1 Abo und 8 Abonnenten
Reportage

Die serbischen Schamanen

erschienen am 14.8. 2008 in "Die Zeit"


Wien bietet vielen Wunderheilern vom Balkan ein reiches Betätigungsfeld - wie Onkel Pera, dem Doppelgänger von Radovan Karadzic

Vier Sitzungen braucht Petar Glumac, um Krebs zu heilen. Ohne Medikamente, ohne Chemotherapie und ohne jeden chirurgischen Eingriff. Nur mit seinen bloßen Händen. Zu Hause, in Banatsko Novo Selo in der Vojvodina, nennen ihn die Leute den "Scanner". Denn während Onkologen Röntgenstrahlen oder Magnetresonanztomografie zu Hilfe nehmen müssen, genügen dem 78-jährigen Medizinmann seine Finger. Dort, wo sie plötzlich kalt werden, wenn er mit ihnen über den Körper eines Patienten tastet, dort lauert der Tumor. "Ich heile mit Energie und mit Gebeten", sagt er. "Das ist eine Gabe des heiligen Geistes." Vor 30 Jahren soll die geheimnisvolle Kraft über ihn gekommen sein. Plötzlich hätten Lahme wieder gehen können, nur weil er es ihnen befahl. Wer an diesem Punkt etwas mehr erfahren möchte, der muss zuerst Geld auf sein Belgrader Konto überweisen. Schließlich ist der hagere Mann, den sie Onkel Pera nennen, eine Berühmtheit.

Eine Woche lang glaubten in Wien einige Reporter in dem bärtigen Heiler den ehemaligen bosnischen Serbenführer Radovan Karadi wiederzuerkennen, der derzeit vor dem internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag steht und sich 13 Jahre lang als Alternativmediziner Dragan Dabi getarnt hatte. Es war aber tatsächlich nur Petar Glumac, der mit seinem weißen Rauschebart, der langen Haartracht und der großen Brille dem falschen "Dr. Drabi" zum Verwechseln ähnlich sieht.

Nenad, der Energetiker, behandelt Asthma über das Telefon

Es ist allerdings kein verrückter Zufall, dass es einen serbischen Wunderheiler nach Wien verschlagen hat. Seit Langem praktizieren die Schamanen vom Balkan nicht nur in ihrer Heimat, sondern auch in westeuropäischen Städten, wohin sie ihren Anhängern gefolgt sind. Es ist eine verschwiegene Welt, in der es nach Rosenöl, Kaffeesatz und Kräutern riecht. Sie haben ihre esoterische Subkultur sorgfältig vor der Öffentlichkeit abgeschottet. Nur wer auf eine Empfehlung aus diesen Zirkeln verweisen kann, erhält Zutritt. Dort hat das Wort alter Männer und Frauen, die man häufig nur unter ihrem Spitznamen kennt, mehr Gewicht als das jeden Arztes. Tag für Tag finden so auch in Wiener Wohnungen Behandlungen mit Dampfbädern und Salben statt, wird in die Zukunft geblickt und Lebenshilfe erteilt.

"In unserer Mentalität betrachten die Menschen eine Krankheit als Schicksalsschlag", erklärt der kroatische Psychiater Ivica Jelci, der seit sechs Jahren in Wien praktiziert. Dieses Denken sei noch bei vielen Leuten aus dem ehemaligem Jugoslawien rudimentär vorhanden, vor allem bei jenen, die auf dem Land aufgewachsen sind. Viele wenden sich bei körperlichen Beschwerden an ausgebildete Mediziner, bei psychischen Leiden hingegen häufig nicht. "Das wird als Gottesstrafe gesehen. Oder als etwas, das mit dem Teufel zu tun hat. Und was kann ein Arzt schon gegen den Teufel ausrichten?", sagt Jelci. Gegen den Höllenfürsten ist jedes Medikament machtlos; ein magisches Amulett jedoch kann Wunder wirken. Das bekommt man aber nur bei einem Experten, der um die Geheimnisse der weißen und schwarzen Magie weiß. Einem weisen Mann, wie es Onkel Pera ist.

