rund um Cannabis kaufen. Breezy würde bei der Legalisierung die Hauptrolle spielen, zumindest, wenn der Onlinehandel erlaubt wird, erklären die beiden Gründer. Ein Teil von Breezy Brands ist dabei die „Grüne Brise”, ein Marktplatz für Cannabis-Apotheken. Patientinnen und Patienten geben den Zugangscode von ihrem Rezept dort ein und können sich dann das geeignete Cannabis-Präparat aussuchen. Das ist heute schon legal. Das physische Rezept schickt der Patient dann an die Online-Apotheke. Ein Lieferant bringt das bestellte Cannabis anschließend zu den Patientinnen und Patienten nach Hause und kontrolliert dabei den Ausweis. „Wir können die Prozesse einfach für den Onlinehandel im legalen Cannabismarkt anpassen“, sagt Niklas Kouparanis.

Seine Mitgründerin und Schwester Anna-Sophia Kouparanis ergänzt: „Alle sehr strengen regulatorischen Anforderungen, die der Gesetzgeber an Regelungen für den Onlinehandel sinnvollerweise stellen möchte, können wir also abdecken.” Können, wenn die EU der Legalisierung zustimmt und der Gesetzgeber sich für den Onlinehandel entscheidet. Doch ist das wirklich realistisch? 

Synbiotic will bisher so wenig Geld wie möglich investieren – aber den Hype auch nicht verpassen

Hunderte Kilometer südlich sitzt ein weiterer Gründer vor ausgefeilten Plänen und dem Dilemma der Unsicherheit: Lars Müller, Chef bei Synbiotic. Im Videocall danach gefragt, ob es denn nun endlich etwas wird mit der Legalisierung, sagt er:  „Es ist noch unklar, ob die Legalisierung an der EU scheitern wird oder nicht”. Er muss also mit Unsicherheit planen und macht das erst einmal vorsichtig: „Gerade ist alles eher konzeptionell-theoretisch mit so wenig Geldeinsatz wie möglich“, sagt Müller.

Mit seinem Unternehmen Synbiotic versucht er, die gesamte Wertschöpfung rund um Hanf, CBD und medizinisches Cannabis abzudecken. Dafür hat er in den vergangenen Monaten andere Unternehmen gekauft und baut sie unter dem Dach von Synbiotic aus. An 16 Unternehmen ist Müllers Unternehmen inzwischen beteiligt, an den meisten hält Synbiotic entweder alle oder mehr als die Hälfte der Anteile. 

Müller betont zwar, dass sein Unternehmen auch ohne die Legalisierung gut funktionieren würde. Aber mal ehrlich: Sollte Cannabis auch für den Genuss legal werden, würde Synbiotic vermutlich gut daran verdienen. Schon im Frühjahr dieses Jahres hat Synbiotic dafür gemeinsam mit der Gastronomie-Gruppe Enchilada ein Joint Venture gegründet, um ein Franchise-Konzept für Cannabis-Abgabestellen zu entwickeln. Das soll so funktionieren: Das Joint-Venture stellt als Franchise-Geber die Marke und ein Ladenkonzept zur Verfügung. Selbstständige Unternehmer sollen  gegen eine Gebühr das Konzept übernehmen und ihre eigene Cannabis-Abgabestelle eröffnen – ähnlich wie bei McDonalds. „Wir haben schon verschiedene Konzepte, die wir nur noch aus der Schublade holen und umsetzen müssen, sobald wir das dürfen“, sagt Müller. 

Zurzeit stammen 80 Prozent der Umsätze von Synbiotic aus dem Verkauf von CBD-Produkten, also Produkten mit dem Wirkstoff Cannabidiol, die bereits heute legal verkauft werden. Weitere 20 Prozent stammen aus dem Bereich des medizinischen THC-Cannabis, das Patientinnen und Patienten seit 2017 auf Rezept konsumieren dürfen. Bei einer Legalisierung würde THC-Cannabis auch als Genussmittel freigegeben werden. „Genusscannabis wird von der Marktgröße alles übertrumpfen und sich zu einem großen Teil in unserer Gruppe breitmachen“, glaubt Müller. Schon heute baut die „Hanf Farm”, eines der Portfolio-Unternehmen, Industriehanf an - das ist Hanf mit geringem THC-Gewalt, aus dem sich zum Beispiel Textilfasern, Papier und Dämmstoffe herstellen lassen. Sollte die Legalisierung kommen, könnte das Start-up die Kapazitäten auf Genusscannabis umstellen.

Auch sieht Müller Wachstumspotenziale außerhalb des deutschen Markts. Sollte die EU-Kommission der Legalisierung zustimmen, geht er von einer Art Domino-Effekt aus, mit Deutschland an der Spitze. 


Was, wenn die Legalisierung gar nicht kommt?  

Sicher ist aber eben nichts und im Zweifel müsste Müller auch ohne Legalisierung existieren, ihm zufolge kein Problem: „Wir sind ja heute schon in Bereichen aktiv, die von der Legalisierung nicht betroffen sind“, sagt Synbiotic-Gründer Müller. „Wenn die Legalisierung nicht kommt, wird vor allem unser medizinischer Cannabis-Markt noch mal sehr stark an Bedeutung gewinnen.“ Er geht davon aus, dass der Selbstzahlermarkt wachsen würde, also der Markt für Patientinnen und Patienten, die ein Cannabis-Rezept erhalten, bei dem die Krankenkassen aber keine Kosten übernehmen. Für diesen Fall möchte Synbiotic seine Marke Hempamed RX ausbauen und bald neue Produkte vorstellen.

Eine Cannabis-Legalisierung rückt in Deutschland immer näher. Foto: (NickyPe/Pixabay)

Auch Niklas Kouparanis in Frankfurt ist in Bezug auf sein eigenes Unternehmen entspannt, sagt aber deutlich: „Wenn wir Genusscannabis nicht legalisieren, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass das für die Industrie, die jetzt teilweise in Euphorie ausgebrochen ist, ein herber Rückschlag ist. Dennoch sind wir optimistisch, dass Anfang 2024 erstmals in Deutschland legal Cannabis als Genussmittel verkauft wird.”

Er vermutet, dass Karl Lauterbach sehr wahrscheinlich einen Plan B hat und diesen aus strategischen Gründen aktuell nicht kommuniziert. „Wenn die Europäische Kommission sagt, dass eine Legalisierung von Cannabis als Genussmittel - so wie sie in dem noch zu erarbeitenden Gesetzesentwurf vorgesehen ist - nichtkonform mit europäischen Recht durchzuführen ist, könnte man sofort ein wissenschaftliches Pilotprojekt in Deutschland ausrufen.” Eine Hintertür dafür vermutet er bereits im Eckpunktepapier. „Als ich im Eckpunktepapier gelesen habe, dass das Gesetz nach vier Jahren evaluiert werden soll, klang das für mich schon sehr nach einer Hintertür für ein solches groß angelegtes und flächendeckendes Pilotprojekt.“ 

Also, Kiffen durch die Hintertür? Jetzt ist erstmal die EU am Zug. 

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