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Irans feministischer Mullah?

Freitagnachmittag ist für viele Iranerinnen zu einem allwöchentlichen Pflichttermin in ihrer Protestroutine gegen das Regime geworden. Dann heißt es wieder Klartext von einem, der schon so lange den Machthabern in Teheran die Meinung geigt. Ganz öffentlich und ohne Maulkorb, auf dem Gebetsplatz in Zahedan, der Hauptstadt der Provinz Sistan-Belutschistan im Südosten Irans. Tausende versammeln sich dort vor Ort, und noch mehr vor dem Livestream zu Hause um Abdolhamid Ismaeelzahis Freitagspredigt zu lauschen.



Ismaeelzahi, denn alle Maulavi – sein religiöser Titel - Abdolhamid nennen, sitzt auf der mintgrün gepolsterten Bank, hält sich mit einer Hand an einem Stock fest und gestikuliert mit der anderen, während er ins Mikro spricht, mitunter auch brüllt. 75 Jahre alt, Sunnit, Geistlicher – und eine der bekanntesten Fürsprecher der aktuellen Protestbewegung. Unter Irans knapp zehn Millionen Sunniten, die im mehrheitlich schiitischen Gottesstatt eine Minderheit darstellen, ist Ismaeelzahi seit mehr als 30 Jahren eine große Nummer. Doch in den vergangenen Monaten hat sich seine Fanbase beträchtlich erweitert.  Von der Schiitin aus Isfahan über den Atheisten in Teheran bis hin zur Exiliranerin in Los Angeles.  Sie alle hängen dem Prediger jeden Freitag an den Lippen, wenn er Woche für Woche dem Regime in seiner Predigt die Leviten liest. Wenn er die Machthaber anprangert für den Gewaltexzess gegen die eigene Bevölkerung, sie für die Hinrichtungen aufs Schärfste verurteilt. Wenn er an diese 80-und 90-jährigen Männern appelliert, keine Entscheidungen für die Jungen zu treffen, den Protestierenden doch zuzuhören. Ihren Forderungen nach Pressefreiheit, sich versammeln zu dürfen, Parteien zu gründen, doch nachzukommen. „Sie protestieren für eine gute und helle Zukunft. Ihre Wünsche sollten erfüllt werden“, sagt er.

Und, wenn er sich für die Frauen einsetzt. Es ist vermutlich, was am meisten irritiert, werden doch konservative Geistliche im stramm misogynen Lager verortet. Doch Ismaeelzahi bricht in seinen Reden mit dieser Vorstellung. „Diese Frauen wurden missachtet und gedemütigt. Weil ihnen alles vorenthalten wird und die Kopfbedeckung das einzig Wichtige für die Regierung ist, zünden sie die Kopftücher an“, sagt Ismaeelzahi und zeigt Verständnis. Er war auch einer der Ersten, die nach dem Tod von Mahsa Jina Amini in der Haft der Sittenpolizei am 16. September – noch am selben Tag -  eine transparente Untersuchung gefordert haben. In den Wochen danach kam er erst richtig in Fahrt, verlangte gar ein Referendum unter Aufsicht internationaler Beobachterinnen, in dem die Iraner selbst über ihre Zukunft abstimmen und das System wählen sollten, in dem sie leben möchten. Außerdem macht er Revolutionsführer Ali Khamenei, die oberste Autorität des Landes, persönlich für das Blutbad in Zahedan nach dem Freitagsgebet am 30. September verantwortlich, bei dem Regimeschergen mit scharfer Munition gegen Protestierende geschossen haben. 


Kein Wunder also, dass jeden Freitag mit Spannung erwartet wird, was Maulavi Abdolhamid wieder zu sagen hat. Es ist einzigartig, wenn man bedenkt, dass die Geistlichen im Iran seit dem Beginn der Islamischen Republik 1979 für die Gegnerinnen des Regimes das Feindbild schlechthin sind. Sie repräsentieren schliesslich den Gottesstaat. Nicht umsonst hat es sich in den vergangenen Monaten zu einem Volkssport – und einer Mutprobe - unter jungen Protestierenden entwickelt Mullahs beim Vorbeigehen den Turban vom Kopf zu stossen. Wie konnte ausgerechnet ein konservativer Freitagsprediger, der in den gleichen islamistischen Deobandi-Schulen in Pakistan gelernt hat, wie die späteren Taliban, es in einer feministischen Protestbewegung zu solcher Beliebtheit bringen? Haben die Protestierenden in Ismaeelzahi tatsächlich einen Verbündeten gefunden oder nur einen Opportunisten, der die Gunst der Stunde für seine persönlichen Ambitionen zu nutzen weiß? Ist er nur ein religiöser Wolf im Schafspelz, der dem Volk nach dem Mund redet und es dann übertölpelt? So wie es schon einmal war?


