Der Psychologe Thomas Weber, 54, leitet das Zentrum für Trauma- und Konfliktmanagement in Köln. Er ist verantwortlich für das das psychosoziale Beratungstelefon des Opferbeauftragten des Landes Rheinland-Pfalz. Betroffene und Ersthelfer der Flutkatastrophe finden telefonische Unterstützung über die Notfall-Hotline 0800 001 0218.
Frage: Herr Weber, wie viele Anrufe erreichen Sie momentan täglich?
Thomas Weber: Bisher haben uns mehrere hundert Anrufe erreicht, auch am Wochenende. Das ging einen Tag nach der Katastrophe los.
Frage: Wer meldet sich bei Ihnen?
Weber: In den ersten Tagen waren es vor allem Menschen, die ihre Angehörigen gesucht haben. Und dann jene, die alles verloren haben, ihr Zuhause, ihre Existenz, die sie sich 30, 40 oder 50 Jahre lang aufgebaut haben. Sie ringen plötzlich mit Unfassbarkeit, Hilflosigkeit und Ohnmacht. Einige haben das Gefühl, dass sie verrückt werden. Aber alles, was die Betroffenen empfinden, sind normale Reaktionen auf ein nicht normales Ereignis. Nicht der Mensch ist verrückt, die Situation, die er erlebt hat, ist verrückt. Das ist erst einmal wichtig deutlich zu machen.
Frage: Wie trösten Sie diese Menschen?
Weber: Wir müssen da sein, zuhören, ihren Schmerz aushalten, wenn sie von ihren Erlebnissen und von ihrer Todesangst erzählen. Und wir, die Tröstenden, sollten ihnen nichts versprechen, was wir nicht einhalten können. Das ist ein wichtiger Leitsatz. Durch die eigene Betroffenheit neigt man sehr schnell dazu, den Menschen etwas zu versprechen. Sie kennen den Satz "Alles wird gut". Aber nein, das wird es für die meisten erst einmal nicht, wir alle haben die furchtbaren Bilder gesehen. Wenn jemand jetzt noch eine Person vermisst, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie nicht überlebt hat. Da helfen aufmunternde Worte und gute Ratschläge nichts. Wer trösten will, muss anerkennen, wie schlimm die Situation ist und dass es kein Patentrezept für die Bewältigung des Erlebten gibt.
Frage: Von einem Notfallseelsorger habe ich gehört, dass selbst religiöse Menschen im Angesicht der Katastrophe nicht beten wollten.
Weber: Es ist beides zu beobachten. Gerade sehr gläubige Menschen suchen Trost in der Religion und finden ihn häufig dort.
"Trost ist nichts, was schnell geht." Thomas Weber, 54, Psychologe
Frage: Und die anderen?
Weber: Das Wichtigste ist, dass auch sie sich mit verständnisvollen Menschen umgeben können. Menschen, die zu ihnen halten, zu ihren Werten und Ansichten - und zwar nicht nur für ein paar Tage oder Wochen. Trost ist nichts, was schnell geht. Trost braucht Zeit. Trost ist ein Prozess, wie auch Trauer ein Prozess ist.
Frage: Der Philosoph Franz Josef Wetz sagte einmal: "Trost ist keine Problemlösung, er ist sogar ein schlechter Ersatz. Trost, im Falle von Tod, hat immer den Charakter von Carokaffee."
Weber: Trost bietet keine Lösungen. Er kann nur unterstützen. Der oder die Betroffene hat etwas erlebt, was andere nicht erlebt haben. Wir können das Ereignis nicht rückgängig machen. Wenn Sie Menschen in Not unterstützen wollen, schauen Sie, wie Sie sie in die Lage versetzen, dass sie die Kontrolle über ihr Leben zurückgewinnen. Das Trauma werden die Betroffenen nie vergessen. Aber die Flashbacks, die durch einen Trigger ausgelöst werden und ihr Gehirn überfluten, die sie die Situation noch einmal durchleben lassen, können gelindert werden.
Frage: Wie gut kann man am Telefon trösten? Schließlich gibt es keinen Blickkontakt.
Weber: Gerade weil es keinen Blickkontakt gibt, fällt es Betroffenen häufig leichter, am Telefon über sich, ihre psychischen Belastungen und Ängste zu sprechen, die Hemmschwelle ist deutlich niedriger. Sie können anonym bleiben, den Zeitpunkt des Gesprächs selbst auswählen und auch das Setting, was besonders für traumatisierte Menschen wichtig ist, um wieder ein Stück weit die Kontrolle zurückzugewinnen. Wir sind telefonisch jederzeit erreichbar, sodass ein Gespräch schnell zustande kommt. Das Ziel ist, Betroffene emotional zu stabilisieren und sie im Sinne einer Lotsenfunktion über beratende oder therapeutische Unterstützungsangebote vor Ort zu informieren.
Frage: In Ihrer Arbeit sind Sie mit Amokläufen, Terroranschlägen und Naturkatastrophen konfrontiert. Was haben Sie dabei gelernt?
Weber: Vor allem seit dem Tsunami wissen wir: Die Hilfsbereitschaft ist anfangs sehr hoch, solange wir das Ereignis in den Medien sehen. Aber so funktioniert der Schmerz der Menschen nicht, der kommt sehr unterschiedlich. Manche sind mithilfe von Familie und Freunden nach Wochen wieder stabil, bei anderen kann der Einbruch Monate, manchmal sogar Jahre später kommen. Darauf müssen wir vorbereitet sein.