Solveig Michelsen

Reise-, Berge-, Outdoor-Journalistin, Tutzing

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Reisen als Schlüssel zum Glück

Was macht den Menschen glücklich? Geld, Macht, Erfolg? Kurzfristig vielleicht und nicht jeder trachtet nach diesen oberflächlichen Bedürfniserfüllern. In der heutigen Zeit sind ganz andere Dinge wichtig geworden: Zeit für sich selbst, Gelegenheiten zum Staunen und Eintauchen in Neues, Unbekanntes. Und wo lässt sich das besser erfahren als auf Reisen?

Warum macht uns Urlaub so glücklich? | © svetikd, iStock


Laut einer weltweiten Studie von booking.com ist fast der Hälfte der Menschen (49%) das Reisen wichtiger als das Heiraten (!). 70% gaben an, dass sie das Reisen materiellen Dingen vorziehen würden. Und 77% benutzen Urlaub als eine Art „Aufmunterungsspritze“. Befragt wurden über 17.000 Menschen aus 17 Ländern, die kürzlich eine Reise unternommen hatten, also bereits mit dem Urlaubsvirus „infiziert“ waren. Aber trotzdem fragen wir uns: Warum kann Reisen so glücklich machen?

Zunächst einmal kommt es natürlich auf die Motive und die Wahl der Reiseart an. Die einen möchten einfach einen entspannten Urlaub genießen und möglichst großen Abstand zur Routine des Alltags gewinnen. Diese Zielgruppe freut sich über eine luxuriöse Unterkunft und ein Rundum-Sorglos-Paket. Sich verwöhnen lassen, die Seele baumeln lassen, an nichts denken müssen – das schaffen wir zu Hause nur schlecht: Jeder umherschweifende Blick erinnert uns an unsere To-Do-Liste, jeder Gegenstand ist so vertraut, dass wir ihn gar nicht mehr bewusst wahrnehmen. Anders im Urlaub: Alles ist neu, alles ist anders, da schaut man genauer hin, wägt ab – und freut sich darüber. Nichts erinnert einen daran, dass der Keller aufgeräumt werden müsste, die Steuererklärung wartet oder oder … Mitten in eine neue Umgebung verpflanzt, fühlt man sich oft leichter und unbeschwerter. Alte Rollen lassen sich einfacher abschütteln, neue ausprobieren. Ausbrechen aus der Routine, bewusstes Wahrnehmen, Verschieben der eigenen Grenzen – alles Zutaten zum Glück, die wir zu Hause nur mühsam integrieren können.

Gleiches gilt auch für die Reisenden, die auf der Suche nach intensiven Begegnungen, neuen Eindrücken oder gar Abenteuer sind. Ein Zusammentreffen mit einer andersartigen Kultur erfrischt den Geist: Es gibt eine Menge zu staunen, zu ergründen und vielleicht auch zu belächeln. Man zieht Vergleiche, stellt die eigene Lebensart in Frage oder pickt sich ein paar Rosinen heraus, die sich eventuell integrieren lassen. Oder zumindest einen Versuch provozieren. Man reflektiert und erweitert seinen geistigen Horizont, verlässt auch hier die immer gleichen Denkschienen des Alltags und bekommt frischen Input und neue Ideen.

Selbst nach dem Urlaub oder der Reise hält der Glücksschub noch an: Beim Aussortieren der Bilder kommen die Erinnerungen zurück, ordnen sich neu ein und verfestigen sich, wenn man die Geschichte ein paar Mal erzählt hat. Überhaupt hat man was zu erzählen! Etwas ganz Wesentliches vielleicht, das der existenziellen Sinnfrage erstaunlich nahe kommt. Warum lebt dieses Volk so und nicht anders? Warum machen wir es auf ganz andere Weise? Aus nebensächlichen Beobachtungen können sich kleine Umwälzungen in unserem Leben ergeben. So geschah es der Autorin, als sie in Barcelona beim Eintreffen der U-Bahn niemanden, aber auch wirklich niemanden lossprinten sah, um diesen Zug noch zu erwischen. Das, was sie bisher für einen natürlichen Reflex gehalten hatte, war plötzlich ad absurdum geführt worden. Eine Erinnerung, die nun immer mit einem Lächeln einher geht.

Dass die Glücksgefühle sich schon vor der Reise einstellen, hat die o.g. Studie ebenfalls untersucht und eine „Glückskurve“ erstellt. Auch wenn dieser zufolge das größte Glücksfeeling am ersten Urlaubstag auftritt (87%), ist die Vorfreude ein wesentlicher Bestandteil des eigentlichen Urlaubs. Denn in der Zeit zwischen Buchung und Reiseantritt holt sich mehr als ein Drittel der Befragten einen Glücksschub, indem es ein- oder mehrmals täglich an seinen Urlaub denkt (39%). Während der Vorbereitung macht es 80% aller Befragten glücklich, Karten zu studieren und nach Orten für einen Besuch zu forschen. Mehr als die Hälfte sinniert über die Urlaubsgarderobe oder geht dafür shoppen (52%). Fast 80% aller Befragten und sogar 85% aller deutschen Umfrageteilnehmer genießen es, sich vorab Bilder von Reisezielen und schönen Unterkünften anzusehen. Zwei Drittel (61%) lesen gerne Bewertungen über ihre Unterkunft. Für fast ebenso viele (62%) ist es ein gutes Gefühl, ihre Abwesenheitsnotiz zu schreiben und ihren Arbeitsplatz zu verlassen – ganz nach dem Motto „Ich bin dann mal weg“.

Weg sein, abtauchen können, dem Alltag entfliehen – es sollte uns eigentlich zu denken geben, dass der Urlaub einen so hohen Stellenwert einnimmt. Was sagt uns dies über unsere Zufriedenheit im Alltag? Doch das ist eine tief gehende Frage. Und die heben wir uns auf – für den nächsten Urlaub.


von Solveig Michelsen