Sophia Boddenberg

Freie Journalistin, Santiago de Chile

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Der Traum von der eigenen Chocolaterie

Kevin Kugel arbeitet jeden Tag mit Schokolade GB-Fotos: Boddenberg

Es riecht nach Vanilleschoten und frischer Sahne. Ein Hauch Limette mischt sich darunter und dann eine zarte Note Thymian.

Schließlich verschmilzt alles mit dem intensiven Duft dunkler Schokolade. Kevin Kugel bereitet gerade eine Pralinenfüllung zu. Die süß duftende braune Creme verrührt er mit weicher Butter, bis sie zu einer gleichmäßigen Masse wird. Dann verteilt er sie in einem rechteckigen Metallrahmen auf einer Folie auf der Arbeitsplatte. Mit einem Spachtel streicht er die Masse glatt und rückt immer wieder den Rahmen zurecht. Alles muss perfekt sein.

Der Nufringer Kevin Kugel arbeitet mit Schokolade - jeden Tag. Kommende Woche wird er an der Weltmeisterschaft der Chocolatiers teilnehmen. Dafür braucht er unter anderem die perfekte Praline. Der 27-Jährige übt in der Konditoren-Meisterschule in Köln-Ossendorf für die Weltmeisterschaft. Hier existieren weder Tages- noch Jahreszeit: Es ist kühl, denn die optimale Temperatur für die Arbeit mit Schokolade liegt zwischen 18 und 20 Grad. Die Fenster sind mit grauen Rollos abgedunkelt, damit auch nicht der kleinste Sonnenstrahl hereinfällt. Er könnte großen Schaden anrichten: Die Schokolade könnte weich werden oder sich verfärben. Statt Tageslicht erhellen weiße Neonröhren den Raum. Dass er während der Arbeit gerne nascht, sieht man dem Konditormeister nicht an: Sein Körper ist schlank und muskulös. Wie er es schafft, so auszusehen, obwohl er tagtäglich Schokolade isst, weiß er selber nicht.

Die Schokoladenmasse ist jetzt leicht fest geworden. Mit einem Messer löst Kugel die Pralinencreme aus dem Rahmen und zieht sie auf der Folie auf ein Brett. Die erste Pralinenschicht muss erst einmal in den Kühlschrank. Währenddessen bereitet Kugel die zweite Schicht vor. Mit einem Schäufelchen füllt er Zucker in einen Topf und erhitzt ihn auf einem Kochfeld. Der Zucker karamellisiert und erzeugt einen süßen Duft. Hinzu kommt schubweise Sahne - es zischt und blubbert. "Butter, Sahne, 25 Gramm Glucose", murmelt der Chocolatier und füllt die klebrige braune Masse in eine Rührschüssel. Glucose und Vanille gibt er dazu; schließlich Bitterschokolade aus Ghana und Vollmilchschokolade aus Papua-Neuguinea. Dann Pecannusspaste und Butter.

Seit der Konditormeister im Juni die "German Chocolate Masters" gewann, ist er der Deutsche Meister der Chocolatiers. Am 28. Oktober wird er dann bei der Weltmeisterschaft im "Salon du Chocolat Professionnel" in Paris gegen 19 Konkurrenten aus aller Welt um den Titel "World Chocolate Master" kämpfen. Jeder Teilnehmer muss ein Schaustück aus Schokolade, zwei verschiedene Pralinen, eine Schokoladentorte und ein Dessert zubereiten. Das diesjährige Thema ist "Die Architektur des Geschmacks". Jedes Jahr gibt es noch eine Zusatzaufgabe: Als "Architekt der Welt" muss Kugel eine Globushälfte aus Holz und Plexiglas mit Schokolade vervollständigen. Zum Üben hat er von der Schokoladenfirma Callebaut, die den Wettbewerb ausrichtet, mehr als 100 Kilogramm Schokolade bekommen.

Er holt jetzt das Brett mit der ersten Pralinenschicht aus dem Kühlschrank, legt es auf die Arbeitsplatte und legt wieder den Metallrahmen darum. Dann streicht er die frische Masse auf die erste Schicht, lässt sie eine Weile fest werden und löst den Rahmen mit dem Messer von der Schokolade. Er probiert eine kleine Ecke und schaut skeptisch. "Zu viel Limette, zu wenig Pecannuss. Aber wenn die Praline gekühlt ist, schmeckt sie wieder etwas anders", sagt er und stellt alles in ein Kühlfach mit zwölf Grad Celsius. Normale Kühlschranktemperatur wäre zu kalt für die zarte Pralinencreme.

