Sina Horsthemke

Journalistin für Medizin, Sport und Gesellschaft, München

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Reportage

Werkstatt fürs Gebiss

Brücken, Kronen und Veneers – in Dentallaboren entsteht täuschend echter Zahnersatz. Die Techniker arbeiten mit digitalen Hightech-Geräten

Johannes Trimpl hat seine Arbeit am besten gemacht, wenn man das Ergebnis nicht sieht. Wenn eine Krone unscheinbar zwischen den Nachbarzähnen sitzt oder eine Brücke den gleichen Farbton hat wie das restliche Gebiss. Trimpl ist Zahntechniker im Labor der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik an der Universität München. Pinsel, Sonden, Fräsen und Schleifgeräte liegen an seinem Arbeitsplatz, es riecht nach Zahnarzt. Der 24-Jährige hat die Vergrößerungsbrille abgesetzt, um im Gipsraum ein neues Projekt zu beginnen. Er begutachtet den Gebissabdruck einer Patientin, sie benötige eine Brücke, schreibt ihr Zahnarzt. Trimpl rührt rund 200 Gramm Gips an und drückt die Masse sorgfältig in den Hohlraum, um aus der Negativform eine positive zu machen – das Modell, das ihm als Arbeitsgrundlage dient. „In großen Dentallaboren sind die Techniker oft nur für einen Arbeitsschritt zuständig“, erklärt er. „Bei uns betreut meist jeder sein Produkt vom Abdruck bis zum fertigen Stück.“

Schleifen, schweißen, Werkstoffkunde

Zahnersatz ist notwendig, wenn die eigenen Zähne so stark zerstört sind, dass sie nicht im Mund bleiben können. Betrifft der Schaden nur einen Zahn und ist dessen Wurzel noch intakt, reicht eine Krone. Brücken über mehrere Zähne schließen Lücken. Finden sie keinen Halt, stehen Prothesen zur Auswahl. Eine Vollprothese für einen zahnlosen Kiefer hat Trimpl in seiner Gesellenprüfung gefertigt. Dreieinhalb Jahre dauert die Ausbildung, in der die Arbeit mit Schleif- und Schweißgeräten, Werkstoffkunde und inzwischen auch digitale Techniken auf dem Stundenplan stehen. Die Schüler müssen Schmelzpunkte lernen, Dichten kennen, Physik, Chemie und Medizin pauken. Feinmotorik, ein gutes Sehvermögen und räumliches Denken sind unerlässlich.

Ist der Gips getrocknet, spannt der Techniker das Modell in einen Artikulator. Das Gestell hält die Kiefer zusammen und simuliert natürliche Kaubewegungen. Trimpl sieht so genau, wie die Zähne aufeinanderstehen und die Brücke sitzen muss. „Funktionalität ist das Wichtigste, erst danach kommt die Ästhetik“, sagt Josef Schweiger, der das Labor seit 18 Jahren leitet. „Die Optik gewinnt aber immer mehr an Bedeutung.“ Im nächsten Schritt modelliert Trimpl Ersatzzähne aus Wachs in den Zahnbogen. Sie sind später die Vorlage für den Guss der Kronen. „Die Arbeit mit den verschiedenen Materialien und Technologien ist das Schönste an meinem Job“, findet er. „Kein Produkt gleicht dem anderen, so wird der Beruf nie langweilig.“

Das Leistungsspektrum eines Zahnlabors ist breit. Neben Ersatzteilen fertigen die Techniker Zahnschutz für Sportler, Antiknirsch- oder -schnarch-Schienen sowie Blashilfen für Musiker. Im Labor der Münchner Universität sind zwei weitere Bereiche wichtig: die Ausbildung der Studierenden und die Forschung. Und so malmt, während Trimpl behutsam Wachs in die Form eines Backenzahns bringt, im Keller der Kausimulator vor sich hin. Was ein Mensch in fünf Jahren zerkaut, schafft das Gerät in zehn Tagen: 1,2 Millionen Kaubewegungen mit fünf Kilogramm Belastung. Die Forscher testen hier, wie sich Kunststoff auf Zahnschmelz abnutzt. „Moderne Materialien kommen der Natur sehr nahe“, sagt Laborleiter Schweiger. „Exakt imitieren können wir den menschlichen Zahn aber noch nicht.“

Gold hat ausgedient – zu teuer

Optisch halten die Nachbauten spielend mit: Ist aus dem Wachszahn ein Metallgerüst gegossen, schichtet der Techniker Keramik darüber – schon ist der Ersatzzahn für Laien nur schwer von einem echten zu unterscheiden. Als Schweiger vor 34 Jahren in den Beruf einstieg, war Gold das Standardmaterial seiner Zunft. „Ein toller Werkstoff“, schwärmt er. „Doch der Goldpreis hat sich in den letzten 20 Jahren vervierfacht.“ Silikatkeramik hat Edelmetalllegierungen nahezu ersetzt.