"Ich war so erleichtert, als sich herausgestellt hatte, dass Onkel Pera nicht Karadi war", sagt Janka und blickt zur Decke, als wolle sie ein Stoßgebet zum Himmel schicken. Mehrere Wochen lang übernachtete Onkel Pera bei der 53-jährigen Serbin und deren zwei erwachsenen Kindern in der Märzstraße im 14. Bezirk. Auch bei den Nachbarn wohnte er und in vielen anderen Wohnungen in der Umgebung, manchmal über Monate hinweg. Hier, bei seinen Kunden, nahm der kroatische Serbe Quartier. Fixe Tarife hatte er keine, jeder sollte zahlen, so viel er konnte.

Noch heute, sechs Monate nach seinem letzten Aufenthalt, sprechen die Leute in den Cafés auf der Märzstraße von den Wundern, die er vollbracht haben soll. Auch an Jankas Tochter Marina. Seit fünf Jahren hat der 20-jährige Lehrling Probleme mit den Nieren. Durch die vielen Medikamente sammelte sich Wasser in ihrem Körper. Zuletzt wog die früher zierliche Frau sogar 105 Kilo. Onkel Pera verabreichte ihr Kräutertees und massierte ihren Bauch mit ätherischen Ölen. Marina ging es vorübergehend besser, die Schwellungen gingen wieder zurück. "Es war ein Wunder. So etwas habe ich noch nie erlebt", erzählt Janka. Dabei ist sie beinahe eine Expertin auf dem Gebiet. Schon in der Heimat suchte sie bei Beschwerden Wunderheiler auf. Nenad und Ljudmila heißen bis heute ihre Favoriten. Sie besitzt eine ganze Reihe von Büchern und DVDs des Energetiker-Pärchens, und einmal rief die Witwe, die früher einmal als Stubenmädchen im Hotel Bristol gearbeitet hat, ihren Guru sogar im bosnischen Prnjavor an, um über Telefon ihr Asthma behandeln zu lassen. "Ich sollte mich auf die Couch legen und an nichts denken. Plötzlich habe ich gespürt, wie die Energie vom Kopf bis in die Füße dringt", erzählt sie.

Wie Janka vertrauen auch viele ihrer Freundinnen auf die magischen Kräfte der Medizinmänner vom Balkan. Sie tauschen Adressen und Telefonnummern der jeweils gerade besonders gefragten Wunderheiler beim Friseur oder beim Plaudern im Stiegenhaus aus. In diesen Kreisen zählt vor allem Mundpropaganda. Die Karriere eines serbischen Gesundbeters ist darauf gebaut. Radovan Karadi wusste genau, warum er sich ausgerechnet die Identität eines Wunderheilers ausgesucht hatte, um unterzutauchen. Unter Alternativmedizinern, Energetikern und Wahrsagern konnte er sich ungestört bewegen. Dass es in dieser Szene nicht mit rechten Dingen zugeht, gehört zum Berufsprofil. Nach Qualifikationen fragt keiner, es kommt nur auf die Zahl der Jünger an.

Über mangelnden Zulauf kann sich Braco nicht beklagen. Seit einem Jahr kommt der 40-jährige Kroate einmal im Monat nach Vösendorf. Bis zu 4000 Menschen pilgern an jenen Sonntagen in das Eventhotel Pyramide, um den Wunderheiler zu erleben. Um sieben Uhr früh treffen die ersten Hilfesuchenden ein. Sie werden in 200 Personen große Gruppen eingeteilt, und im Halbstundentakt werden diese dann zu dem großen Meister vorgelassen. Der Eintritt kostet drei Euro. Dafür schweigt er sie 30 Minuten lang an. Das soll Krebs, Depressionen oder Unfruchtbarkeit kurieren.

Die Konkurrenz ist groß. In jeder serbischsprachigen Zeitung wirbt eine Branka, eine Simona oder ein Murat. Sie versprechen jedem, der sie unter einer teuren Mehrwertnummer kontaktiert, Linderung aller erdenklichen Beschwerden. Das Geschäft mit dem Aberglauben boomt. Auf dem Balkan beuten die Medien den lukrativen Absatzmarkt nach allen Regeln aus. Spezielle Magazine wie Das Dritte Auge, Aura oder Magische Zone wetteifern mit Tipps, wie man sich etwa vor Verwünschungen und "Energievampiren" schützen kann.

