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Alles, was Recht ist

Maschinen werden mehr und mehr zu Justitias Exegeten. (Illustration: Doc Robert)

Automaten und Rechner sollen bald einen Gutteil der Anwaltsarbeit übernehmen. Wie die Digitalisierung das Geschäft mit dem Recht verändert.


Die Technisierung beginnt gerade erst, ihre Wirkungsmacht zu entfalten“: Leo Staub (59) ist hin- und mitgerissen, wenn er an das Geschehen denkt, das sein Gewerbe ergriffen hat. Als Anwalt in Gossau praktizierend sowie als Rechtsprofessor und Akademiedirektor an der dortigen Universität tätig, sieht er die bestehenden Geschäftsmodelle der internationalen Anwaltschaft akut bedroht, wenn nicht gar als durchaus existenzgefährdet.

Die Technisierung werde die Arbeit der Juristen „revolutionieren“, sagt Staub. „Wenn traditionelle Kanzleien sich dieser Einsicht verschließen, werden neue Anbieter sie überrollen.“

Mit der Technisierung meint Staub natürlich die Aufrührerin aller Branchen: die Digitalisierung, wen sonst, und die durch das Internet hervorgebrachte Möglichkeit, Daten jederzeit, allerorten und in immer größeren Mengen zu gewinnen und zu verarbeiten.
Wie nahezu alle Erwerbszweige, nur vielleicht etwas später als die meisten anderen, sieht sich zunehmend auch das Geschäft mit dem Recht, bislang streng reglementiert und keinem klassischen Anbieterwettbewerb unterworfen, den kaum zu steuernden Einflüssen der Digitalisierung ausgesetzt.

Der britische Jurist und Autor Richard Susskind (55) erwartet, dass sich „in den kommenden zwei Jahrzehnten in der Welt des Rechts mehr verändern wird als in den vergangenen zwei Jahrhunderten“ zuvor. In 20 Jahren würden Automaten viele Anwälte überflüssig machen (s. Interview).

Ein beträchtlicher Prozentsatz – meist internationaler – Kanzleien speichert schon heute Informationen in der Wolke, nutzt Programme, die Texte verarbeiten, Bücher führen, Rechnungen stellen und bei großen Projekten die Arbeitsabläufe oder den Austausch mit Mandanten steuern.

Anwälte besprechen sich mit ihren Mandanten in Videokonferenzen, tauschen sich in Facebook-Gruppen aus oder „twittern“ wichtige Urteile. Doch dies sind nur die Vorboten der einschneidenden Veränderungen, die der Branche bevorstehen. Besonders das Auswerten großer Datenmengen und ihre Verwendung in Systemen der sogenannten Künstlichen Intelligenz werden das Rechtsgeschäft von Grund auf verändern.

Dabei geht es zum einen um die herkömmliche Beratung: Neu-Anbieter wie Advocado stellen künftigen Mandanten auf ihrer Internetseite mehrere Anwälte vor und vergleichen die jeweiligen Kosten; bei Smartlaw wiederum lassen sich im Netz ganze Vertragswerke aufsetzen, die auf die eigenen Vorgaben zugeschnitten sind; andere Anbieter schließlich haben sich auf bestimmte Rechtsfragen spezialisiert, Flightright auf Entschädigungsforderungen gegenüber Fluggesellschaften.

Derlei Dienstleistungen lassen sich normieren und standardisieren und sind aufgrund dessen verständlicherweise nicht nur schneller, sondern auch günstiger im Netz in Anspruch zu nehmen als ein Anwalt.

Seit 2013, sagt Staub, seien in Großbritannien über tausend Kleinkanzleien verschwunden. Auch in Deutschland, sagt der Schweizer voraus, würden nicht wenige Anwälte in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen: „Das untere Kanzlei-Segment wird noch viel stärker unter Druck geraten.“

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Zuerst erschienen in Bilanz 04/2016



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