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Glauben Sie noch daran, dass wir die Klimawende schaffen werden? Ist das 1,5-Grad-Ziel für Sie überhaupt noch realistisch?
REINHARD STEURER: Ich beginne mit dem zweiten Teil. Das Ziel, dass sich die Welt bis zum Jahr 2100 im Schnitt nur um 1,5 Grad erhitzt, ist nicht mehr realisierbar. Dies wird bereits in den 2030er Jahren eintreten. Es scheint, als würden wir weiterhin in demselben Tempo voranschreiten wie bisher. Die Emissionen sinken viel zu langsam, um unter dem 2-Grad-Limit zu bleiben. Das ist derzeit die entscheidende Frage. Jede Tonne CO2 und jedes Zehntel Grad sind von Bedeutung. Leider ist das 1,5-Grad-Ziel utopisch. Zum ersten Teil: Es ist weniger eine Frage des Glaubens als vielmehr eine wissenschaftliche Einschätzung. Die Chancen stehen gut, dass wir es schaffen können, wenn wir es ernsthaft wollen. Das erfordert jedoch, nicht jedes Windrad und jede Wärmepumpe in Frage zu stellen. Wenn wir das ernsthaft angehen, ist es machbar. Das ist Faktum. Doch so, wie wir es derzeit angehen, zweifle ich daran, dass es funktionieren wird.
Ein Zitat von Ihnen „Bei unserem derzeitigen Kurs ist nicht die Frage, ob so ein Massensterben passieren wird, sondern wann und wo das erstmals sein wird. Darüber zu schreiben ist also keine Panikmache, sondern der Versuch, die brutalen Fakten der Klimakrise den Menschen näher zu bringen, damit wir die richtigen Schlüsse daraus ziehen: Weiterhin Öl und Gas zu verbrennen ist ein Verbrechen an der Menschheit, das wir noch bitter bereuen werden.“ Wer ist Schuld an diesem Verbrechen? Und warum wird dieses Verbrechen nicht bestraft?
Zu einem gewissen Teil tragen wir alle in den reichen Industrieländern, die einen fossilen Lebensstil pflegen, die Schuld an diesem Verbrechen. Manche tragen mehr, andere weniger Schuld. Diejenigen, die mehr Macht und Einfluss haben, wie Politiker:innen oder Konzernchefs, tragen jedoch eine größere Verantwortung. Es ist zu einfach, die Schuld nur diesen Gruppen zuzuweisen, denn auch die Konsument:innen, die sich für klimaschädliche Produkte entscheiden, und die Wähler:innen, die Scheinklimaschutz unterstützen, sind Teil des Problems. Die Gesellschaft als Ganzes ist mitverantwortlich, da sie nicht bereit ist, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.
Die Gesellschaft leugnet teilweise noch den Klimawandel, ebenso wie einige Politiker:innen. Mit welchen Argumenten sollte man diesen Klimawandel-Leugner:innen am besten begegnen?
Richtige Leugner:innen, die behaupten, dass das Klima sich nicht ändert, kann man nicht überzeugen. Hier spielt Vernunft keine Rolle. Psychologische Ansätze, wie die Hilfe eines Psychiaters, sind hier wirkungsvoller als wissenschaftliche Argumente. Die Leugnung ist ein psychologischer Abwehrmechanismus, der nichts mit Fakten und Vernunft zu tun hat. Es geht darum, die Realität zu verdrängen, um mit ihr zurechtzukommen. Daher ist eine auf Vernunft basierende Diskussion in solchen Fällen sinnlos.
In den Nachrichten Anfang August hieß es, der Klimawandel sei in Österreich angekommen. Die Wetterextreme sorgten in Kärnten und der Steiermark für Überflutungen und Hangrutsche. Das Thema Klimaschutzgesetz zieht sich mittlerweile seit Jahren hin, und Österreich scheitert laut Expert:innen vor allem am Föderalismus. Wie bewerten Sie, wie die Politik damit umgeht?
Österreich scheitert nicht nur am Föderalismus, sondern auch an der Sozialpartnerschaft und dem starken Einfluss der Wirtschaftskammer auf die Regierungspolitik, besonders wenn die ÖVP mitregiert, die eng mit der Wirtschaftskammer verbunden ist. Die Klimapolitik scheitert letztendlich daran, dass sie von einer Mehrheit der Bevölkerung so gewählt wird. Egal ob FPÖ, ÖVP oder ÖVP und SPÖ in Koalition – diese Konstellationen betreiben oft Scheinklimaschutz im kurzfristigen Eigeninteresse ihrer Klientel. Es wäre jedoch zu einfach, die Schuld nur den Interessensvertreter:innen zuzuschieben. Die Mehrheit der Gesellschaft ist ebenfalls mitverantwortlich.