Solidarität mit Atheistinnen


Der Politologe Hessam Habibi Doroh von der FH Campus Wien winkt ab. Seit Jahren studiert er Ismaeelzahis Reden. „Er will nicht der geistliche Führer aller Iraner sein“, erklärt er, „doch er hat immer versucht ein Repräsentant für alle Minderheiten zu sein.“ Daher spielen sie in seinen Predigten auch eine zentrale Rolle. „Wir sind alle Iraner, von den Zaratustriern, Derwischen (...)bis zu den Bahai, auch sie sind Menschen und haben Rechte. Alle, die hier im Iran leben, haben Rechte“, sagt er am 2. Dezember. Bewusst betone er dabei all jene religiösen Gruppen, die unter den stärksten Repressionen im Iran leiden. Vier Wochen später ging er sogar einen Schritt weiter: „Auch wenn jemand Gott nicht akzeptiert, darf er nicht seiner Menschenrechte beraubt werden.“ Das ist der absolute Tabubruch. Ein Geistlicher, der sich in einem Gottesstaat für die Rechte von Atheistinnen stark macht? Was passiert da gerade?


„Das ist nicht neu“, relativiert Forscher Doroh. Auch nicht der Einsatz für Frauen.  Schon in den 1990er Jahren habe er darauf bestanden, dass auf den Listen für die Kommunalwahlen Kandidatinnen aufgestellt werden, die er dann unterstützt hat, erinnert sich Doroh. Er entkräftet den Verdacht, dass Ismaeelzahi sich nur auf Grund der Protestbewegung so progressiv äußert. Seit Jahren tue er das. Es gehöre gewissermaßen zu seiner Legacy.


Geboren 1947 in Galougah, einem Vorort Zahedans, ist er der Schwiegersohn und Zögling von Molana Abdolaziz Mollazade, einem der prominentesten sunnitischen Geistlichen Irans. Dieser legte den Grundstein für die Makki-Moschee in Zahedan, den größten sunnitischen Gebetskomplex des Landes, und die dazu gehörende Darululoom-Religionsschule. Nach seinem Tod 1987 übernahm Ismaeelzahi die Leitung der Lehrstätte und machte sie zu einem sunnitischen Gelehrten-Zentrum, auch jenseits der Landesgrenzen. Mit seiner Kritik am Regime trat er ebenfalls die Nachfolge seines Schwiegervaters an. Dieser kritisierte bereits nach der Revolution 1979 die Benachteiligung der sunnitischen Minderheit in der neuen Islamischen Republik. Die Diskriminierung sollte sich in den folgenden Jahren nur verfestigen. Sunniten wurden von allen höheren Positionen in der Politik, Justiz und im Sicherheitsapparat ausgeschlossen, wogegen Ismaeelzahi ab den 1990er Jahren zu lobbyieren begann, zunehmend auch politisch. Bei Wahlen unterstützte er offiziell immer die Liste jener Kandidaten, die als „reformistisch“ oder zumindest „gemäßigt“ galten – in der Hoffnung, dass eines Tages Sunniten auch Minister, Richter und Generäle stellen würde. Ohne Erfolg. Das Regime hielt starr an der inoffziellen No-Sunni-Policy fest.




Die ärmste Provinz des Landes 


Doch es ist nicht die einzige Front an der Abdolhamid Ismaeelzahi kämpft. Als Belutsche zählt er zu der diskriminiertesten Ethnie des Landes. Knapp zwei Millionen Menschen gehören der Volksgruppe im Iran an. Und obwohl sie gerade einmal drei Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachen, gehören 21 Prozent aller hingerichteten Personen der Minderheit an. 

