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Die Henker der Islamischen Republik

Das Teheraner Regime hat im Zuge der aktuellen Proteste die ersten Todesurteile vollstreckt. Es schaufelt sich damit sein eigenes Grab

Es gibt ein neues Symbol auf Irans Straßen: den zu einer Schlinge gebundenen Strick. Er hängt von Autobahnüberführungen, wird in Hinterhöfen angezündet und bei schweigsamen Märschen um den Hals getragen. Er ist ein Symbol, das den aktuellsten Gewaltexzess der Islamischen Republik gegen die eigene Bevölkerung schmerzhaft deutlich versinnbildlicht.

Irans Machthaber haben ihre Drohung wahrgemacht und die ersten Todesurteile im Zusammenhang mit der Protestbewegung nach dem Tod der Kurdin Mahsa Jina Amini vollstreckt. Am 8. Dezember wurde der 23-jährige Mohsen Shekari gehängt, fünf Tage später der gleichaltrige Majidreza Rahnavard. Shekari war ein Barista mit einer Leidenschaft für Musik und Videospiele. Er soll Ende September ein Mitglied der Basidsch-Milizen - jenes millionenstarken Freiwilligenverbunds, dessen paramilitärischer Arm für die Niederschlagung von Protesten verantwortlich ist - an der Schulter verletzt haben. Rahnavard war Sportler. Er soll zwei Mitglieder der Basidsch-Milizen getötet haben.

Nun wurden beide Männer hingerichtet, wenige Wochen nach ihrer Festnahme, ohne Rechtsbeistand und mittels erzwungener Geständnisse, die den Iranerinnen und Iranern auf Regimekanälen gezeigt werden. "Moharebe", also "Kriegsführung gegen Gott", wurde ihnen vorgeworfen. Selbst im Iran weiß man nicht so genau, was unter dieser mittelalterlichen Formulierung konkret zu verstehen ist.

Daher lädt das Staatsfernsehen derzeit auffällig viele Experten ein. Sie sollen erklären, dass in erster Linie Terroristen, die - bewaffnet - die öffentliche Sicherheit gefährden würden, mit Exekution rechnen müssten. So soll Regime-Anhängerinnen vermittelt werden, um was für gefährliche Individuen es sich handelt, vor der die Islamische Republik in den vergangenen drei Monaten ihre gesetzestreuen Bürger "schützt"; und Regimegegnern signalisieren, wie schnell das Regime seinen Drohungen Taten folgen lässt - und auf welche Weise.

Fand Shekaris Hinrichtung in Teheran noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, hing Rahnavards lebloser Körper bereits vor Publikum an einem Kran in der Stadt Maschhad.

Als hätte man im In- und Ausland nicht schon längst begriffen, zu welcher Brutalität die Islamische Republik fähig ist, die mit scharfer Munition auf Protestierende schießt. Die systematisch in den Gefängnissen Frauen wie Männer, Erwachsene wie Minderjährige vergewaltigt. Die Verletzte aus Krankenhäusern verschwinden lässt. Bislang hat all das die Iranerinnen und Iraner nicht davon abgehalten, unter der Parole "Frau, Leben, Freiheit" unbeirrt den Systemsturz zu fordern.

Ihre Bewegung, die sie selbst als Revolution bezeichnen, ist am Leben, und die ersten Hinrichtungen haben nichts daran geändert. Im Gegenteil: Nicht nur, dass sie die Protestierenden nicht einschüchtern und ihren Widerstand befeuern, sie zeugen auch von schierer Hilflosigkeit der Machtelite. Wenn Tote, Vergewaltigte, Inhaftierte und staatlich Exekutierte die Leute nicht einschüchtern, ja was bleibt denn dann noch?

Der Politologe Karim Sadjadpour vom US-amerikanischen Thinktank Carnegie Endowment hat es unlängst in einem Interview auf den Punkt gebracht: Irans Oberster Revolutionsführer Ali Chamenei, die höchste Autorität des Landes, steht vor einem "Diktatorendilemma". Entweder er setzt die bisherige Repression mit gleicher Härte fort, wogegen die Menschen aber nur noch wütender aufbegehren werden. Oder er macht ihnen Zugeständnisse, die sie motivieren werden, den Widerstand fortzusetzen. Denn wer einen Schritt zurückgegangen ist, wird auch zwei und drei Schritte zurückgehen, so lange, bis er irgendwann mit dem Rücken zur Wand steht.

Letzteres ist nicht Chameneis Stil. Er setzt auf ein Blutbad - und, wie nach den ersten Exekutionen zu vermuten ist, auf eine Hinrichtungswelle. Damit hat das Regime Erfahrung. Schon in den 1980er-Jahren hat es tausende Oppositionelle hingerichtet - und das ohne, dass die Weltöffentlichkeit hätte hinsehen können so wie heute. Derzeit stehen mindestens 28 weitere Personen auf der Todesliste, darunter die Rapper Saman Yasin und Toomaj Salehi sowie der Radiologe Hamid Ghareh-Hassanlou, dessen Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt sich ihre Stethoskope wie Stricke um den Hals legen, um gegen sein Todesurteil zu demonstrieren.

Ihre Namen zu nennen ist entscheidend. Einerseits weil die Öffentlichkeit für die Betroffenen einen Schutz bieten kann. Andererseits weil mit der Nennung der Namen genau das passiert, was die Bewegung am Laufen hält und wovor das Regime große Angst hat: die Geburt von Heldinnen und vor allem Märtyrern.

Die Islamische Republik weiß um ihre Macht. Seit der Revolution 1979 hat sie die Trauer und den Märtyrerkult, der im Iran kulturell und religiös bedingt ist, für ihre eigenen politischen Zwecke missbraucht. 43 Jahre lang hat sie aus den Toten Kapital geschlagen. Und die Bevölkerung darin geschult, diese Macht zu erkennen. Sie tut es und weiß nur zu gut: Mit jedem Toten mehr schaufelt sich dieses Regime ein tieferes Grab.

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