Nur Menschen mit positiver Energie dürfen zu Dr. Zlatan

Auf dem heiß umkämpften Markt mischt auch Zlatan mit. Seit 15 Jahren arbeitet der Bosnier als Astrologe und Esoteriker in Wien. Seinen richtigen Namen will er in der Zeitung nicht lesen. In der Esoterikszene der Wiener Balkan-Community zählt er zu den Fixgrößen. Nur wen er kennt oder wer ihm vermittelt wurde, darf in seine Praxis vordringen. "Ich lasse nur Leute mit positiver Energie rein", sagt der 42-Jährige und nimmt auf einem weichen blauen Fauteuil hinter seinem Schreibtisch Platz. Der rundliche Mann mit den braunen Augen besitzt keinerlei magische Aura. Eher wirkt er wie ein gutmütiger Verkäufer, der auch die kleinsten Wünsche erfüllt. In seinem Behandlungsraum sieht es aus wie in einem Depot für religiöse Utensilien. An den Wänden hängen Kelimteppiche, Kreuze, Heiligenbildnisse und kunstvolle Tafeln mit Koranversen. "Alles Geschenke", sagt Zlatan und dreht sich um zu einem Regal, in dem zahlreiche Marienstatuen, Buddhafiguren und hinduistische Götterskulpturen stehen. In diesem schummrigen Kitschtempel klagen seine Patienten über die krebskranke Mutter, den treulosen Ehemann oder den unfairen Chef. "Jemand, der an etwas glaubt, kann es mit seiner inneren Kraft und Gottes Hilfe schaffen; und nicht durch Zlatan", verheißt er. Es duftet nach Rosenöl. Wenn Zlatan spricht, unterstreichen Mienenspiel und Gestik jede Silbe.

Für jedes Problem hat er einen Spruch parat. Einer Frau, deren Zuneigung nicht erwidert wurde, empfahl er: "Deine Liebe ist wie der Wunsch nach einem Mercedes. Du kannst ihn zwar lieben, aber niemals kaufen. Leiste dir etwas in deiner Preisklasse." Einer Studentin mit Prüfungsangst riet er, stets ein Stück Schokolade bei sich zu tragen und vor Prüfungen auf die Toilette zu gehen. Diese Küchenpsychologie lassen sich seine Anhänger einiges kosten. 36 Euro verlangt Zlatan pro Sitzung. Dann ist er Therapeut, Finanzberater, Sozialarbeiter oder einfach nur Freund. Seine Ordinationszeiten beginnen um 18 Uhr und können schon einmal bis vier Uhr in der Früh dauern. "Ich habe keinen Zauberstab, um Probleme zu lösen", gesteht er. Er will nicht als Heiler gelten, sondern als einer, der das Beste aus den Menschen herausholt. Seine Kunden sehen das hingegen etwas anders. Jeden Glücksfall, meinen sie, verdankten sie ihrem "Dr. Zlatan". Selbst dem Kaffee und der Cola, die er anbietet, werden magische Kräfte zugeschrieben.

Während er bei vielen Kunden auf ein Honorar verzichtet, nutzen manche seiner Konkurrenten den Aberglauben ihrer Landsleute besser aus, wie Zlatan von seinen Patienten weiß. Einer behandele nur Frauen und garantiere ihnen Heilung, wenn sie sich mit ihm sexuell vereinigen. Eine andere verlange von ihrer Kundenschaft eine Blutprobe, um damit den Teufel in Schach halten zu können, der sich in deren Kellern eingenistet habe. "Mit denen will ich nichts zu tun haben. Das sind Scharlatane, die für ein paar Wochen nach Österreich kommen, die Leute ausnehmen und dann wieder abhauen", sagt Zlatan.

Auch Janka ist auf viele Lügner hereingefallen. Der letzte, der Seher Dragan, verkaufte ihr ein Wässerchen für 60 Euro. Es beinhaltete Basilikum und einen Zettel mit dem Namen ihrer kranken Tochter. Wenn Marina diese Tinktur trinke, werde sie wieder gesund, versprach er. Gesund wurde sie nicht davon, das Wunderwasser ist verfault. Heute liegt Marina im Krankenhaus. "Ich weiß nicht mehr, woran ich noch glauben soll. Aber ich werde weitersuchen. Irgendwo muss es Hilfe geben", sagt Janka. Zumindest bis September will sie durchhalten. Dann kommt Onkel Pera wieder nach Wien.


Mitarbeit: Nina Brnada, Ismar Secerbegovi