In Deutschland gefertigte Kronen, Brücken und Prothesen seien international anerkannt, sagt Daniel Edelhoff, Direktor der Münchner Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, der vor seinem Zahnmedizinstudium eine Ausbildung zum Zahntechniker absolvierte. Manchmal leitet er Schulungen in den Labors der Flemming Dental Gruppe, eines Konzerns mit 37 Standorten. Mehr als 100 Auszubildende erlernen dort jedes Jahr den Beruf des Zahntechnikers. „Dem dualen Ausbildungssystem ist es zu verdanken, dass deutscher Zahnersatz so geschätzt ist“, meint Edelhoff. Tobias Kiesewetter, Geschäftsführer von Flemming Dental, bestätigt: „Die Handwerkskunst ist hier weit fortgeschritten.“ Von Reisen ins Ausland, um sich dort preisgünstig die Zähne sanieren zu lassen, rät er ab: „Es ist doch eher umgekehrt: Viele Ausländer kommen hierher, um sich die Qualitätsarbeit unserer Techniker zu sichern.“

In der Münchner Poliklinik hat Zahntechniker Trimpl ein Gipsmodell ins dritte Obergeschoss gebracht. Vorsichtig stellt er es in ein Gerät, das aussieht wie eine Mikrowelle. Auf Knopfdruck fährt surrend ein Scanner über das Gebiss, registriert die Form der Zähne, die Zahnfleischkante, den Gaumen – und eine Lücke im Unterkiefer. Zwei Implantate will ein Zahnarzt hier platzieren, und nun ist es Trimpls Aufgabe, die perfekte Position dafür zu finden. Er wird eine Bohrschablone anfertigen, die der Arzt später auf die noch vorhandenen Zähne legt, um die Implantate zu setzen – auf einen Zehntelmillimeter genau. Die Planung erledigt Trimpl am Computer, auf dessen Bildschirm nun eine dreidimensionale Darstellung des Gebisses erscheint. Vor zehn Jahren war das undenkbar, doch im Zuge der Digitalisierung könnte bald sogar das Gipsmodell ausgedient haben: Immer mehr Praxen nutzen Intraoralscanner, um die Abformung direkt im Mund vorzunehmen – ohne lästige Abdruckprozedur.

„Schreiben Sie bloß nicht Plastik“

Im Nebenraum hat eine Fräse ihre Arbeit begonnen. Digital gesteuert, fährt sie einen Block aus Kunststoff ab. „Das ist ein Hochleistungspolymer“, erklärt Laborchef Schweiger, „schreiben Sie bloß nicht Plastik.“ Der industriell hergestellte Rohling sei absolut homogen und deshalb ein perfekter Werkstoff. Flöckchen davon fliegen unter der Fräse in alle Richtungen, und bald ist in dem elfenbeinfarbenen Block die Form eines Kiefers zu erkennen. In knapp drei Stunden wird neben Krümeln eine Knirschschiene zurückbleiben. CAD/CAM nennen Experten die computergestützte Fertigung von Zahnersatz. CAD heißt „computer-aided design“, also die Konstruktion von Objekten am Computer, womit auch Architekten arbeiten. CAM steht für „computer-aided manufacturing“, die computergestützte Fertigung.

Neben der digitalen Fräse steht Schweigers ganzer Stolz: ein 3-D-Drucker. Die Technik ist noch nicht so weit, dass Kronen und Brücken daraus dauerhaft verbaut werden, doch zur Produktion von Implantat-Bohrschablonen ist das Gerät oft im Einsatz. Per USB-Stick füttern die Techniker es mit Daten, woraufhin aus Flüssigpolymer binnen 45 Minuten das Druckwerk entsteht. Ziel der nächsten Jahre sei, so Schweiger, 3-D-gedruckte Zähne so zu standardisieren, dass sie gemäß Medizinproduktegesetz im Körper verbleiben dürfen.

Ein paar Stockwerke tiefer befindet sich eine der letzten Stationen, die ein Ersatzzahn im Labor passiert: der Raum, in dem Farbe ins Spiel kommt. 16 natürliche Zahnfarben gibt es, von A1 bis D4, von rötlichem Weiß bis zu grünlichem Grau. Die hellste Farbe ist B1. Bis eine Krone echt aussieht, vergehen hier weitere zwei bis drei Stunden. Mit einem Pinsel bemalt der Techniker die Verblendung mit Keramikfarbe, die eingebrannt und mit Glasurmasse versiegelt wird. Ein Klecks Himmelblau ist auf der Palette zu sehen. „Für die Kanten der Schneidezähne“, erklärt Schweiger. „Nur dann wirken sie natürlich.“

Auch Trimpls Brücke erhält hier das letzte Finish. Vier Wochen hat die Patientin auf das Ersatzteil gewartet, das sich dank der präzisen Arbeit perfekt ins Gebiss einfügen wird. Wie jeder Zahn, der Schweigers Labor verlässt, ist es ein handgefertigtes Einzelstück, das nur einem Menschen passt. „Schön an unserem Beruf ist“, sagt Schweiger, „dass wir das Ergebnis in den Händen halten, nachdem wir viel Zeit und Mühe investiert haben.“ Am besten natürlich eines, das im Mund unsichtbar ist.

Foto: Dirk Bruniecki