Im EU-Vergleich hat Österreich seine Emissionen in den vergangenen 30 Jahren kaum reduziert. Warum schneiden wir besonders schlecht ab im Vergleich zu anderen EU-Ländern?
Österreich agiert als umweltpolitischer Opportunist. Trotz des Rufes als umweltpolitisches Musterland profitieren wir immer noch davon. Als Österreich der EU beitrat, bestand die Befürchtung, dass unsere hohen Umweltschutzstandards in der EU verwässert werden könnten. Heutzutage ist es jedoch umgekehrt: Was klimapolitisch in Österreich geschieht, wird von der EU vorgegeben. Österreich setzt diese Vorgaben halbherzig und oft zu spät um. Dies liegt daran, dass die Bevölkerung dies so will und fälschlicherweise glaubt, wir machten es bereits ausreichend gut. Zusammengefasst könnte man sagen: Österreich führt gut Reden und betrügt sich selbst. Wir neigen dazu zu denken, dass wir es gut machen, während wir in Wirklichkeit zu den schlechtesten Industrieländern Europas gehören.
Haben Sie Beispiele?
Der Strommix in Österreich ist vergleichsweise sauber, vor allem aufgrund der historisch gewachsenen Wasserkraft. Dies wird oft als europaweite Führung betont. Nicht aufgrund der Klimapolitik, sondern aufgrund geografischer Begünstigungen und der effektiven Nutzung der Wasserkraft. Das Ziel, bis 2030 100 Prozent erneuerbaren Strom zu haben, wird jedoch voraussichtlich nicht erreicht, da der Ausbau erneuerbarer Energien zu langsam voranschreitet. Dies wird mit der derzeitigen Klimapolitik nicht gelingen.
Wie sieht die Lage im internationalen Vergleich aus? Wer schneidet am besten ab, was Klimaschutz betrifft? Was wird wo besser gemacht?
Niemand schneidet so gut ab, dass man sagen könnte, sie seien auf Kurs für die 1,5-Grad-Zielsetzung. In Europa gehört Schweden traditionell zu den Ländern, die am besten abschneiden. Danach folgt Dänemark, wo der Ausbau der Windenergie über viele Jahre stark vorangetrieben wurde. Die skandinavischen Länder sind im Klimaschutz oft führend.
Wer Europa sagt, muss auch Green Deal sagen. Wie bewerten Sie ihn?
Der European Green Deal war eine bedeutende Ankündigung. Als er verkündet wurde, hatte ich die Hoffnung, dass er ernst genommen wird, ähnlich wie bei der Ankündigung der österreichischen Regierung, bis 2040 klimaneutral zu sein. Der Green Deal ist nach wie vor wichtig, wurde jedoch verwässert. Viele wichtige Punkte, sei es in der Agrarpolitik oder in der Energieversorgung, wurden abgeschwächt. Ein Beispiel ist die Kennzeichnung von Gaskraftwerken als grüne Investition. Es gibt Rückschläge aufgrund starker Lobbyinteressen, aber die Zielsetzung, die Emissionen bis 2030 drastisch zu reduzieren, ist wichtig und wurde im Rahmen des Green Deals festgelegt. Er könnte besser laufen, aber es ist dennoch positiv, dass es ihn gibt.
Klimaflucht oder Klimamigration werden die kommenden Jahre mit Sicherheit stark prägen. Wie realistisch ist es, dass diese Tatsache gesetzlich verankert wird und Personen der notwendige Schutz gewährt wird?
Klimaflucht beeinflusst bereits jetzt die Migrationsbewegungen aus Afrika nach Europa. Viele dieser Migrationsbewegungen resultieren aus der Unfähigkeit, in ihren Heimatländern aufgrund von Dürre und Trockenheit eine Existenz aufzubauen. Um dem zu begegnen, wäre Vernunft wichtig, doch das wird zunehmend schwieriger. Es ist zu befürchten, dass rechtspopulistische Parteien am meisten von steigendem Migrationsdruck profitieren werden. Genau diejenigen, die am wenigsten gegen die Klimakrise unternehmen, könnten dann an Einfluss gewinnen. Es besteht die Gefahr, dass das Problem sowohl in Bezug auf die Vermeidung als auch den Umgang mit Migration schlecht gelöst wird und sich die Situation verschlechtert.
Die Richtung, die eingeschlagen wird, hängt natürlich von der Mehrheit der Wähler:innen ab. Es besteht jedoch die Sorge, dass kurzfristige Probleme wie Migrationsdruck langfristige Probleme wie den Klimaschutz überschatten.
Auch innerhalb von Europa ist die Klimasituation nicht gerade rosig. Diesen Sommer hat Griechenland erneut mit massiven Bränden zu kämpfen gehabt. Es gibt dabei eine jährliche Diskussion rund um das Thema Brandstiftung und Brandrodung. Was denken Sie darüber?
