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„Game of Thrones" und die charakterformende Vergewaltigung

Sansa Stark (Sophie Turner).

Sansa Stark schreibt ihrem Vergewaltiger den Verdienst zu, mit seiner Tat dafür gesorgt zu haben, dass sie an Stärke gewinnt. Das ist mehr als fragwürdig.


Die Macher der Serie „Game of Thrones" waren noch nie besonders gut darin, Frauenfiguren zu schreiben. In der Romanvorlage „Das Lied von Eis und Feuer" von George R.R. Martin ist die Darstellung der Frauen und die Komplexität ihrer Entwicklung sehr gelungen. Aber die Autoren der Serie, David Benioff und D.B. Weiss, haben es nicht geschafft, den vielfältigen Feminismus Martins auch ins TV zu übertragen.


In der vierten Episode der achten Staffel der HBO-Erfolgsserie, „Die Letzten der Starks", setzt sich Sansa Stark (Sophie Turner) in einem Gespräch mit Sandor „Der Bluthund" Clegane (Rory McCann) mit ihrer Vergewaltigung auseinander. Dabei erklärt Sansa, die Vergewaltigung habe sie stärker gemacht, wörtlich: „Ohne [...] wäre ich ein kleiner Vogel geblieben".


Während der fünften Staffel wurde Sansa von Ramsay Bolton vergewaltigt, mit dem sie zwangsverheiratet wurde. Die Chance, die Dynamik der Vergewaltigung in der Ehe und die heimtückische Natur des sexuellen Missbrauchs zu zeigen, ergriff die Serie damals nicht. Der Zuschauer soll nur verstehen, mit was für einem miesen Typen man es hier zu tun hat.


Die Autoren von „Game of Thrones" benutzen Vergewaltigung als erzählerisches Mittel, was erstens einfach schlecht und faul geschrieben ist, und zweitens kein adäquates Mittel ist, um Charakterentwicklung herbeizuführen. Bei Ramsay soll so gezeigt werden, dass er wirklich böse ist, und im Fall von Sansa soll ihrem Charakter etwas gegeben werden, an dem sie wachsen kann, indem sie durch das widerfahrene Leid „stärker" wird.


Menschen lieben Geschichten über Kämpfer*innen. Da viele westliche Medien an eine männliche Weltanschauung gebunden sind, ist einer der bekanntesten Archetypen in diesem Bereich der der vergewaltigten Frau. Auch „Game of Thrones" reiht sich nun in diese Form des Storytelling ein, indem Sansa ihrem Vergewaltiger den Verdienst zuschreibt, mit seiner Tat dafür gesorgt zu haben, dass sie an Stärke gewinnt.


Das ist ein Schlag ins Gesicht für vergewaltigte Frauen. Sie sind stark, bevor sie vergewaltigt werden. Sie sind stark, nachdem sie vergewaltigt wurden. Wir sind stark, trotz der Dinge, die uns passieren, nicht wegen ihnen.


Auf diese Art die Entwicklung eines Charakters zu erklären ist außerdem gefährlich, denn so wird die Idee genährt, dass Männer uns einen Gefallen tun, indem sie uns vergewaltigen, weil es uns langfristig stärker macht.


In „Game of Thrones" hat sich Sansa von einem verwöhnten Mädchen zu einem der stärksten Charaktere der Serie entwickelt. Sie lernt von den Menschen in ihrer Umgebung, indem sie sie beobachtet, sich nicht in den Mittelpunkt drängt, ihre Zeit abwartet und letztendlich kluge Entscheidungen trifft. Es ist lächerlich, diese Charakterentwicklung nun mit der Behauptung zu erklären, dass sie niemals zustande gekommen wäre, wenn sie nicht vergewaltigt worden wäre.


Sansa den Schluss ziehen zu lassen, dass sie ohne die Vergewaltigung in ihrem Leben niemals die starke Frau geworden wäre, die sie heute ist, hinterlässt den Eindruck, dass Missbrauch den Charakter formt. Die Entwicklung des Lebens der Frau wird zum Spielball der Taten, die Männer an ihr begehen, sie wird zum völlig Passiven, und nach dieser verqueren Logik muss sie dem Vergewaltiger auch noch dankbar sein.

In den USA hat sich der Begriff „Survivor" für vergewaltigte Frauen durchgesetzt. Überlebende. Der Täter hat sie nicht gebrochen, eben weil man trotz der Vergewaltigung stark ist. Nicht wegen.

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