Die ehemalige Königliche Filialbank, ein denkmalgeschütztes Gebäude wie es zentraler in München wahrhaftig nicht liegen könnte, angeschmiegt an die Fünf Höfe, wird 2019 zu einem Luxushotel umgebaut werden. Das ist soweit nicht verwunderlich, wenn es auch den Bayrischen Hof als direkten Nachbarn recht grämen mag.
Zwischenzeitlich machen es sich eine Handvoll Unternehmer, Gastronomen und Kreativschaffende zur größenwahnsinnigen Aufgabe, knappe 5000 Quadratmeter als „Hotel Happening“ umzufunktionieren und nicht nur Übernachtungsgäste zu beherbergen, sondern gleichzeitig auch ein breitgefächertes Kulturprogramm aus den Bereichen Design, Politik, Nightlife und Business samt Konzerten, Exhibitionen, Performances, Lesungen und Seminaren stattfinden zu lassen. Lissie Kieser, Michi Kern und Gregor Wöltje als Geschäftsführer, sowie Bambis Sharegh für Retail und Alexander Lutz in Verantwortung des Hotel Development bringen Erfahrung aus Marketing, Hotellerie und Nachtleben mit in den Ring; nicht realisiert werden können hätte das Projekt aber ohne die visuelle Komponente, die im modifizierten Bankgebäude äußerst deutlich im Vordergrund steht.
Es wird kein Geheimnis daraus gemacht, dass das Kreativteam hinter „The Lovelace – A Hotel Happening“ sich seine Ideen mosaikartig zusammengesucht und abgeschaut hat von Vorbildern und Ikonen. „ALL PLACES ARE TEMPORARY PLACES“ prangt über der Flying Lobby, hinter einem Fadenvorhang inszeniert in Leuchtbuchstaben von Chris Rehberger und angelehnt an Robert Montgomerys populäre Phrase„All palaces are temporary palaces“.
Besonnen schildert Kreativdirektor Thomas Mandl einen Tag, an dem mit der Albers’schen Farbstudie, die aus siebgedruckten Farbseiten besteht, das Raumkonzept geschaffen wurde, indem er gemeinsam mit Lissie Kieser für die im Haus bereits vorhandenen Farben ein passende Stimmung auslotete. „Interaction of colours“, hatte der Farbexperte Josef Albers diesen Vorgang genannt. Ohne zu wissen, welchen gestalterischen Schatz sie in den Händen hielten, legten sie die Einzelseiten auf dem staubigen, rohen Fußboden aus und kombinierten sie so lange, bis die richtigen Farben korrespondierten und ein Gesamtbild für die Gestaltung des Hauses erzeugt hatten. Die Korrelation der Kontrastfarben steht sinnbildlich für das Aufbrechen der grauen Wandfarben; das Spektrum zwischen bläulichen wie altrosa Tönen lässt Platz für Harmonie und Dissonanz gleichermaßen.
Nomad beginnt die Unterhaltung mit einer Rückbesinnung auf die ersten Eindrücke, als das brach liegende Bankgebäude vor einem Jahr betreten wurde. Ob es etwas gäbe, das besonders ins Auge stach, und davon überzeugt hat, dass dies der richtige Ort für ein solch überdimensionales Projekt sein würde?
Ein Gespräch zwischen Creative Director Thomas Mandl, Cultural Event Manager Roxy Höchsmann und Geschäftsführerin Lissie Kieser:
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Thomas Mandl: Was wir bei der ersten Begehung am allerwenigsten erwartet hätten, sind die Pflanzenwände im dritten Stock. In diesem großen, denkmalgeschützten Gebäude hatte sich neun Monate lang fast niemand aufgehalten. Man durchwanderte diese Konstruktion aus viel Stahl und Grau, und dann eröffnete sich ganz oben eine neue Welt.
Lissie Kieser: Als wir das Haus betraten, war es bereits längere Zeit nicht benutzt worden und stand völlig leer. Die Kombination aus Weitläufigkeit und dem Bruch von der historischen Fassade zu einer sehr cleanen Innenarchitektur macht es zu einer großen Überraschung, auf Lebewesen zu stoßen.
Roxana Höchsmann: Die vertikalen Gärten geben der obersten Etage eine sehr besondere Atmosphäre. Ein bisschen Wildnis, Wagnis und wucherndes Leben in der sonst so klaren und puristischen Architektur des Hauses. Sie machen sich durch ihre Funktion als natürliche Klimaanlage unverzichtbar und erfüllen so einen Zweck, der einem auf den ersten Blick verborgen bleibt. Aber bleibt man länger in einem Raum, zum Beispiel in einem der Studios, in denen wir viele Abendveranstaltungen abhalten, merkt man, wie angenehm die Luft in diesen geschlossenen Räumen ist. Sie strahlen große Ruhe aus.
