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Alte Handwerkskunst bewahren

Alte Handwerkskunst bewahren

Wenn ein Handwerksgeselle früher seine Gesellenprüfung bestanden hatte, sprach ihn sein Meister „frei“. Danach ging es für viele junge Tischler, Zimmerleute, Maurer, Dachdecker oder Steinmetze für drei Jahre und einen Tag „auf die Walz“.

Das war lange Zeit sogar Pflicht. Wer nicht auf der Walz gewesen war, konnte nicht Meister werden. Dem Wohnort durften die jungen Gesellen während ihrer Wanderjahre außer in extremen Notlagen nicht näher als 50 Kilometer kommen. So streng sind die Regeln für Sabine Fehmer auf ihrer Walz für Handsatz und Buchdruck nicht. 

„Ich darf schon nach Hause“, sagt Sabine Fehmer. Das Druckatelier von Annette C. Dißlin in Oppenwehe war jetzt die zweite Station der gelernten Druckvorlagenherstellerin aus dem Kreis Wolfenbüttel. Der Grundgedanke des Jahrhunderte alten Rituals gilt jedoch auch für sie: In unterschiedlichen Betrieben arbeiten, verschiedene Arbeitstechniken erlernen, neue Orte sehen und neue Menschen kennenlernen.

Angeboten wird die „Buchdruck-Walz“ vom Verein für die Schwarze Kunst Dresden. „Das ist ein super Angebot“, finden Sabine Fehmer und Annette C. Dißlin.

Nachdem sowohl der Schriftsetzer als auch der Buchdrucker keine Ausbildungsberufe mehr sind, lebt das Wissen um den Umgang mit den Bleischriften und Buchdruckpressen hauptsächlich weiter in Druckateliers und Werkstätten. „Es ist wichtig, dass diese Erfahrungen erhalten bleiben, ausgetauscht und an die nächste Generation weitergegeben werden“, unterstreicht Annette C. Dißlin. 

Das Druckatelier The Fork and Broom Press in Oppenwehe ist eine von insgesamt 18 Druckwerkstätten in Deutschland, Österreich und der Schweiz, bei denen Termine zur „Buchdruck-Walz“ vereinbart werden können. „Ich fühlte mich ermuntert mitzumachen und habe mich beworben“, sagt Sabine Fehmer.

Eigentlich richtet sich die „Buchdruck-Walz“ eher an jüngere Menschen. Sabine Fehmer habe mit Fug und Recht Platz bekommen, betont Annette C. Dißlin. Sabine Fehmer leitet die Druckwerkstatt an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und wird das Erlernte ihrerseits an die Studierenden weitergeben. 

Die erste Station ihrer Walz führte sie zu Willi Beck in Dachau, Vorstandsmitglied des Vereins. „Er hat eine Werkstatt auf kleinstem Raum“, berichtet Sabine Fehmer. Die nächste Station werde eine Spielkartenfabrik, ein Museumsbetrieb, in Stralsund sein. „Das reizvolle ist, dass alle drei Werkstätten einen anderen Ansatz haben und andere Handdruckpressen“, sagt Annette C. Dißlin.

Die Buchkünstlerin arbeitet seit rund 25 Jahren in ihrem eigenen Druckatelier, seit 2017 auf einem Resthof in Oppenwehe. „Meine Handdruckpressen von 1956 und 1964 laufen noch wie ein Uhrwerk. Es ist eine faszinierende Sache, was man alles mit Muskelkraft machen kann“, unterstreicht Annette C. Dißlin. „Und trotzdem sind super Ergebnisse zu erzielen“, ergänzt Sabine Fehmer. 

Leider werde der Bestand an Bleisätzen immer geringer. Die letzte Gießerei habe ihres Wissens nach dicht gemacht. „Dementsprechend sind es wahre Schätze, die hier in der Werkstatt lagern“, betont Sabine Fehmer. „Ich möchte zeigen, welche guten Sachen man damit machen kann.“ Handsatz sei viel mehr nur ein analoges Aneinanderreihen von Buchstaben, sagt sie. 

Die künstlerischen Drucktechniken seien aus gutem Grund immaterielles Unesco-Kulturerbe, verdeutlicht die Oppenweherin Annette C. Dißlin. Die Erfindung Johannes Gutenbergs, der Buchdruck mittels auswechselbaren Metalllettern und Druckerpresse, hat im 15. Jahrhundert eine Zeitenwende angestoßen und die Grundlage für heutige Kommunikationstechnologien gelegt.

Trotz aller Entwicklungen hätten Bleisatz und Handdruckpressen überhaupt nichts Angestaubtes, im Gegenteil, vertreten die beiden Frauen. „Es lassen sich damit richtig gute, frische und moderne Projekte realisieren. Das Gewerk ist immer noch etwas, das ins heutige Leben passt“, unterstreicht Annette C. Dißlin.