Sina Horsthemke

Journalistin für Medizin, Sport und Gesellschaft, München

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Depression: Das können Betroffene selbst tun

Bei vielen Erkrankungen können Patientinnen und Patienten neben einer Therapie selbst etwas tun, um ihre Symptome abzumildern. Das gilt auch bei einer Depression. Welche Maßnahmen sinnvoll sind - und worauf man lieber verzichten sollte.

Sich selbst aus einer Depression zu befreien, ist schwierig. Ergänzend zu einer Therapie gibt es aber durchaus Selbsthilfemaßnahmen, mit denen sich die Symptome abmildern lassen.

Selbsthilfe bei Depressionen - das klingt nach einem Dilemma. Schließlich zählt Antriebslosigkeit zu den Hauptsymptomen der Erkrankung. Wie also soll eine Person fähig sein, aktiv etwas gegen eine Krankheit zu unternehmen, die ihren Antrieb hemmt? Wie soll sich jemand um seine Gesundheit kümmern, der sich krankheitsbedingt zu nichts aufraffen kann?

So paradox es scheint: Auch Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, können sich bis zu einem gewissen Grad selbst helfen. Der erste wichtige Schritt - der durchaus ebenfalls Bestandteil der Selbsthilfe ist - sollte immer darin bestehen, sich professionelle Unterstützung zu suchen. Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention, betont: "Das ist wie mit Diabetes oder anderen schweren Erkrankungen. Erst muss eine Diagnose gestellt und dann konsequent behandelt werden."

Steht die Diagnose und hat der Arzt oder die Ärztin die Behandlung eingeleitet, etwa mit Antidepressiva oder einer Psychotherapie, dann können Betroffene vor allem bei leichten Depressionsformen viel dazu beitragen, ihre Beschwerden zu lindern.

Eine immer größere Rolle spielen dabei digitale Gesundheitsanwendungen (DIGAs), die von Ärztinnen und Psychologischen Psychotherapeuten verschrieben werden können. Kostenfrei ist beispielsweise das "iFightDepression-Tool" der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention. "Es enthält die gleichen Elemente wie eine kognitive Verhaltenstherapie", erklärt Hegerl. "Die Nutzer lernen viel über die Erkrankung und können sich am Smartphone oder Laptop durch verschiedene Arbeitspakete klicken, mit deren Hilfe sie zum Beispiel ihren Tag ausgewogener strukturieren oder negatives Gedankenkreisen beeinflussen können."

Behandelnde können Betroffenen entsprechende Anwendungen verschreiben. Sie begleiten sie bei der Nutzung, indem sie etwa beim nächsten Termin nachfragen, ob alles verständlich war und wie hilfreich die Maßnahme ist. Davon, sich auf eigene Faust "etwas im Internet herunterzuladen und so zu versuchen, sich selbst zu behandeln", rät Hegerl allerdings entschieden ab: "Studien zeigen, dass digitale Programme bei Depressionen nur wirksam sind, wenn die Patienten bei der Nutzung professionell begleitet werden." Dann jedoch könne so ein Tool ebenso gut antidepressiv wirksam sein wie eine Face-to-Face-Psychotherapie. Eine internationale Metastudie, die 2018 sogar Betroffene mit schweren Symptomen aus 24 verschiedenen klinischen Studien eingeschlossen hatte, bestätigt: "Es gibt keine Patientengruppe, die nicht von der Internetbehandlung profitierte."

Es muss aber nicht gleich ein digitales Tool sein. Für Erkrankte, die nicht so onlineaffin sind, gibt es ebenfalls gute Selbsthilfemöglichkeiten. So sollten sie zum Beispiel versuchen, einen festen Tagesablauf einzuhalten. Wer möglichst immer zur selben Zeit aufsteht, isst, arbeitet, Pausen einlegt und zu Bett geht, gibt seinem Leben Struktur und sorgt für Halt. Psychiater Hegerl rät dazu, am Wochenende einen detaillierten Plan für die kommende Woche aufzustellen "und sich Stunde für Stunde zu überlegen: Wann stehe ich auf, wann mache ich meine Pflichten, wann gönne ich mir Ruhe oder plane Angenehmes, wann gehe ich ins Bett?". Manche Menschen merkten dabei, dass es in ihrem Tagesablauf keinen Raum für Entspannung, Hobbys, Freunde oder Sport gibt. Sie könnten dann versuchen gegenzusteuern.

Sport beispielsweise ist bei Depressionen wichtig: "Es gibt zwar Spitzensportler mit Depressionen", so Hegerl. "Jedoch ist nachgewiesen, dass regelmäßige Bewegung bei der Behandlung der Erkrankung unterstützend wirkt." Schon 30 Minuten körperliche Anstrengung täglich wirken sich positiv aus. Das muss nicht gleich Leistungssport sein: Auch Bewegung beim Gärtnern, Spazierengehen oder Tanzen fördert das psychische Wohlbefinden.