Lissie Kieser: Als erstes waren wir dann nochmal mit Klaus Loenhart, einem Freund und Landschaftsarchitekten im Haus. Von ihm und dem Erfinder Herr Häring haben wir uns ausführlich erklären lassen, dass es sich hierbei um kein Abbild der Natur handelt. Die lebende Wand ist kein Ökosystem. An keinem Ort der Welt könnten sich Pflanzen in dieser Kombination vorfinden lassen. Das Prinzip, dass sie hier zwar quasi miteinander klarkommen, aber eben auch nicht so tief wurzeln können, hält nicht jede Pflanze aus. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt und bilden eine total artifizielle Lebensgemeinschaft, die einwandfrei funktioniert, obwohl es nicht deren natürlichen Lebensraum entspricht. Das ist für uns ein schönes Thema!
Thomas Mandl: Als wir uns lange vor der Eröffnung Gedanken darüber machten, wie wir unseren Raum definieren wollen, wurde uns klar, dass es genau diesen Charakter haben sollte: Ein Ort, der sich für niemanden verschließt. Das Statement „Members & Non Members Only“ ist daraus gewachsen, dass wir nicht exklusiv, sondern offen für alle sein möchten. Dieser Internationalism-Gedanke ist etwas, was bei uns allen im Kopf sehr präsent ist und hier stark zur Geltung kommt. Was in der Grundfeste des Hotels verankert wurde, ist die Überzeugung, dass wir uns voreinander nicht verschließen möchten, wie auch die Pflanzen. Anfangs wollten wir sie noch mit botanischem Namen und Herkunftsland beschriften lassen, aber eigentlich ist es viel schöner, zu sehen, das so etwas schon existiert im Haus. Kein neues Konzept, das wir hineinpflanzen müssen, obwohl wir einiges aufforsten mussten.
Roxana Höchsmann: Jede Pflanzengattung, die hier gedeiht, ist wie in unserer Veranstaltungsagenda als eine Kunst zu verstehen. Durch das breit strukturierte Kulturprogramm können viele Ideen nebeneinander existieren. Der Montag ist dem Bewegtbild in allen Facetten gewidmet; es wird auch Abende geben, an denen wir Filmwissenschaftler oder Drehbuchautoren einladen, die uns etwas über die Schnittstellen der einzelnen Künste erzählen. Dienstags verwandeln wir das ganze Haus in einen gigantischen Konzerttempel und nutzen jede mögliche Bühne für eine unterschiedliche Bespielung. Mal akustisch, mal elektronisch, mal orchestral.
Mittwochs laden wir bekannte und unbekannte Autoren, Schriftsteller und Journalisten, aber auch Wissenschaftler oder Amateure ein. Jeden Donnerstag werden die Studios leergeräumt und die Intellektualität macht Platz für die PingPong-Platte, für gewöhnlichen Rundlauf, oder auch Celebrity Deathmatches… Wichtig ist uns bei der Veranstaltungsplanung vor allem die Verzahnung verschiedener Kräfte und vor allem auch, nischige Themen und Künstler zu uns einzuladen, sich hier zwar auf einer Bühne zu präsentieren, aber auch dazu anregen, sich zu beteiligen.
Thomas Mandl: Generell wünschen wir uns Interaktion! München ist immer eine Stadt der Bewegung gewesen, positiv wie negativ. Ich denke da vor allem an die Studentenrevolte. Es gab vor einigen Jahrzehnten wesentlich mehr Engagement aus der Gesellschaft, mehr Aufsehen, mehr Ansehen. Als Berlin noch geteilt war, ist München beispielsweise die Stadt des Films gewesen und war sehr anziehend für Künstler und Schauspieler.
Lissie Kieser: Die Saturiertheit und der Reichtum haben München verlangsamt. Mit dem Lovelace möchten wir auch deshalb den Begriff „Happening“ prägen, da unsere Ideen für das Hotel gut in den zeitgeschichtlichen Kontext der 60er, 70er Jahre passen, wo diese Kunstform entstanden ist. Das Happening als solches möchte Bezug nehmen, um relevant zu sein für gesellschaftliche Entscheidungsprozesse. In seiner Ursprungsform hat sich eine Gruppe von Künstlern überlegt, dass Kunst sich immer beziehen muss auf tatsächliche Lebensumstände und die politische Situation. Damit ist das Happening ein Produkt dessen, dass die Bildende Kunst sich politisiert hat. Dass sie rausgeht aus den klassischen Kunst-und Kulturinstitutionen und auch aus dem universitären Kontext, raus auf die Straße, in alle möglichen Off Spaces und damit interaktiv vorgeht. Den Zuschauer auch zum Handelnden macht, ein interaktives Moment schafft. All diese Aspekte passen zu dem, was hier im Haus passiert, auch im Bezug auf die zeitliche Begrenztheit. Das Happening setzt eine Handlungsanweisung, und somit eine Dramaturgie voraus. Es ist ja nicht Dada und komplett spontan, sondern geplant, aber du weißt nicht was passiert. Die Kollaborateure beeinflussen letzten Endes, was innerhalb dieses Zeitraums geschieht.