Gute Schokolade vergleicht Kugel mit Wein: "Die eine schmeckt fruchtig, die andere rauchig, die andere erdig, je nach Anbaugebiet." Schokolade oder Süßigkeiten aus dem Supermarkt kauft er sich nie. Als Ausgleich zu der süßen Schokolade isst er abends am liebsten herzhaft. Sein Lieblingsessen ist aber trotzdem ein Dessert, das lauwarme Schokoladentörtchen: Das ist außen gebacken und in der Mitte leicht flüssig; wenn man es öffnet, läuft die Schokolade heraus.

Die Pralinen müssen jetzt geschnitten werden. Kugel verwendet dafür eine sogenannte "Harfe", mit der er drei Formen schneiden kann: quadratisch, dreieckig oder rechteckig. Er entscheidet sich für Letzteres und teilt die Schokoladenplatte in kleine Rechtecke von unterschiedlicher Breite. "Im Moment probiere ich noch etwas rum, für die Weltmeisterschaft müssen die natürlich alle gleich aussehen." Die schmalen, länglichen gefallen ihm am besten: "Ich finde, das sieht elegant aus."

Fünf bis sechs Tage in der Woche trainiert Kugel von morgens bis abends für die Weltmeisterschaft. Bis Ende August hat er noch im "Café am Königsforst" in Köln als Konditor gearbeitet. Als Nächstes erhitzt er die Kuvertüre für den Pralinenüberzug. Mit einem Rührlöffel aus Kunststoff rührt er in flüssiger, dunkler Schokolade. In der linken Hand hält er einen Heißluftföhn aus dem Baumarkt und föhnt die Schokolade. Nur so erreicht sie eine gleichmäßige Temperatur. Zwischendurch beugt er sich über den Wärmebehälter und berührt mit den Lippen die Schokolade. Genau 32 Grad muss die Kuvertüre haben, damit sie hinterher glänzt, wenn sie die Pralinen umschließt. Die richtige Temperatur ist erreicht, das spürt er an den Lippen. Trotzdem tunkt er noch einen roten Spachtel in die Schokolade und lässt die Probe einige Zeit liegen. Innerhalb weniger Minuten wird die Kuvertüre fest, das heißt: Sie ist perfekt.

Das Besondere am Chocolatier-Beruf sind für Kugel die Kreativität, die Freiräume und die Abwechslung. Sein Traum ist es, einmal seine eigene Chocolaterie zu eröffnen. Dann kann er jeden Tag eine neue Praline oder ein Dessert kreieren und hat nie an zwei Tagen die gleiche Arbeit. Außerdem isst er auch selbst sehr gerne Schokolade: "Ich finde den Geruch schön, wenn ich morgens reinkomme. Dann riecht es so, als ob gerade jemand eine heiße Schokolade aufkocht."

So riecht es auch jetzt, als Kugel die Pralinen glasiert. Ein kleines Rechteck aus Pralinencreme legt er auf eine Pralinengabel mit Holzgriff und zwei hauchdünnen Zinken und tunkt es in die dunkelbraune Kuvertüre. Sachte klopft er mit dem Finger auf den Holzgriff und lässt die flüssige Schokolade abtropfen, dann legt er die fertige Praline auf ein Brett. In der Konditorei bereitet so fast niemand mehr Pralinen zu, da es so zeitaufwendig ist. Dafür gibt es spezielle Maschinen. Aber für die Weltmeisterschaft muss Kevin Kugel per Hand 50 makellose Exemplare zubereiten.

Neben dem Geschmack sind das Aussehen und die Präsentation der Praline ein entscheidendes Kriterium. Passend zum Thema der Weltmeisterschaft "Die Architektur des Geschmacks" findet man in Kugels Deko-Schachtel Schrauben, Muttern und Zahnräder. Er drückt mit einer Schraube einen geriffelten Abdruck in eine Praline. Dann tupft er mit einem Pinsel silbern glänzende Lebensmittelfarbe auf eine Schraubenmutter aus Schokolade und befestigt sie auf der Praline. Zum ersten Mal grinst er und legt die Praline auf die Seite: "Das sieht cool aus." Davon macht er jetzt 20 Stück und will sie seinem Meisterlehrer zeigen. SOPHIA BODDENBERG

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