Sina Horsthemke

Journalistin für Medizin, Sport und Gesellschaft, München

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Geburt: Der Beckenboden wird zur Krisenregion

Schwacher Beckenboden? Dagegen kann man etwas tun!

Man kann es kaum schönreden: Für den weiblichen Beckenboden ist eine Geburt eine Katastrophe. Aber die Schäden lassen sich in Grenzen halten, wenn man einiges beachtet.

So evolutionär fortschrittlich der aufrechte Gang auch sein mag: Er hat gewisse Nachteile. Seit Menschen auf zwei Beinen gehen, sind sie langsamer geworden. Ihr Becken - und damit der Geburtskanal - hat sich verengt. Unter der größeren Belastung verschleißen Bandscheiben und Gelenke schneller. Und auf den Gefäßen in den Beinen lastet hoher Druck. Genau wie auf dem Beckenboden.

"Obwohl wir eine aufrechte Haltung haben, ist unser Becken nach unten offen", erklärt Ursula Peschers, Professorin für Gynäkologie und Direktorin des Bayerischen Beckenbodenzentrums am Isarklinikum in München. "Und um die Organe sozusagen vor dem Herausfallen zu schützen, gibt es den Beckenboden." Diese aus insgesamt drei Schichten bestehende Muskulatur verschließt das Becken nach unten. Über Sehnen ist sie am Beckenknochen befestigt, Blutgefäße versorgen sie mit Nährstoffen und Sauerstoff.

"Anatomisch gesehen besteht der Beckenboden aus verschiedenen Muskeln", sagt Frauenärztin Peschers. "Weil diese jedoch nur ein Nerv, der Nervus pudendus, ansteuert, kann man eigentlich auch von einem einzigen Beckenbodenmuskel sprechen." Dieser hält nicht nur die Organe an Ort und Stelle, sondern sorgt dafür, dass Urin und Stuhl zurückgehalten werden - die Schließmuskeln von Blase und Darm sind Teil der Beckenbodenmuskulatur. Ohne sie gäbe es keine kontrollierte Entleerung von Urin und Stuhl. Notwendigerweise hat der Beckenboden dafür Öffnungen - für die Harnröhre und den Enddarm. Bei Frauen kommt noch eine dritte hinzu: für die Scheide.

"Jede dieser Öffnungen ist eine Bruchpforte", sagt Peschers, "die für die Scheide ist die größte Schwachstelle." Das ist einer der Gründe, weshalb Frauen häufiger Probleme mit dem Beckenboden haben als Männer. Der wichtigste ist aber das Kinderkriegen: Schwangerschaft und bringen selbst den straffsten Beckenboden an seine Grenzen. Allein schon aufgrund der zusätzlichen Gewichtsbelastung: "Frauen nehmen im Laufe der Schwangerschaft zehn bis 15 Kilogramm zu, im Extremfall bis zu 25", berichtet Gynäkologin Peschers. "Dieses Extragewicht ruht auf dem Beckenboden." Und damit nicht genug: Zum Ende der Schwangerschaft produziert der Körper Hormone, die das Bindegewebe weicher machen. Was die Geburt erleichtert, lockert aber auch den Beckenboden.

Die Geburt selbst gibt dem Gewebe dann den Rest: "Das Kind muss durch den eigentlich viel zu kleinen Durchgang der Scheide im Beckenboden. Die Beckenbodenmuskulatur wird vom Kindskopf zur Seite gedrängt", erklärt Peschers. Für kurze Zeit werden die Muskeln überdehnt, genau wie das Bindegewebe. Und auch der Nerv, der den Beckenboden ansteuert, kann unter dem Druck leiden. Nerv und Gewebe erholten sich meist, sagt Gynäkologin Peschers. "Aber manchmal, vor allem wenn ein schwaches Bindegewebe sozusagen in der Familie liegt, bleiben Veränderungen zurück." Nach der Geburt ist die Muskulatur des Beckenbodens zunächst förmlich ausgeleiert und funktioniert oft nicht mehr richtig. In der Folge sinken die Muskelschichten mitsamt der Organe nach unten.

Die häufigsten Nachwirkungen dieser Beckenbodensenkung sind Probleme beim Wasserhalten: Ein Drittel der Frauen, die ein Kind bekommen haben, verlieren nach der Geburt Urin, wenn sie husten oder niesen müssen. Auch beim Sport haben sie mitunter Probleme, die Blase zu kontrollieren. Mediziner nennen das "Belastungsinkontinenz". Jede vierte Frau zwischen 30 und 39 leidet darunter, ergab eine Umfrage. Probleme, den Stuhl zu halten, sind seltener und kommen vor allem vor, wenn durch die Geburt der Schließmuskel am After einreißt. Manchmal - bei etwa fünf bis zehn Prozent der werdenden Mütter - reißen die Sehnen des Beckenbodenmuskels während der Geburt vom Knochen ab. In der Folge senken sich die vordere Scheidenwand und die Blase, was bei manchen Patientinnen zu einer Blasenschwäche führt. "Viele Betroffene haben zudem ein Stör- oder Senkungsgefühl im Unterleib oder den Eindruck, dass ihre Scheide sehr weit sei", sagt Beckenbodenexpertin Peschers. Sie kann besorgte Frauen aber beruhigen: "Bei der Mehrzahl der Patientinnen lässt sich dagegen etwas unternehmen, sodass sich die Beschwerden wieder bessern."

Bei den meisten Frauen kommen die Probleme ohnehin erst im Laufe von Jahren oder Jahrzehnten auf. "Viele entwickeln in den Wechseljahren eine Beckenbodenschwäche", berichtet die Gynäkologin. Das liegt daran, dass auch diese Hormonveränderungen das Bindegewebe weicher machen und viele Frauen mit der Menopause zunehmen: Auch chronischer Husten und schwere körperliche Arbeiten stellen für den Beckenboden eine Belastung dar.

Im Allgemeinen gilt außerdem, dass das Risiko für eine Beckenbodenschwäche größer ist, wenn eine Frau spät schwanger wird. Israelische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten zeigen, dass 39 Prozent der Erstgebärenden, die bei der Geburt 40 oder älter waren, in der Folge eine Inkontinenz entwickelten. Unter den 26-Jährigen dagegen war nur jede Zweite betroffen (Neurourology and Urodynamics: Fritel & Fauconnier, 2009). Eine brasilianische Studie bestätigt den Befund: Schwangere über 30, fanden die Forschenden heraus, hatten dort ein doppelt so hohes Risiko für eine Harninkontinenz wie Schwangere unter 20 (Plos One: Ting & Cesar, 2020).

Obwohl in Deutschland und der Welt derart viele Frauen betroffen sind, wird darüber kaum gesprochen. Einer Publikation australischer und britischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zufolge verschweigen mehr als 70 Prozent der Mütter, die nach der Entbindung unter Inkontinenz leiden, das Problem - entweder aus Scham oder weil sie meinen, das sei normal nach einer Geburt (BJOG: Brown et al., 2015). "Mit Sprüchen wie 'Das hat man halt als Mutter', sollten sich Frauen aber nicht abspeisen lassen", betont Peschers. "Eine Beckenbodenschwäche lässt sich gut behandeln und jede hat gute Chancen, die Symptome in den Griff zu bekommen."

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