Für den Anbau von Haselnüssen setzen Landwirte in Chile offenbar Pestizide ein, die in der EU verboten sind. Die Krebsraten in der Anbauregion sind hoch. Betroffene Erntehelfer verstecken ihre Krankheit möglichst – aus Angst, ihre Arbeit zu verlieren.
Ende Februar: Es ist Hochsommer in Chile. Ferrero hat
seine Haselnuss-Zulieferer zum Jahrestreffen eingeladen. Im Hotel Casino
in Talca, der Hauptstadt der Maule-Region im Süden des Landes, läuft
die Klima-Anlage auf Hochtouren. Beim Coffee-Break gibt es
Nutella-Brote. Über 200 Haselnuss-Bauern sind gekommen. Einer von ihnen
ist Jorge Uslar. Er pflanzt seit 2007 Haselnussbäume für Agrichile an,
die chilenische Tochterfirma von Ferrero.
„Ich habe mittlerweile 380 Hektar Haselnuss-Plantagen. Und ich werde noch mehr anbauen, jedes Jahr 50 Hektar mehr.“
Gemüse- und Obstanbau ist wichtigster Wirtschaftszweig
Zahlen von Agrichile zufolge ist die Produktion von Haselnüssen in Chile in den letzten fünf Jahren um 130 Prozent angestiegen. Momentan ist die Türkei noch das wichtigste Anbauland. Aber Ferrero will weiter in Chile investieren und das hat vor allem einen Grund, wie Manager Alessandro Boccardo erklärt: „Chile hat einen Vorteil im Vergleich zum Rest der Welt: Es gibt keine Klimaextreme. Und auf der Südhalbkugel haben wir den Vorteil der umgekehrten Jahreszeiten.“
Haselnuss-Büsche so weit das Auge reicht: die Maule-Region in Chile. (Deutschlandradio / Sophia Boddenberg)
In der Maule-Region befindet sich der größte Teil der etwa 20.000
Hektar, die landesweit mit Haselnuss-Bäumen bepflanzt sind. Der Gemüse-
und Obstanbau ist hier der wichtigste Wirtschaftszweig. Es ist auch die
Region, die immer wieder Schlagzeilen macht wegen der unkontrollierten
Anwendung von giftigen Pflanzenschutzmitteln.
Krebs ist zweithäufigste Todesursache in Chile
María
Muñoz erforscht an der Katholischen Universität in Talca die
Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die Gesundheit von Kindern
und Jugendlichen in der Maule-Region. Sie hat im Urin von Kindern
Rückstände von fünf verschiedenen Pestiziden gefunden, darunter Diazinon
und Azinphos-Methyl. Beide Stoffe sind Insektizide, hergestellt von
Syngenta und Bayer, ihre Anwendung ist in der Europäischen Union
verboten. In Chile hingegen sind die giftigen Mittel erlaubt. Nicht nur
Insektizide, auch giftige Herbizide, also Unkrautbekämpfungsmittel,
werden in der Region unkontrolliert verwendet, kritisiert Muñoz.
„Es gibt zwei gefährliche Herbizide, die hier sehr stark angewandt
werden. Eines ist Roundup, auch bekannt als Glyphosat, und das andere
ist Paraquat. Beide sind gefährlich, aber Paraquat ist noch schädlicher
und es ist nachgewiesen, dass es Krebs verursacht. In Chile ist es immer
noch nicht komplett verboten.“
Die Wissenschaftlerin María Muñoz ist von der hohen Krebsrate in der Region alarmiert. (Deutschlandradio / Sophia Boddenberg)
Muñoz erklärt, dass die Erntehelfer häufig keine Schutzkleidung tragen
und meistens gar nicht wissen, mit welchen Substanzen sie arbeiten.
Viele Schulen befänden sich gleich neben den Plantagen und würden nicht
vorgewarnt, wenn Pestizide eingesetzt werden.
Krebs ist die
zweithäufigste Todesursache in Chile. In der Maule-Region sind die
Krebsraten besonders hoch. Das weiß auch Elsa Labraña, sie ist Mitglied
eines Frauen-Kollektivs in Curicó. Ihr Nachbar hat Prostata-Krebs, eine
Bekannte leidet unter Magenkrebs. Besonders die Frauen, die als
Erntehelferinnen arbeiten, seien gefährdet, hätten häufig Fehlgeburten
und brächten Kinder mit Krankheiten oder Fehlbildungen auf die Welt.
„Wir sind die Region mit der höchsten Magenkrebs-Rate im ganzen Land.
Und es gibt hier nicht nur Magenkrebs, sondern auch
Lebensmittelallergien, Brustkrebs, Lungenkrankheiten, Parkinson, Demenz.