Die Ethnie ist vorrangig beheimatet in  Afghanistan, Pakistan und im Südosten Irans, der zweitgrößten Provinz des Landes: Sistan-Belutschistan. Wer Menschen aus dem Iran auf die Provinz anspricht, bekommt ein trauriges Kopfschütteln. Rückständig sei es dort, zutiefst patriarchal, fast schon archaisch mit seinen Stammesstrukturen und den Clanchefs, die in der Gesellschaft mehr zu sagen haben als jede politische Instanz.  Wo manche Menschen noch nicht einmal über Personalausweise verfügen würden, weil sie es sich entweder nicht leisten können oder nicht wollen, um in keiner staatlichen Datenbank aufzutauchen. Wo viele Männer sich als Schmuggler verdingen müssten, weil es sonst keine Jobs gibt und die Grenzen zu Pakistan und Afghanistan trotz des hohen Sicherheitsaufgebots immer noch durchlässig genug seien. Und wo die Frauen zu den ärmsten und ungebildetsten der Nation zählen würden. Die Statistiken tragen ein Übriges zu diesem Bild bei. Die Provinz führt jedes Negativranking an: von der höchsten Armut und Analphabetenrate bis hin zur niedrigsten Lebenserwartung.


Die Menschenrechtsaktivistin Fariba Baloch kennt das Bild ihrer Landsleute von ihrer Heimatregion. Sie ist sehr darauf bedacht, zu betonen, dass dieser Zustand in ökonomischen und politischen Fehlentwicklungen wurzelt – und nicht in der Kultur und der Religion der Menschen begründet ist, wie es das Regime weismachen will. Wer nicht dort gelebt habe, könne sich das Ausmaß der Deprivation nicht vorstellen, meint sie. Ihre ersten 36 Lebensjahre hat sie in Sistan-Belutschistan verbracht, bis sie vor drei Jahren nach England zog. Im Gegensatz zum Rest des Irans, wo das Gros der Bevölkerung in Städten lebt, wohnen hier viele Menschen in entlegenen Dörfern, oft abgeschnitten von jeder Zivilisation. Frauen würden zu Hause gebären, weil das nächste Krankenhaus zu weit weg sei. Als Lehrerin ist Fariba Baloch in der Provinz viel herumgekommen und musste zuweilen miterleben, dass noch nicht einmal die Vororte von Städten an das Wasser-und Stromnetz angeschlossen waren. Die Infrastruktur liegt brach, als wäre man vergessen vom Rest der Welt. Die Schulen, in denen Baloch unterrichtete, waren auf Initiative von Privatpersonen gegründet worden – nicht vom Staat.  Für die ehemalige Lehrerin ist das eine bewusste Strategie des Regimes gegenüber ihrer Volksgruppe. „Bildung schafft Bewusstsein. Wenn die Menschen gebildet sind, wehren sie sich und kämpfen für ihre Rechte“, sagt sie, „Und das wollte die Islamische Republik in Belutschistan verhindern.“


Zahedans blutiger Freitag 


Irans Machthaber haben seit Ende des 19. Jahrhunderts einen Argwohn gegenüber den Belutschinnen. Sie haben immer befürchtet, dass sie sich mit ihren Brüdern und Schwestern jenseits der iranischen Grenzen zu einem unabhängigen Groß-Belutschistan vereinigen würden, ein Traum der von einigen Gruppen durchaus gehegt wurde. Ähnlich wie bei den Kurdinnen, nutzten auch hier die Machthaber, ob Monarchen oder Mullahs, das Narrativ über die separatistische Minderheit, die sich von der Nation Iran abspalten wollen würde. Dass sich 2003 dann die islamistische Terrororganisation „Jundullah“ (Soldaten Gottes) formierte, die es sich zum Ziel setzte für die Rechte unterdrückter Sunniten im Iran zu kämpfen, spielte dieser Erzählung dankbar in die Hände. Zahlreiche Anschläge gehen zurück auf die Organisation, insbesondere in der Amtszeit von Präsident Mahmoud Ahmadinejad(2005-2013), der selbst bei einem Besuch in Sistan-Belutschistan angegriffen wurde. Sein Leibwächter wurde dabei getötet. Auch in den Jahren darauf kam es immer wieder zu Anschlägen und Geiselnahmen.

Daher nickt der Rest des Landes, wenn das Regime von den „Terroristen“ da unten redet. 


