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Wie ich durch Poetry Slam meine Stimme gefunden habe - SLAM ALPHAS

Vor meinem letzten Auftritt kam ein Slam-Kollege auf mich zu und meinte, ich solle doch lieber nicht den Text über meine Herkunft machen. Die Moderatorin hätte einen ähnlichen Text geschrieben, nicht, dass man ein Plagiat vermuten könnte. Das macht mich bis heute wütend.

Poetry Slam war bisher immer eine heikle Sache für mich. Klar, ich liebe es zu schreiben, aber ich hatte immer Angst vor dem Auftritt. Angst, dass mein Text falsch verstanden wird, dass die lustigen Stellen niemand lustig findet, und vor allem Angst, nur als süßes Mädchen abgestempelt zu werden, das ihre Tagebuchtraumata vorträgt.

Am meisten gespalten war ich bei meinem allerersten Text. Er handelt von meinen Erfahrungen mit Rassismus, davon, dass ich immer wieder erklären muss, wo ich denn wirklich herkomme, also ursprünglich.


Ich bleibe stumm

Dieser Text war für mich wie ein Befreiungsschlag. Nie wusste ich, was ich antworten sollte, wie reagieren, wenn Leute mich immer wieder auf meine Herkunft und Hautfarbe reduzierten. Meistens habe ich geschwiegen oder versucht es zu ignorieren. Oft haben mir die Worte gefehlt und ich hab nur perplex dreingeschaut.

So auch als mein Deutschlehrer mich gefragt hat, ob man „Nathan der Weise", auch in meinen „Kulturkreisen" liest. Als ich nachgefragt habe, wie genau er das meine, wollte er wissen, wo ich herkäme und dann wo meine Eltern herkämen. Als ich auf beides mit „Deutschland" antwortete, war seine einzige logische Schlussfolgerung „Ach dann wurden Sie also adoptiert?"

Und wieder hat es mir die Sprache verschlagen.


Texte schreiben gibt mir eine Stimme

Später hat er uns die Aufgabe gegeben, Prometheus umzuschreiben und ein Hassgedicht zu verfassen. Wir sollten uns auflehnen, gegen eine Autoritätsperson, eine*n Lehrer*in, eine*n Sporttrainer*in oder unsere Eltern.

Ich habe ein Hassgedicht gegen eben diesen Deutschlehrer geschrieben, der mich mit seinen rassistischen Aussagen so fassungslos gemacht hat. Dann habe ich es vor der ganzen Klasse vorgelesen und zum ersten Mal war ER fassungslos. Seine Lippen wurden nicht mehr von diesem süffisanten Grinsen umspielt und er hatte keine Antwort parat. Stattdessen hat er mitten in der Stunde eine Pause eingelegt und das Klassenzimmer verlassen.

Ich habe mich noch nie so stark gefühlt, so kraftvoll. Endlich hatte ich das Gefühl, zurückschlagen zu können und musste mir nicht mehr diese alltäglichen Anfeindungen gefallen lassen.

Zumindest nicht mehr in meiner Klasse - denn den Text meinem Lehrer vorzutragen war eine Sache, ihn auf einer Bühne vor lauter Fremden vorzulesen eine ganz andere. Als ich mit dem Text zum ersten Mal auf einem Poetry Slam aufgetreten bin, habe ich mich unwohl gefühlt und mich erst zwei Jahre später wieder auf eine Bühne getraut. Jetzt war ich mir sicher: Der einzige Weg, die Angst vor der Bühne zu verlieren, ist, sich auf eine zu stellen.


Mach den Text lieber nicht, wegen Plagiat und so

Das nächste Mal, als ich wieder aufgetreten bin, war im Line-Up ein anderer Slammer, den ich schon kannte und er kannte meinen Wo-kommst-du-her-Text.

Vor dem Auftritt fragte er mich, welchen Text ich machen würde. Er meinte, es wäre besser, nicht meinen Herkunftstext vorzutragen, denn ich kenne ja bestimmt den Text der Moderatorin, auch über Herkunft und die „elendige Wo-kommst-du-her-Frage" und deshalb sei es besser, wenn ich meinen Text heute Abend nicht performte, nicht, dass man ein Plagiat vermuten könne.

Wieder fehlte mir eine Antwort - und ich hab ihn auch nicht noch einmal damit konfrontiert.

Und das macht mich unendlich wütend. Wütend auf mich selber, weil ich immer stumm bleibe, wütend, weil ich mich schon wieder für mich selbst entschuldige und rechtfertige. Wütend, weil andere meinen, sie könnten mir vorschreiben, welchen Text ich performe und welchen nicht, aber am allermeisten, dass er von Plagiat gesprochen hat.


Fishing for Mitleid?

Dieser Text handelt von meinen Erfahrungen, von meinen Erlebnissen, ich habe ihn damals als Deutschhausaufgabe geschrieben, bevor ich überhaupt wusste, was Poetry Slam ist. Der Text hat mir endlich die Stimme gegeben, die ich nie hatte, aber an diesem Abend hatte ich das Gefühl, sie würde mir wieder genommen.

Indem er das Wort „Plagiat" verwendet hat und eine Parallele zum Text der Moderatorin zog, hat er mir meine persönlichen diskriminierenden Erfahrungen abgesprochen.

Sodass ich mir am Ende wieder dachte, ja, ich sollte den Text nicht mehr vortragen, ist vielleicht eh nur „Fishing for Mitleid". Warum stelle ich mich überhaupt so an? So schlimm war's doch gar nicht, außerdem ist es schon lange her.

Ich fange an, Geschehenes zu verharmlosen und in die Vergangenheit zu schieben. Aber Fakt ist: Ich höre diese Frage immer noch wöchentlich und es verletzt mich. Jedes Mal.

Immer wieder werde ich gefragt, wo ich „wirklich" herkomme, regelmäßig kommentieren Leute meinen „exotischen" Namen oder meinen „Teint".

Das mögen nur Kleinigkeiten sein, aber in der Summe sind sie groß.

Ich will sagen, was ich will. Ich hab Bock auf Poetry Slam und ich will endlich auftreten, ohne beurteilt zu werden, bevor ich überhaupt gesprochen habe.

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