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Spotify: Hör mich an

Algorithmen sind die Blackboxes der Digitalplattformen und neben der Menge aktiver Nutzerinnen und Nutzer (und deren Daten) ihr eigentlicher Schatz: Wer bekommt was warum und wie zu sehen und im Fall von Musikstreamingdiensten zu hören? Fundierte Informationen über die unergründlichen Rechenwege des eigenen Algorithmus gibt der Musikservice wie alle anderen Plattformen nicht heraus. Das schwedische Unternehmen sagt nur so viel: Unzählige Faktoren und Berechnungen sorgten für den perfekten Song im richtigen Moment, ganz auf die vermeintlich individuellen Bedürfnisse des Hörenden abgestimmt.

Nun wird offiziell mit diesem Versprechen gebrochen: Kürzlich verkündete der Streamingdienst auf seinem Blog, dass Künstlerinnen und Künstler, Labels oder Lizenzinhaber künftig den Spotify-Algorithmus gegen Geld beeinflussen können. Spotify nennt das "verstärkten Künstlerinput". Der besteht zunächst darin, dass Musikerinnen und Musiker ihre Songs als "wichtig" markieren können, was dann als einer der vielen Faktoren in den Spotify-Algorithmus einfließen soll. Die Wahrscheinlichkeit also, dass einer Nutzerin, die eigentlich nur Deutschrap hört (was Spotify durch deren Abspielhistorie weiß), plötzlich amerikanischer Death-Metal empfohlen wird, ist recht gering - selbst wenn amerikanische Death-Metal-Bands ihren Titeln durchs Markieren potenziell mehr Reichweite verschaffen wollen würden.

Dieses sogenannte Pay-for-play soll zunächst nur als Testversion starten und sich auf Spotifys Radio- und Autoplay-Funktionen beschränken, die algorithmisch generierte Songauswahl und -reihenfolge also, die auf das rekurriert, was zuvor gehört wurde, oder sich an ausgewählten Acts orientiert. Skippen die User nicht gleich weiter und wird der Song dadurch öfter gespielt, behält Spotify einen Teil der dadurch entstehenden Künstlertantiemen ein, gleichsam als PR-Lohn. Vorab sollen Künstler für das Markieren ihrer Songs nichts bezahlen müssen. Der Grund dafür ist laut Spotify, dass die Plattform allen Musikerinnen und Musikern diese Funktion ermöglichen will, dies also als eine Art Demokratisierung der Aufmerksamkeit verkaufen möchte: Auch die Unbekannten sollen gehört werden! Wie genau die Höhe der einbehaltenen Tantiemen errechnet wird, ist allerdings bislang nicht bekannt.

"Undurchsichtige Methoden"

Die Ankündigung der Pay-to-play-Funktion erregte gleich die Gemüter. Schnell fiel das Schlagwort " payola", das meint das illegale Einkaufen in Radiorotationen und Charts, das man aus Schallplattenzeiten noch kennt. So schrieb nun etwa der Zusammenschluss europäischer Komponisten und Songwriter ECSA in einer ersten Reaktion: "Solch payola weist erneut auf die undurchsichtigen Methoden Spotifys hin." Diese nutzten nur wenigen Erfolgreichen, bedeuteten aber Nachteile für die übergroße Mehrheit der Musikerinnen und Musiker, ebenso für die Konsumenten und die kulturelle Diversität schlechthin.

In der Geschichte der Popmusik kam es immer wieder zu Bestechungsskandalen, weil Plattenlabels oder Bandmanager versuchten, Radio- oder Fernsehstationen zu bestechen. Der historisch wohl berühmteste Payola-Skandal war der um den US-amerikanischen Radio-DJ Alan Freed, der in den Fünfzigerjahren Geld dafür kassierte, bestimmte Stücke zu spielen, und sich sogar als Mitkomponist mancher Songs eintragen ließ, ohne an ihnen beteiligt gewesen zu sein. Freed wurde dafür rechtskräftig verurteilt, seine Karriere erholte sich von der Affäre nie. In den Siebzigerjahren wurde der Skandal um Casablanca Records öffentlich: Labelchef Larry Harris hatte Mitarbeiter des Billboard Magazine bestochen, um Chartplatzierungen zu fingieren und dadurch häufiger in Radiorotationen zu erscheinen. Harris protestierte sogar lautstark, als nach Zahlungen die versprochenen Spitzenplatzierungen nicht erfolgten. Und erst 2005 waren Sony BMG und Warner Music unabhängig voneinander in Bestechungsaffären verwickelt. Durch Zahlungen oder kostspielige Geschenke sollen die Labels Einfluss auf New Yorker Radio-DJs genommen haben. Beide Konzerne zahlten im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung Millionenbeträge, um Prozessen zu entgehen.

Der entscheidende Unterschied zwischen früher und heute ist klar: Spotify will sich mit dem Pay-for-play nicht (oder jedenfalls nach außen nicht in erster Linie) an ohnehin erfolgreiche Künstlerinnen und Künstlern oder gut verdienende Labels wenden, um ihnen eine gleichsam freundliche Bestechung zu ermöglichen - sondern an die vielen Acts, die in der algorithmischen Aufmerksamkeitsökonomie Spotifys bislang weitgehend überhört werden. Was aber auch bedeutet: Diese Musiker verdienen mit ihrer Kunst jedenfalls auf Spotify kaum Geld.

Genau darauf hebt auch der ESCA-Protest letztlich ab. Hier zeige sich erneut Spotifys "mangelnder Respekt gegenüber der Community von Kreativen, die es finanziell schwer genug haben", schreibt der Verband; Spotify zahle Acts derzeit "bestenfalls" 0,003 bis 0,005 US-Cent pro einzelnem abgespielten Stream ihrer Songs. Davon sollen die nun auch noch etwas für das Pay-for-play abgeben. Um mehr Streams zu generieren, von deren Bezahlung sie dann mehr Anteile an Spotify abgeben müssen.

Es gibt neben allen anderen möglichen Gründen, die eigene Musik möglichst häufig gespielt zu wissen, einen grundsätzlichen, den sogenannten Mere-exposure-Effekt, sagt der Musikwissenschaftler Timo Fischinger, der sich unter anderem mit der musikalischen Sozialisierung von Kindern und Jugendlichen beschäftigt. "Alles, was einem oft präsentiert wird, erscheint vertrauter", sagt Fischinger. "Dadurch fallen Geschmacksurteile oft positiver aus, wenn etwas wiederholt rezipiert wird - zwar nicht nur bei Musik, aber auch." Wie sich Musikgeschmack herausbildet, ist eine komplexe Angelegenheit: Das Elternhaus, die Epoche, die konsumierten Medien, Zufälle, die Peergroup, aber auch der soziale Status eines Menschen können dabei bedeutsam sein.

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