Doch nach dem 30. September 2022 hat sich das geändert, beobachte Baloch. Der „Blutige Freitag“,  wie das Datum genannt wird, ist längst in die Geschichte eingegangen, war es doch der bislang tödlichste Tag der aktuellen Protestbewegung. Damals haben ein paar Gläubige nach dem Freitagsgebet auf dem Mossalah-Gelände, dem überdachten Platz, wo Abdolhamid Ismaeelzahi allwöchentlich seine Predigt abhält, sich vor einer Polizeistation versammelt. Sie schrien Parolen und warfen Steine. Auslöser waren neben den aktuellen Protesten zudem Berichte über einen Polizeikommanden aus der Hafenstadt Chabahar, der eine 15-jährige Balutschin im Juni vergewaltigt haben soll. 

Konsequenzen hatte das nicht für den Mann. Kein Prozess, keine Suspendierung, keine Aufarbeitung, nichts. Die Menge war aufgebracht. Die Sicherheitskräfte reagierten mit scharfer Munition - und zwar weitflächig. Man schoss auf Bystanders, auf Gläubige, die sich noch in der Mossalah aufhielten, auf solche, die auf dem Weg nach Hause waren. Mindestens 66 Menschen sind an dem Tag getötet worden, in den Tagen darauf stieg die Zahl auf 92. Das Regime behauptete, dass bewaffnete Terroristen für die Ausschreitungen verantwortlich waren. Doch dieses Mal fiel niemand auf die Staatspropaganda herein, erzählt Fariba Baloch: „Das Regime hätte nicht erwartet, dass es diese Solidarität im Land mit uns Belutschen gibt. Das denkt sich: ich habe 43 Jahre hier gemordet und keiner hat etwas gesagt. Jetzt aber schon.“ Auch sie hat die Sympathiebekundungen ihrer Landsleute überrascht, das tut es immer noch. Wenn sie Vorträge in Europa hält, kommen viele nicht-belutschische Iranerinnen auf sie zu, umarmen sie und entschuldigen sich unter Tränen: „Verzeiht uns, wir wussten in all den Jahren nicht, was in Belutschistan passiert.“


Wo sind die Belutschinnen?


Heute führen die Menschen aus der Provinz die Todesstatik der Opfer der aktuellen Protestbewegung an. Ähnlich wie in den kurdischen Gebieten hält sich der Repressionsapparat der Islamischen Republik hier nicht zurück. Woche für Woche nimmt die Militärpräsenz zu, unter anderem auch deswegen, weil die Proteste trotz der blutigen Niederschlagung nicht abebben. Nach jedem Freitagsgebet stehen die Menschen wieder auf der Straße. In vielen Videos sind ausschließlich Männer zu sehen. Doch wo sind die Belutschinnen? Tun sie es ihren Schwestern im Rest des Landes gleich?

Bedingt, auf ihre Art. 

Als im November im Netz das Bild einer Belutschin auftauchte, die auf einer Lehmwand die Parole „Frau, Leben, Freiheit“ schrieb, wusste Feministinnen im ganzen Land, was das bedeutet. Wie groß dieser Akt des Widerstands war. „Es ist ein großer Unterschied, ob das eine Frau in Teheran macht oder in Belutschistan“, sagt Fariba Baloch, „Der Druck, der auf dieser Frau lastet ist größer, weil sie ihn nicht nur vom System erfährt, sondern auch von der lokalen Gesellschaft.“ Es ist nicht gerne gesehen, wenn Mädchen und Frauen demonstrieren. Trotzdem passiert es. Ihr Protest offenbart die verschiedenen Nuancen der Bewegung, wenn etwa verschleierte Balutschinnen auf die Straßen gehen und schreien: „Ob mit oder ohne Hijab, alle in Richtung Revolution.“ Das Bewusstsein für den feministischen Kampf sei auch in der zutiefst patriarchalen belutschischen Gesellschaft gegeben, meint Fariba Baloch. Sie beobachte wie lokale Frauengruppen wachsen, die anonym im Netz ihren Widerstand dokumentieren und kommentieren. Da wäre etwa die „Dasgoharan“, die auf Instagram als „The voices of Baluch Women“ regelmäßig Statements veröffentlicht und das Bild der unwissenden und bemitleidenswerten Belutschinnen zurechtrückt: „Ihr habt ihre Aktivitäten nicht verfolgt, ihr kennt ihre Herausforderungen und Erfolge nicht.  Ihr habt nichts von ihnen und ihren Aktivitäten gehört und ihr denkt, dass sie heute auf der Straße geboren wurden! Wir sagen ehrlich: Vergesst das Bild der minderwertigen Frau, die in den Tiefen der Schwärze versunken ist“, schreiben die Dasgoharan unmittelbar nach Ausbruch der Proteste im September auf Instagram.  Sie kritisieren auch religiöse Würdenträger wie Abdolhamid Ismaeelzahi. „Die Worte von Maulavi Abdolhamid in dieser Woche überraschten viele. Er sprach über Bürgerrechte, Freiheit, Bildung für Mädchen und sogar den Hijab. Seine Worten erregten sogar die Sympathie einiger Anhänger der Protestbewegung und Schiiten“, heißt es in einem weiteren Post, „doch obwohl Molavi kein Funktionär im herrschenden System ist, war die Makki-Bewegung (Anm. Abdolhamids Zentrum) nie ein machtloser, passiver Zuschauer ohne Verantwortung bei der Schaffung der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation.“