Thomas Mandl: Unsere Zusammenarbeit begann schon im Buchladen und Studentencafé Lost Weekend, wo im Schaufenster eine Buchauswahl mit Amerikathemen und eine Videosequenz von Jamie Oliver mit seiner Anti-Trump-Kampagne präsentiert war. Diese Ecke wurde dann durch meine eigenen Anti-Trump-Plakate ersetzt. Später haben wir dann die „Protect the EU“-Serie von Wolfgang Tillmans aufgehängt, von dem wir auch wieder die Kampagne zur Bundestagswahl geschickt bekommen haben. Diese die Art, politisch zu werden, ist sehr schön. Überhaupt plakatieren wir sehr gerne. Unten an der Straße haben wir als allererstes Merkmal unserer Präsenz die Eingangstür zuplakatiert. Keine zehn Minuten später stand die Polizei auf der Matte und wir wurden dazu angehalten, sie sofort zu entfernen, denn es war drei Tage vor der Sicherheitskonferenz. Das ist ein lustiges erstes Promovideo für unser Haus geworden… Plakate sind somit definitiv ein Leitkonzept. Im historischen Treppenhaus funktionieren sie als einziger Eingriff in die bestehende Innenarchitektur. Wir überkleben die bestehenden Plakate jeweils und schaffen durch diese verschiedenen Layer wiederum eine Struktur, die optisch zur Collage passt.
Lissie Kieser: Dieses Layer-Prinzip ist in den Zimmern ebenso ein wichtiges Element. Auf der Suche nach einer Geste, die die Bestandsarchitektur in ein Hotel verwandeln und die neue Nutzart repräsentieren könnte, haben wir lange überlegt, womit wir uns der Räume bemächtigen. Wie macht man den Übergang von Abschottung zu Öffentlichkeit erlebbar? Wie kommt man von der Exklusivität einer Bank hin zu einem Ort, der sich mit Kultur und Gesellschaft auseinandersetzt? Wie greift man nicht zu sehr ein? Wie schafft man es, die vorhandene Architektur nicht komplett zu überschreiben? Es gab dann die Idee von Alexander Strubb, dem Kreativdirektor der RBSGROUP, für die Zimmer eine Art Softshell zu konstruieren, einen 360°-Vorhang mit Schienen, die den Raum einfassen. Wir haben an den dahinterliegenden Wänden nichts geändert, nicht mal gestrichen. Diese Art, mit Stoffen und Textilien eine dreidimensionale Collage anzufertigen, erinnert an dieselbe Verwendung von Paper, die durch das ganze Haus sichtbar ist. Chris Rehberger greift mit seinem Fadenvorhang rund um die Lobby dieselbe Idee mit aber auch die Schriftbildern in Leuchtbuchstaben auf.
Thomas Mandl: Hinter diesem Vorhang ist eine Sammlung von Sprüchen angebracht, die wir gesammelt haben. Chris Rehberger hat sie konform zur Philosophie der Double Standards Agentur modifiziert, deren Arbeit wir sehr schätzen. Die grafische Umsetzung ist extrem dynamisch gelungen, obwohl Typografie eigentlich etwas Statisches ist. Auch die illustrativ sehr starke Grafikdesignerin des Lovelace Hotels und treibende Kraft unseres Kreativteams, Lisa Miletic, hat in ihrem typografischen Konzept etwas sehr Prägnantes geschaffen, indem sie aus den Versalien der DIN Condensed einen politischen Wiedererkennungswert generiert. Als Google Font ist sie für jeden zugänglich. Nachahmung ist ausdrücklich erwünscht. Free download and use!
