Irans Revolutionsführer Ali Khamenei hat viele Gegner, sogar in der eigenen Familie. Sein Neffe Mahmoud Moradkhani kämpft von Frankreich aus für den Sturz der Islamischen Republik - und den seines Onkels.
Ein Interview von Solmaz Khorsand
Mahmoud Moradkhani, 59, arbeitet als Hals-Nasen-Ohren-Arzt in Frankreich, wo er seit 1986 lebt. Sein Onkel ist Revolutionsführer Ali Khamenei. Doch Moradkhani stellt sich, wie weitere Angehörige der Familie, gegen die islamischen Machthaber: »Unsere Familie stand schon immer in Opposition zu diesem Regime«, sagt er dem SPIEGEL im Skype-Interview.
Am 23. November wurde seine Schwester Farideh Moradkhani, 51, eine Menschenrechtsaktivistin, in Iran verhaftet. In einer Videobotschaft bezeichnete sie die Islamische Republik als »mörderisches und Kinder tötendes Regime« und vergleicht ihren Onkel mit Hitler, Mussolini und Saddam Hussein.
Einige Tage darauf teilte Mahmoud Moradkhani auf seinen Konten in den sozialen Netzwerken einen offenen Brief seiner Mutter, Badri Husseini Khameini, der Schwester des Revolutionsführers. Sie verurteilt das »despotische Kalifat« ihres Bruders und stellt sich klar auf die Seite der Protestierenden, die seit dem Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini am 16. September das Ende der Islamischen Republik fordern.
SPIEGEL: Herr Moradkhani, wie geht es Ihrer Schwester?
Moradkhani: Ich denke, dass es ihr körperlich und moralisch bislang gut geht. Seit meine Mutter den Brief veröffentlicht hat, haben wir keinen Kontakt zu Farideh. Es wurde uns untersagt, sie anzurufen oder zu besuchen. Aber ihre Haftstrafe wurde von ursprünglich 15 auf fünf Jahre verkürzt, von denen sie mindestens drei absitzen muss. Sie ist in einem Umerziehungslager mit gewöhnlichen Kriminellen. Ich weiß nicht, warum man sie nicht ins Evin-Gefängnis gebracht hat (der berüchtigten Teheraner Haftanstalt für politische Gefangene – d. Red.). Vielleicht gab es da keinen Platz mehr. Oder man wollte verhindern, dass sie sich mit anderen politischen Gefangenen vernetzt.
SPIEGEL: Muss die Nichte des Revolutionsführers mit Folter rechnen?
Moradkhani: Wahrscheinlich nicht.
SPIEGEL: Ihre Familie ist berühmt für ihren Widerstand gegen das Regime. Ihr Vater, der im Oktober verstorbene Geistliche Ali Tehrani, saß selbst zehn Jahre im Gefängnis und wurde gefoltert. Dabei war er einst ein Weggefährte von Revolutionsführer Ayatollah Khomeini und ein Lehrer Ihres Onkels Ali Khamenei.
Moradkhani: Mein Vater stand Khomeini sehr nahe. Er war einer seiner Schüler und einer der wenigen, die befugt waren, ihn auch vor anderen, etwa in Diskussionsrunden zu kritisieren. Khomeini soll meinen Vater sogar mehr geliebt haben als seinen eigenen Sohn. Auch mein Vater hat Khomeini verehrt – vor der Revolution.
SPIEGEL: Danach weniger. Was ist passiert?
Moradkhani: Mein Vater hat immer gesagt: Wir Mullahs dürfen nicht regieren. Er war gegen diesen islamischen Staat, gegen den Krieg im Irak 1981, von dem er überzeugt war, dass ihn Khomeini provoziert hat, um die Revolution zu exportieren. Mein Vater war auch gegen die Geiselnahme der Amerikaner in der US-Botschaft. Das hat für Spannungen gesorgt.
SPIEGEL: Ihre Familie fiel in Ungnade nach der Revolution.
Moradkhani: Gleich zu Beginn 1981 gab es Angriffe auf unser Haus, und mein Vater wurde für ein paar Wochen inhaftiert. Die Situation war sehr hart für uns. Mein Vater ist dann 1984 in den Irak geflohen, und wir sind ihm ein Jahr später gefolgt.
SPIEGEL: Wie haben Sie Ihren Onkel als Kind erlebt?
Moradkhani: Ich habe gute Erinnerungen an ihn. Er war liebenswürdig, mit der Familie, mit uns Kindern und auch seinen Freunden. Er hatte viele davon, links wie rechts des politischen Spektrums. Er hatte auch seinen eigenen Kreis, in dem man über Poesie und Musik diskutierte. Mein Onkel war sehr gesellig, im Gegensatz zu meinem Vater. Ich habe früher immer gesagt, dass ich meinen Onkel lieber habe als meinen Vater. Khameini war als Mensch viel angenehmer und kontaktfreudig. Aber warum? Menschen, die nach der Macht streben, sind am Anfang immer nett zu allen. Sie sprechen mit der ganzen Welt.
SPIEGEL: Geht es Khamenei nur um Macht, oder glaubt er tatsächlich – gemäß seiner Position als Revolutionsführer –, die irdische Verkörperung des verschollenen 12. Imams zu sein, der sich zu erkennen gibt, wenn die Welt am Abgrund steht?
Moradkhani: Er ist zu einem Fanatiker geworden. Manche werden so, weil sie krank sind, aber das ist bei meinem Onkel nicht der Fall. Ich glaube, seine Psychopathie hat sich langsam entwickelt, auch aufgrund der Leute, mit denen er sich umgibt. Das liegt in der Natur von Diktatoren. Wenn man in seinem Umfeld nur die Dinge hört, die man hören will, wird man fanatisch, man wird wie Ali Khamenei.