Auch ihn, den beliebten Geistlichen, macht die Gruppe für die Zustände verantwortlich. So habe Ismaeelzahi anfangs in seinen Predigten gar nicht über die Frauen gesprochen, das passierte erst nach Unterredungen mit Aktivistinnen. Ihn daher als den großen Frauenrechtler zu feiern, sei falsch.


„Einen Preis für Frauenrechte nach westlichen Standards wird er keinen gewinnen“, sagt auch Politologe Hessam Habibi Doroh.  Zuletzt wurde Ismaeelizahi gar der Preis aberkannt, der ihm 2014 für seinen Einsatz für Frieden und Minderheitenrechte überreicht worden war. Im August 2021 hat das Zentrum für Menschenrechtsverteidiger die Auszeichnung zurückgezogen, nachdem er den Taliban zu ihrem Sieg in Kabul gratuliert hatte. Ismaeeelzahi hat den Menschen damals nahegelegt, die „negative und einseitige Propaganda“ gegen die Taliban nicht zu beachten. Sie seien „reformierbar.“ Mittlerweile kritisiert er hingegen seine ehemaligen Gefährten, mit denen er in der Religionsschule in Pakistan als junger Mann die Schulbank gedrückt hat. Sie sollen den Mädchen und Frauen ihr Recht auf Bildung nicht verwehren. Zu einer Verurteilung des Taliban-Regimes reicht es aber nicht.


Auch Menschenrechtsaktivistin Fariba Baloch macht sich nicht vor, dass es sich bei Abdolhamid Ismaeelizahi um eine feministische Lichtgestalt handelt. Und dennoch: „Vielleicht kann er von seinem Wesen als Geistlicher kein Feminist sein, aber was er sagt um die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ zu verteidigen, das ist wirklich feministisch.“


Das weiß auch das Regime. Schon lange ist der sunnitische Würdenträger den Machthabern mit seiner offenen Kritik ein Dorn im Auge. Nicht umsonst hat man ihm bereits 2010 den Pass abgenommen und zu verhindern versucht, dass er auf Reisen noch mehr Anhängerinnen gewinnt. In den vergangenen Monaten ist jedoch genau das passiert, dieses Mal sogar jenseits der eigenen Ethnie und Religionsgemeinschaft. Regimedelegationen wurden nach Sistan-Belutschistan geschickt, um Ismaheelizahi einzuschüchtern, damit er aufhört mit seinen aufrührerischen Predigten.  Mittlerweile sind mehrere sunnitische Geistliche festgenommen worden, zuletzt ein enger Berater Isameelzahis. Aus vertraulichen Bulletins der Revolutionsgarden, die von der Hackergruppe „Black Reward“ im November geleakt wurden, geht hervor, dass es auch Pläne gab, sich Isamaeelizahis selbst zu entledigen. Revolutionsführer Ali Khamenei persönlich soll angeordnet haben, dass Maulavi Abdolhamid nicht verhaftet, sondern nur „blamiert“ werden solle. 

Von einer Festnahme Ismaeelzahis geht niemand aus. Das wäre zu unvernünftig selbst für eine Islamische Republik, die um ihr Überleben fürchten muss. Würde Irans wichtigsten Sunniten etwas passieren, wären nicht mehr nur ein paar Tausend auf der Straße in Zahedan, sondern das ganze Land wäre mobilisiert. Offenbar haben selbst Irans Machthaber zumindest ein Plakat der Protestierende aus Sistan-Belutschistan ernst genommen: „Unsere rote Linie ist Maulavi Abdolhamid.“ Eine Linie, die selbst sie zu überschreiten sich nicht trauen. Bislang.


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