Die Revolution frisst ihre Kinder. Diese Weisheit ist so abgedroschen wie wahr für die Islamische Republik, macht sie doch seit der Revolution 1979 nichts anderes. Stolz sind Irans Machthaber auf diesen Appetit. Nicht umsonst beschwört Revolutionsführer Ali Khamenei auch heute den mörderischen Geist der Anfangstage der jungen Republik, wenn er in seinen Reden sagt: „Der Gott von 2022 ist derselbe Gott wie von 1980“. Damals begann das Regime die ersten „Feinde“ der Revolution zu Tausenden zu verfolgen und zu exekutieren. Auch aus den eigenen Reihen.
Das tut es nun wieder. Am Samstag wurde Alireza Akbari hingerichtet. Das ist nicht irgendwer. Kein junger Mann ohne Kontakte zum inneren Zirkel der Macht, den man mal einfach so aufklaubt bei einer Demonstration, unter fadenscheinigen Gründen einen Schauprozess macht und dann exekutiert. Akbari war Politiker, Berater bei den Atomverhandlungen und der ehemalige Stellvertreter des einstigen Verteidigungsministers Ali Shamkhani. Drei Jahre war der iranisch-britische Doppelstaatsbürger Akbari inhaftiert, bis er wegen dem Vorwurf der Spionage für den britischen Geheimdienst MI6 zum Tode verurteilt und schließlich hingerichtet wurde. Es ist ein Signal an alle Seiten. An die internationale Community: Seht her, wir können auch eure Staatsbürger umbringen! Und es ist ein Signal in erster Linie an die eigenen Leute: Obacht! Es kann jeden treffen, egal, wie wichtig er ist oder einmal war.
Das Regime braucht diese Art der Machtdemonstration, denn es ist nervöser denn je. Seit Beginn der Proteste vor vier Monaten ächzt die Maschinerie in ungewohnter Manier. Zu zaghaft äußert sich die Elite in der Verurteilung der Demonstrierenden. Sowohl Geistliche als auch Sicherheitskräfte sind verdächtig zurückhaltend, so sehr, dass Präsident Ebrahim Raisi sie schon öfter zur Räson gerufen hat, doch vorzutreten und ihre Loyalität zur Islamischen Republik mal etwas lauter gegen die „Unruhestifter“ zu artikulieren. Zu oft tauchten auch Berichte auf von Regimeschergen, die sich über die Hartnäckigkeit und die Fruchtlosigkeit der jungen Generation überrascht, gar besorgt zeigten. Zuletzt etwa Hamid Abazari, ein Kommandeur der Revolutionsgarden. Bei einer Rede gab er zu verstehen, dass eine große Verunsicherung unter seinen Leuten herrscht: „Selbst ich als Kommandant weiß nicht, was morgen geschieht. Ich weiß von großen Kommandeuren, die nicht mehr wollten und konnten." Das sind nicht die Töne, die ein Regime, das sich auf der richtigen Seite der Geschichte gegen „diese Agenten des Auslands“ wähnt, unters Volk bringen will. Lassen sie doch nicht nur eine Verunsicherung durchblicken, sondern auch Zweifel aus dem Innersten. Und wo Zweifel, da Risse.
Akbaris Hinrichtung hatte zudem einen konkreten Adressaten: seinen ehemaligen Vorgesetzten Ali Shamkhani, einer der Gründer der Revolutionsgarden und heute Chef des Obersten Sicherheitsrates. Er hat unter „moderaten“ Präsidenten wie Mohammad Khatami und Hassan Rohani politisch Karriere gemacht – während er für Hardliner immer ein rotes Tuch war. In den vergangenen Monaten fordern sie lautstark seine Absetzung, nicht zuletzt auch deswegen, weil er versucht hat versöhnliche Töne gegenüber der Protestbewegung anzustimmen.
Ein No-Go in dieser Position. In jeder Position, wenn die offizielle Order lautet: keine Gnade. Revolutionsführer Khamenei will die Reihen schließen. Paranoider als es bisher der Fall war. Nicht umsonst hat er das politische System, das trotz seines diktatorischen Charakters bislang aus konkurrierenden Fraktionen bestand, spätestens seit den vergangenen Parlamentswahlen 2020 fast vollständig homogenisiert. Nur noch die Loyalsten der Loyalen sind zugelassen. Die jüngste Bestellung von Ahmad-Reza Radan zum aktuellen Polizeichef ist ein weiteres Indiz dafür. Radan zählt zu den brutalsten Fanatikern des Regimes, bekannt geworden durch die Niederschlagung der Proteste 2009, als Tausende wegen Wahlfälschung auf die Straße gegangen waren. Mit einem wie ihm lässt sich der Geist von 1980 definitiv am Leben erhalten. Bis am Ende keiner mehr übrig bleibt.
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