Adele hat abgenommen. Bilder von offiziellen Auftritten gibt es noch nicht, aber dank Paparazzi- und Handyshots weiß die Welt inzwischen, dass die 31-Jährige um schätzungsweise 40 Kilogramm leichter ist. Im Grunde muss das niemanden interessieren, soll doch jede wiegen, was sie will. Aber natürlich ist der Körper im Pop nie von der Künstlerin zu trennen. Und der Körper der britischen Soulsängerin war nie einfach nur die Hülle ihrer Stimme. Er war von Anfang an das große Trotzdem in ihrer Karriere. In den vergangenen zwölf Jahren hat sie mehr Alben verkauft als Beyoncé oder Justin Timberlake. Musikerinnen, die Adele heute auf Augenhöhe treffen, sind verkünstelt wie Lady Gaga oder zäh wie Madonna. Nur dick sind sie nicht. In ihrer Liga war sie die einzige Frau mit Übergewicht. Eine, die sich nicht an die Regeln hielt und ein alternatives Schönheitsideal anbot. Vielen Frauen wurde sie so zum Vorbild.
Entsprechend enttäuscht äußern sich viele Nutzerinnen in den sozialen Medien darüber, dass sich Adele nun doch den allgemeinen Schönheitsstandards unterworfen habe. Einige fühlen sich sogar persönlich von ihrem Idol im Stich gelassen. In der Diskrepanz zwischen Adeles Handeln und den Reaktionen darauf zeigt sich, dass ihr Körper längst zu einem Politikum geworden ist, ohne dass sie selbst es beabsichtigt hätte. Und auch darin war Adele eine Seltenheit im Showgeschäft.
Es gibt zahlreiche Bewegungen, die sich für mehr Körpervielfalt einsetzen, etwa unter dem Hashtag Bodypositivity. Musikerinnen wie Beth Ditto oder Lizzo wehren sich aktiv gegen das Körperdiktat in ihrer Branche und nutzen ihren Umfang als aktivistisches Werkzeug. Ditto zog sich während der Konzerte ihrer Band Gossip gern auf der Bühne aus. Lizzo provoziert das Publikum, indem sie ihren großen Körper in knappste Kostüme hüllt und alles schüttelt, was sie hat. Beide brechen eindrucksvoll mit den Sehgewohnheiten - was gut ist, aber den Fokus gleichsam auf eine extreme Ausprägung von Körperlichkeit lenkt. Adele hingegen machte den runden Frauenkörper ganz ohne Theater salonfähig.
Gemeinhin scheint Dicksein nur als Extrem verhandelbar zu sein. Die dicke Frau ist akzeptabel entweder als Aktivistin oder als Protagonistin vermeintlich mutiger, aber vor allem aufmerksamkeitswirksamer Werbekampagnen. Gillette etwa warb letztes Jahr mit dem sogenannten Plus-Size-Model Anna O'Brien im Bikini für mehr Körpervielfalt und Rasierklingen. Die Reaktion auf die Kampagne: Hitzige Diskussionen darüber, inwiefern hier ein ungesundes Körperbild beworben wird, Danksagungen an O'Brien für ihr Empowerment und Bewunderungsbekundungen für ihren Mut. Gillette dürfte die Aktion als Erfolg verbucht haben.
Im Kampf um potentielle Kunden nutzen immer mehr Unternehmen Lebenshilfesprüche als Verkaufsanreiz. "Es besteht gerade ein regelrechter Hype um Diversität in der Werbung", erklärt Dr. Melanie Haller. Sie ist Modesoziologin an der Universität Paderborn. In ihrer Arbeit betrachtet sie unter anderem, wie sich Plus-Size-Bloggerinnen auf Instagram inszenieren. "Plus-Size-Körpern haftet dabei immer noch das Stigma des nicht Normalen an - sonst würden sie nicht so gut in den Kampagnen funktionieren."