Roxana Höchsmann: Was grafisches Design betrifft, kollaborieren wir vor allem mit Magazinen, die sowohl inhaltlich als auch gestalterisch interessant sind – und die sonst an den Kiosken der Bahnhöfe und Flughäfen dieser Welt nicht so leicht zu finden sind. Junge Literaturzeitschriften, die ambitioniert versuchen, das Verlagswesen und auch sonst die gesamte deutschsprachige Literaturszene auf den Kopf zu stellen, wie „Block Magazin“, „Das Wetter“ aus Berlin und „edit“ aus Leipzig. Oder die longread Magazine „Reportagen“ und „SZ Langstrecke“, die für einen langatmigen Journalismus plädieren. Die „Makers' Bible" von melville brand design, die wir ganz geschickt jeweils auf den Nachtischen platziert haben, anstatt der üblichen Hotelbibel. Das sind insgesamt tolle Kooperationspartner, mit denen wir auch Veranstaltungen geplant haben. Von klassischen Lesungen über Live-Feuilletons und gewagten Ausstellungskonzepten ist so ziemlich alles vorstell- und durchführbar bei uns im Haus!
Lissie Kieser: Im Prinzip haben wir bei allem, auch der Einrichtung von hochwertigen Designern, auf vorhandene Kontakte und Beziehungen zurückgegriffen, die schnell abrufbar waren. Das Schöne ist ja, dass Anknüpfungspunkte vorhanden sind, wenn es ein konkretes Projekt gibt. Eine gute Gelegenheit für eine gemeinsame Aufgabe mit Unternehmen wie Vitra oder Designern wie Andreas-Martin-Löf, die wir kennen, mit denen wir schon erfolgreich gearbeitet haben oder auch mit Ikonen, die wir gut finden und gerne integrieren wollten. Auch mit Ideen, wie denen von Miranda July.
Roxana Höchsmann: Das Lovelace steht auch in der Tradition der Grand Hotels der 20er Jahre. Nicht nur äußerlich, mit den Bildern aus Wes Anderson’s „Grand Budapest Hotel“, denn die Symmetrie unseres historischen Treppenhauses lässt einen auf jeden Fall sofort an die imposante Pforte denken. Abgesehen davon ist das Grand Hotel auch ein Begegnungsort, gefüllt mit dem Nachdenken über Kunst von überall her, wie in den Geschichten Stefan Zweigs oder Marcel Proust. Gewünscht ist, dass sich Reisende aus aller Welt mit lokalen Kulturschaffenden bei einem Kaffee oder einem Glas Wein austauschen können. Ideen zusammen entwickeln und darüber nachdenken, was es heißt, global vernetzt zu sein. Ein Grand Hotel lebt durch seine Internationalität. Unser Personal spricht eben nicht nur Englisch, sondern auch Französisch, Spanisch, Niederländisch, Ungarisch oder Arabisch. So sind auch nicht-deutschsprachige Autoren bei uns willkommen und die Filme werden selbstverständlich in der Originalversion gezeigt. Genauso wünschen wir uns auch, dass die Gäste sich gerne an diesem kulturellen, salon-ähnlichen Austausch beteiligen.
Thomas Mandl: Hauptsächlich gleicht unser Hotel einem Grand Hotel von außen, weil wir so mondän aussehen, aber auch, weil wir den Fokus auf große Zimmer gelegt haben. Im Gegensatz zu den Hotels die sonst gerade aufmachen, betreiben wir hier schon fast Platzverschwendung! In manchen Zimmern haben wir 3 Meter Raum für den Koffer! Das Luxushotel, das nach unserem Projekt für dieses Gebäude geplant ist, entspricht dem genauen Gegenteil. Damit gelingt vielleicht zwar ein Viersternehotel, aber der Fokus liegt nicht auf Zimmer, sondern auf viele Zimmer. Dass ausschließlich gewinnmaximierend gedacht wird, war wegen unseren Pop Up-Umständen glücklicherweise gar nicht erst möglich. Mir schwirrt stets im Kopf herum, dass dieses vorhandene Konzept auch woanders funktioniert. In den letzten Monaten hat jeder aus dem Team unglaublich viel gelernt, zum Beispiel auch, wie so ein Hotel baulich funktioniert. Wie man in einer kurzen Zeit etwas hervorbringt. Allein, dass man dazu in der Lage ist!
Roxana Höchsmann: Wir wünschen uns, dass die aktuellen politischen, philosophischen und sozialen Diskurse hier geführt werden. Und genauso wie die Pflanzen in der Vertikalen nebeneinander gegenseitig befruchten, so sollen sich auch die Lovelace-Gäste gegenseitig beflügeln, über sich hinaus wachsen lassen. Wenn uns das gelingt, was die Pflanzen uns vorleben, nämlich die Atmosphäre lebendiger zu machen und die Luft nachhaltig zu verbessern, – dann ist das Projekt gelungen!
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