Wir glauben, dass diese Krankheiten mit der Agro-Industrie
zusammenhängen.“
Mitte März stellt das Pesticide Action Network
Chile in der Hauptstadt Santiago einen Bericht über hochgefährliche
Pestizide vor. Das Ergebnis: Über 400 Pestizide sind in Chile
registriert, mehr als 100 davon sind von der Weltgesundheitsorganisation
und den Vereinten Nationen als hochgefährlich eingestuft worden. Eines
davon ist Paraquat.
„Es gibt immer wieder Arbeiter mit Vergiftungen“
Eine
Haselnuss-Plantage in Pelarco in der Maule-Region. Die Mittagssonne
knallt auf die kleinen Bäume mit kurzen Stämmen und hellgrünen Blättern.
Lázaro Aburto, um die 50, von der Sonne gegerbte Haut, ist ehemaliger
Erntehelfer. Er bestätigt, dass auf den Haselnuss-Plantagen Paraquat
verwendet wird.
„Es gibt immer wieder Arbeiter mit
Vergiftungen. Aber die Leute hier haben Angst. Sie verstecken ihre
Krankheiten aus Angst, dass die Unternehmen etwas mitbekommen und einem
dann keine Arbeit mehr geben.“
Lassen sich einfach im Laden in Curicó kaufen: Glyphosat- und Paraquat-Kanister. (Deutschlandradio / Sophia Boddenberg)
Agrichile streitet die Vorwürfe ab und erklärt per E-Mail, dass das
Unternehmen seit 2014 kein Paraquat mehr verwendet und auch von den
Zulieferern verlangt, auf ihren Plantagen keine in der Europäischen
Union verbotenen Substanzen anzuwenden.
Zurück beim
Jahrestreffen der Haselnuss-Produzenten in Talca. Haselnuss-Zulieferer
Jorge Uslar erzählt, dass er selbst kein Paraquat auf seinen Plantagen
verwendet. Ob er glaubt, dass andere Zulieferer das giftige
Pflanzenschutzmittel einsetzen?
„Ja, das würde ich unterschreiben.“
Zulieferer führen Buch, doch Papier ist geduldig
Agrichile
bezieht etwa zwei Drittel seiner Haselnüsse von Zulieferern, nicht von
eigenen Plantagen. Ob das Unternehmen die fast 300 Zulieferer
ausreichend kontrollieren kann, ist fraglich.
„Jeder
Zulieferer sollte Buch führen über die Mittel, die er einsetzt, und
einmal im Jahr wird das Buch kontrolliert. Und wenn da Paraquat steht,
dann hat man ein Problem. Aber theoretisch kann jeder machen, was er
will. Ich glaube nicht, dass Agrichile in der Lage ist, alle zu
kontrollieren.“
Uslar verwendet das von der Internationalen
Agentur für Krebsforschung als „vermutlich krebserregend“ eingestufte
Pflanzenschutzmittel Glyphosat auf seinen Plantagen. Zahlen des
chilenischen Landwirtschaftsministeriums zufolge ist Paraquat gleich
nach Glyphosat das am meisten verkaufte Herbizid im Land – es ist
effektiver und kostengünstiger als Glyphosat. Aber auch
gesundheitsschädlicher, das belegen verschiedene Studien aus den USA.
Bei starker Dosierung ist es hoch toxisch und es gibt kein Gegenmittel.
Die Anbaugebiete werden zu einer „Wüste“, warnt Agraringenieur Ricardo Castro. (Deutschlandradio / Sophia Boddenberg)
Ricardo
Castro ist Agraringenieur, Anfang 30. Er lebt und arbeitet in der
Maule-Region und erklärt, dass in den Haselnüssen, die exportiert
werden, keine Rückstände von Paraquat nachgewiesen werden können, weil
das Mittel nicht direkt auf die Nüsse aufgetragen wird, sondern auf den
Boden unter den Bäumen.
„Um die Haselnüsse zu ernten, werden
sie zunächst mit einer Maschine auf den Boden geschüttelt und dann mit
einer Art Staubsauger aufgesaugt. Der Boden muss deshalb komplett kahl
sein. Alle Unkräuter, Mikroorganismen und Insekten müssen verschwinden.
So wird das Ökosystem und die Biodiversität zerstört, und eine Wüste
bleibt zurück.“
Um wirklich garantieren zu können, dass
Paraquat nicht auf den Haselnussplantagen eingesetzt wird, sagt Castro,
müsste es mehr Kontrollen geben und zwar nicht von den privaten
Unternehmen, sondern von staatlichen oder unabhängigen Stellen.
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