Die Diskussion zeigt vor allem, wie schwer es für Teile der Gesellschaft ist, mit der Tatsache umzugehen, dass wir erheblichen Schaden anrichten. Es mag sein, dass viele Brände absichtlich gelegt wurden, wie es seit Jahren der Fall ist. Neu ist jedoch, dass diese Brände außer Kontrolle geraten, und zwar aufgrund zunehmender Trockenheit. Dies ist unangenehm, weil es auf unsere Schuld in der Klimakrise hinweist. Daher neigen wir dazu, die Diskussion auf Ausreden zu lenken, indem wir behaupten, dass dies nichts mit der Klimakrise zu tun hat, sondern alles auf Brandstiftung zurückzuführen ist.
Was denken Sie über Anpassungsmaßnahmen, wie etwa mehr Bäume in den Städten zu pflanzen? Sind Investitionen dieser Art langfristig sinnvoll? Immerhin muss der Baum auch erst einmal wachsen.
Die Sinnhaftigkeit von Anpassungsmaßnahmen wie der verstärkten Bepflanzung von Städten hängt vom Ort ab. Wenn dies in unseren Städten geschieht und dadurch die Umgebung kühler und grüner wird, ist es eine absolut notwendige und sinnvolle Maßnahme. Wenn wir jedoch versuchen, Emissionen durch Baumpflanzungen in Afrika zu kompensieren, handelt es sich oft um Augenwischerei. Studien zeigen, dass dies oft Betrug ist, da die behaupteten Kompensationen in der Realität nicht stattfinden. Wälder werden zertifiziert, um angeblich vor der Abholzung geschützt zu werden, obwohl nie die Absicht bestand, sie abzuholzen. Dennoch werden solche Zertifikate zur Kompensation von CO2-Emissionen verwendet.
Welche konkreten Klimaschutzmaßnahmen würden uns tatsächlich zum Ziel führen?
Es ist einfach: Alles, was schnell und in großem Umfang zu einer Reduzierung von CO2-Emissionen führen kann. Dazu gehören einfache Maßnahmen wie die Begrenzung der Geschwindigkeit auf 80/100 km/h. Aber auch größere Schritte wie ein Heizungsgesetz, das in Österreich immer noch fehlt. Selbst in Neubauten werden immer noch Gasheizungen installiert, was angesichts einer Gaskrise und hoher Abhängigkeit von Russland unsinnig ist. In der Industriepolitik müssten wir Anreize für klimafreundliches Verhalten setzen. Derzeit belohnen wir klimaschädliches Verhalten durch Subventionen oder Steuerbegünstigungen, etwa bei Kerosin, das nicht besteuert wird. Es ist eines der letzten steuerfreien Produkte weltweit.
Was gibt Ihnen bezüglich des Klimaschutzes noch Hoffnung?
Zwei Dinge geben mir Hoffnung. Zum einen freue ich mich über die enorme Geschwindigkeit, mit der die technologische Entwicklung voranschreitet, insbesondere im Bereich Photovoltaik, E-Autos und Batterietechnik. In den letzten Jahren hat sich hier viel getan, und dieser positive Trend wird voraussichtlich weiter anhalten. Dennoch ist klar, dass wir das Klimaproblem nicht allein durch Technologie lösen können.
Der zweite Hoffnungsschimmer liegt in den immer wieder aufkeimenden gesellschaftlichen Bewegungen, die laut sagen: "Stopp, so kann es nicht weitergehen!" Diese Bewegungen setzen sich mit großem Engagement für verstärkten Klimaschutz ein, auch wenn sie nicht immer populär sind. Rückblickend werden wir diese Bewegungen als wichtige Warnsignale in einer sich zuspitzenden Situation betrachten – Signale, die wir eigentlich ernster hätten nehmen sollen.
Glauben Sie, dass insbesondere jüngere Generationen einen Unterschied machen werden?
Die jüngere Generation hat bereits einen signifikanten Beitrag geleistet. Die Fridays-For-Future-Bewegung im Jahr 2019 wurde maßgeblich von jungen Menschen getragen. Auch die aktuelle Bewegung der 'Letzten Generation' wird von Jugendlichen geprägt, die aktiv für ihre Zukunft kämpfen. Allerdings stoßen sie auf Widerstand gegen den fossilen Lebensstil, der von der großen Mehrheit der Gesellschaft, einschließlich der Boomer-Generation, weiterhin praktiziert wird. Es entsteht ein deutlicher Kulturkampf zwischen einem klimafreundlichen Lebensstil, der allgemein gefordert wird, und dem klimaschädlichen Status quo. Die entscheidende Frage lautet: Sind wir in der Lage, schnell genug umzudenken, uns umzustellen und auf Wissenschaft und Aktivisten zu hören? Derzeit sieht es nicht danach aus, aber ich bin dankbar für alle, die trotzdem nicht aufgeben.