Generell sei bei Depressionen alles gut, was müde mache, erklärt Hegerl: "Die Krankheit ist nämlich oft gar nicht die Folge von Stress, sondern von Krankheitsmechanismen, die den Körper in einen krankhaften und dauerhaften Alarmzustand versetzen. Alles, was diesen Alarmzustand reduziert, und dazu gehört Sport, ist daher gut." Die Ernährung dagegen habe keinen nennenswerten Einfluss. Jedoch sollten sich auch Menschen mit Depressionen gesund ernähren und auf Drogen und möglichst auf Alkohol verzichten.

Klappt es bei bestem Willen nicht wie geplant mit dem Sport oder der Verabredung mit der Freundin, sollten sich Erkrankte das allerdings keinesfalls zum Vorwurf machen: "Bei einer schweren Depression können schon kleine Dinge wie Zähneputzen zu einem unüberwindbaren Berg werden", sagt der Arzt. "Das sollten Betroffene wissen und daher nicht den Mut verlieren oder sich schuldig fühlen, wenn sie ihren Plan nicht einhalten können." Hegerl rät zur Selbsthilfe "nur so weit die Kräfte reichen".

Da viel Schlaf und längere Bettzeiten depressive Symptome mitunter verstärken, kann es sich lohnen, darüber Tagebuch zu führen und so zu lernen, den eigenen Schlaf als Depressionsbarometer zu nutzen. Hegerl rät Betroffenen, einige Monate lang täglich morgens zu notieren, wie viel Zeit sie in den vergangenen 24 Stunden im Bett verbracht haben und wie Stimmung und Antrieb aktuell sind. "Viele werden überrascht feststellen, dass Schlaf in der Depression nicht zu Erholung führt und sie sich eher noch erschöpfter und depressiver fühlen, nachdem sie länger geschlafen oder im Bett gedöst haben." Sie sollten dann versuchen, ihre Bettzeit auf sieben bis acht Stunden zu beschränken und der Versuchung zu widerstehen, früh ins Bett zu gehen, morgens länger liegen zu bleiben oder sich tagsüber hinzulegen.

In symptomarmen Phasen kann es sich außerdem lohnen, Entspannungstechniken wie die progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, autogenes Training oder Yoga einzuüben. "Mit diesen Maßnahmen kann man gegensteuern, sobald sich die Depression wieder einschleicht", erklärt Hegerl. Der Arzt rät außerdem, sich in guten Zeiten ein individuelles Notfallpaket zu schnüren, um besser gewappnet zu sein, falls es erneut zu einer depressiven Phase kommt: "Betroffene sollten für sich herausfinden, was die Frühwarnzeichen sind, was ihnen dann am besten hilft und an wen sie sich in schlechten Zeiten wenden können."

Das müssen nicht immer Ärztinnen und Psychologen sein. Auch Familienmitglieder oder Freunde und Freundinnen können mit Gesprächen und schönen gemeinsamen Erlebnissen helfen, Krisen zu überwinden und die Symptome abzumildern. Allerdings erschwert es eine Depression oft, Freundschaften zu pflegen und bewusst Kontakt zu anderen zu suchen. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention rät deshalb bei der Pflege sozialer Kontakte zu kleinen Schritten, etwa einen Freund zu besuchen oder zu sich einzuladen, mit anderen gemeinsam zu Mittag oder zu Abend zu essen, einen Film im Kino anzuschauen oder ein Konzert zu besuchen.

Ebenso können andere Betroffene gute Ansprechpartner sein - wenn sie zum Beispiel regelmäßig in einer Selbsthilfegruppe zusammenkommen. "In so einer Gruppe können sich Erkrankte gegenseitig unterstützen, sich zu Hilfsangeboten austauschen und viel voneinander lernen, wie mit der Krankheit umzugehen ist", so Hegerl. "Es tut Betroffenen gut, zu wissen, dass sie nicht allein sind."

Christine Rummel-Kluge, Leiterin der Psychiatrischen Institutsambulanz am Universitätsklinikum Leipzig, bestätigt das. "Gerade bei der Depression haben viele das Gefühl, die Erkrankung betreffe nur sie. Wenn sie dann sehen, dass andere mit ähnlichen Krankheitszeichen, Beschwerden und Nebenwirkungen zu tun haben, dann ist das unglaublich entlastend. Allein die Tatsache, dass es Menschen gibt, die in einer ähnlichen Situation stecken, hilft Betroffenen schon sehr gut." Zu hören, was anderen mit Depressionen guttut, wie sie einen Rückfall vermeiden und mit Nebenwirkungen von Medikamenten umgehen, helfe zusätzlich.

Welche Maßnahmen zur Selbsthilfe am besten wirken, ist individuell unterschiedlich. Psychiater Hegerl rät dazu, nur zu tun, "was einem liegt und wozu die Kraft reicht". Und unbedingt vorher professionelle Hilfe hinzuzuziehen. "Ein bisschen Yoga und dann ist alles wieder gut? Das funktioniert vielleicht bei Stress. Aber nicht bei einer Depression."

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