Am Ende dankt Svenja ihnen allen, der WG, sogar dem Exfreund, ihrem Lektor & Vater Willi Wamser, Lieferando, Professorinnen und Essie Nailpolish. Sie dankt für Blumen, für Zuspruch & Geduld, für Instagram Stories, Sushi ohne Fisch und Umbruch. Begonnen hat es eigentlich auch mit einem Ende. Dem einer zehnjährigen Liebesbeziehung, obendrein ein Krankheitsfall in der Verwandtschaft und genereller Erschöpfung; zurückgelassen ohne Motivation, dafür mit einem lahmgelegten kreativen Esprit, der zwar noch irgendwie vorhanden, aber überschattet war vom alltäglichen Wahnsinn des Existierens.
Was zwischendrin geschah, hat die Grafikdesignerin Svenja Wamser in eine rosafarbene Masterarbeit im Coffeetable-Book-Format verpackt und könnte es mittlerweile als das charakterisieren, was andere „Heilung" nennen. Die Druckerei Gotteswinter & Aumeier GmbH, ein qualitätsbewusstes Medienunternehmen mit der über 150jährigen Tradition, Originelles unter Bestleistung auf Papier zu bringen, hat sich der Produktion angenommen. So exkursiert die Masterstudentin auf dem classy Munken Polar Rough mit gelbem Farbschnitt und altrosa Kartonage im Umschlag in die Welt des Scheiterns, um sich hernach aus dem ihrigen herauszuschälen.
Und wir sind hier nicht bei „Eat Pray Love", bitches. Es geht tief.
Der Text tangiert den Kollektivimperativ nach der Auflösung der Sowjetunion.
Die Doppelwertigkeit von Prokrastination.
Adorno.
Intuitives Probierverhalten.
Sie zitiert Alanis Morrisette, Klaus Krippendorf, Byung-Chul Han und Stefanie Sargnagel. Bildet David Shrigley's „it's ok to run away from your problems" ab, Roozendaals hypnotische, absurd-geometrischen Websites, viele Socken, lackierte Nägel, grelle Accessoires, mehr Socken. Die Zeilen, ausschließlich in entschlossener, präsenter GT AMERICA gesetzt, schwanken zwischen der wissenschaftlichen Thesis und einem rhetorischem Bewusstseinsstrom der schrankenlosen Überforderung, der den Betrachter in poppige Mandalas aus Gekritzel und Überbelichtetem saugt. Die Versalien schreien: THINGS IN MY HEAD!
I JUMPED OFF THE BRIDGE AND DON'T KNOW WHY!
NERVOUS AND UNCERTAIN!
WAINTING FOR A VISION!
und erzählen vom Alltag der Protagonistin:
DEAR READER,
I FORGOT WATERING MY PLANTS -
INSTEAD I TOOK A SHOWER
IT WAS QUITE NICE
BUT LATER ON MY CAT WAS HUNGRY AND SO I HAD TO GO TO THE SUPERMARKET TO BUY SOME FOOD WHEN MY MOTHER CALLED AND REMINDED ME OF MY FATHER'S FRIENDS BIRTHDAY
WHEN I REALISED IT WAS YESTERDAY
A RAINY DAY AND SO I JUST WENT TO BED TO TAKE A NAP TO SORT THINGS OUT WORRYING ABOUT THE WEATHER AND WHAT TO EAT FOR FANCY DINNER AND WHEN TO FIND WHATEVER - THEN I REALIZED I FORGOT.
Es ist zeitweise anstrengend in Svenja Wamsers Kopf zu sein, denn sie spricht zwei Sprachen. Deutsch und Englisch. Sie spricht auch zwei Zustände: sachlich, belesen, reflektiert, mondän und laut, kindisch, unstrukturiert, spontan. Dieses Reibungsfeld beschreibt sie auch in ihrem Diskurs über die Verschränkung von Theorie und Praxis. „Denken durch Beobachten des vorausgegangenen händisch Getanen steht in einem wechselseitigen Spannungsverhältnis." Sie gibt ebenso dem Layout eine textuelle Rationalität, die sich dem Künstlerischen widersetzt; in der assoziativen Gestaltung walten unbemühte Striche, willkürliche Farben, und Musterschemata, die auf American Apparel Leggings gedruckt im Verkauf landen würden, wenn es die Textilfirma noch gäbe.
Was es auch nicht mehr gibt: eine Belastung, die auf Svenja lastet, sich vom Scheitern zu distanzieren. Man kann doch genauso einfach draus lernen; es verwenden, es aufbereiten. „Scheitern treibt dich voran", sagt sie im Interview und hat so verdammt recht. Eine Generation, die Selbstverwirklichung mehr anstrebt, als einen Bausparvertrag, die kann gar nicht genug Publikationen empfohlen bekommen, die sich mit dem Fehlerhaften, dem persönlichen wie allgemeinen Desaster auseinandersetzen.
Gerade wo die politische Rhetorik sich bis ins Unermessliche in Extreme steigert, wo alles immer gleich in Reizworten, simpler Syntax und wildem verbanden Herumgefuchtel publiziert und auf allen Kanälen „Convefe" geplärrt wird, da ist Entschleunigung umso so wichtiger. Eine Masterarbeit wie diese als kreativen Schutzraum zu nutzen, sich den Grundfesten der gestalterischen Leistung wieder von den Fundamenten her anzunähern, aber gleichzeitig zum Gegenstand philosophischer, wissenschaftlicher Recherche zu machen, sollte bereits viel früher zum obligatorischen Inhalt von Grafikdesign-Studiengängen gemacht werden. Zum Wissen aller, dass die fröhliche, losgelöste Praxis nur mit fundierter, theoretischer Wahrheit ein nützliches Konglomerat der Inspiration zu sein in der Lage ist.
„Ich habe mir diese Arbeit gegönnt", lacht Svenja, im augenscheinlichen Oxymoron. Die Psychologie spricht von einer Katharsis als Befreiung von einem intensiven seelischen Konflikt durch eine profunde emotionale Handlung; seit der aristotelischen Poetik ist die Kartharsis letztlich die Reinigung als Effekt einer verhängnisvollen Tragödie. Sich als getriebene Grafikerin dem Design eines persönliches Desasters zu verschreiben, um aus ebenjenem als Siegerin hervorzugehen, finalisiert Svenja mit dem Mantra „FORM FOLLOWS FUN".
Text: Sonja Steppan
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