Selina Thaler

Redakteurin: Der Standard // frei: Die Zeit, Zeit Campus, Wien

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Lehre: Mit besseren Aussichten

Die Qualität der Ausbildung hängt in Österreich stark von der Region ab. Noch immer brechen viele ihre Lehre ab, dafür beginnen sie manche erst später.

Es bedarf vieler Arbeitsschritte, bis aus einem Stahlkolben ein Scharnier wird. Der Großteil wird von Maschinen übernommen. Dass diese überhaupt funktionieren, ist Sache der gelernten Metalltechnikerin Lena. Sie kommt vor allem bei der Wartung und Reparatur der Maschinen zum Zug: "Oft muss ich auch einen Winkel neu einstellen oder scharfkantige Metallteile ausbessern", erzählt sie.

Im Jahr 2005 entschloss sich die Vorarlbergerin, die Schule zu verlassen: "Ich wollte von meinen Eltern unabhängig sein und mein eigenes Geld verdienen." Durch eine Lehre bei der Firma Grass, einem Bewegungssystem-Hersteller, setzte sie diesen Wunsch um. Mittlerweile hat Lena ihre Ausbildung abgeschlossen - von ihrem Lehrbetrieb wurde sie sofort übernommen. Nach einem einjährigen Auslandsaufenthalt,wechselte die heute 23-Jährige zum Konkurrenzbetrieb Blum. Der Hersteller von Scharnieren, Klappen und Auszugssystemen zählt zu den größten Arbeitgebern im Ländle, wo er pro Lehrjahr rund 60 Lehrlinge ausbildet.


Schnelle Verfügbarkeit

Insgesamt waren in ganz Österreich vergangenes Jahr 125.228 Jugendliche in 35.256 Betrieben in einer Lehre. Neben dem klassischen Weg - bereits im Alter von 15 Jahren in die Lehre zu gehen - werden zunehmend auch andere Alternativen beliebt. Julian (23) hat sich zum Beispiel erst nach der AHS-Matura für eine überbetriebliche Facharbeiterintensivausbildung entschieden. Über das Berufsförderungsinstitut (BFI) erhält der Wiener in verkürzter Ausbildungszeit und mit komprimiertem Lehrplan einen Lehrabschluss in Mechantronik und Anlagetechnik. "Der doppelte Abschluss hilft bei der Jobsuche", sagt Julian. Als Anlagetechniker wäre man "leichter zu vermitteln".

Die schnelle Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt ist gerade aufgrund des bestehenden Fachkräftemangels wichtig. Durch das gut ausgebaute System an berufsbildenden Ausbildungsstätten liegt zudem die Jugendarbeitslosigkeit bei geringen neun Prozent.

Trotzdem sind viele der Meinung, dass die Lehre keine Form von Bildung ist - auch Julian. Das oftmals schlechte Image der Lehre ist für ihn gesellschaftlich verwurzelt. So wurde er bereits im Gymnasium lediglich über Weiterbildungsmöglichkeiten an Hochschulen informiert: "Niemand erwartet von einem AHS-Maturanten, dass er eine Lehre absolviert."

Ein ganz anderes Bild der Lehre zeichnet sich im Westen Österreichs. "Meine Ausbildung gilt als eine sehr gute", sagt etwa die Vorarlbergerin Lena, "damit werde ich eher beneidet als belächelt."

Diese unterschiedlichen Erfahrungen ergeben sich daraus, dass der Stellenwert der Lehre "regional sehr unterschiedlich" sei, wie es auch Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner formuliert: "Bei bekannten, staatlich ausgezeichneten Ausbildungsunternehmen, wie Blum, hat sie einen guten Ruf."


Lehre als Chance

Das gute Ansehen ihrer Arbeitsstätte ist Lena aber nicht genug: Sie plant, die Matura nachzuholen, um eine neue Ausbildung zu beginnen. Dabei hätte sie als Frau in einem von Männern dominierten Beruf gute Jobaussichten. In ihrem Jahrgang war Lena das einzige Mädchen. "Ich könnte mir ein gutes Leben in Vorarlberg aufbauen, aber ich will etwas Neues kennenlernen", sagt sie. Zusätzlich hofft Lena auf bessere Jobaussichten. Die Matura zeige, dass man sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhe und fleißig sei.

Doch die Lehre allein sei bereits eine "höchst anspruchsvolle Ausbildung, die sehr gute Karrieremöglichkeiten bietet", erklärt Wirtschaftskammerpräsidentin Brigitte Jank. Knapp 50 Prozent ehemaliger Lehrlinge schaffen es in Führungspositionen. "Ein gut ausgebildeter Lehrling verdient oft besser als ein AHS-Maturant", sagt Jank.

Aber trotz guter Jobchancen, die eine Lehre mit sich bringt, bricht jeder sechste Lehrling in Österreich seine Ausbildung verfrüht ab. Laut Jank liegt ein Grund dafür, dass Jugendliche "ihre Talente und Fähigkeiten nicht kennenlernen". Sie bekämen in der Schule zu wenige Informationen und wüssten daher nicht, welche Jobs ihnen gefallen und welchen Weg sie später einschlagen sollen.


Pragmatische Entscheidung

Lena musste sich bereits mit 15 Jahren selbst über mögliche berufliche Lebenswege informieren. Mit ihrem Vater schnupperte sie in verschiedenen Betrieben. Die Berufswahl traf sie schlussendlich aus Interesse am Schulfach technisches Werken - die Entscheidung zum Lehrbetrieb war eine pragmatische und hat sich für den Ausbilder in der Nähe entschieden: "Da konnte ich hinradeln."

Seine Neigung zur Technik und dem praxisbezogenen Lernen erkannte Julian erst mit der Volljährigkeit. "Die Zeitpunkte, wann man in unserem Schulsystem Entscheidungen treffen muss, sind zu früh angesetzt", findet er. In diesem Alter sind viele mit anderen Dingen als der Karriere beschäftigt: "Die meisten haben zwar eine Idee, was sie ausprobieren möchten, wissen aber nicht, ob sie das ihr restliches Leben machen wollen." Er selbst würde heute eine HTL wählen.

Um diesem Problem entgegenzuwirken, möchte Wirtschaftsminister Mitterlehner die Berufsinformation bei den Jugendlichen in der siebenten bis neunten Schulstufe noch weiter auszubauen. Auch die duale Ausbildung soll weiterentwickelt und Unterstützungen für Betriebe und Lehrlinge vermehrt werden.

Ein notweniger Schritt, denn aktuell schaffen es die Berufsschule nur zum Teil mit den wenigen Stunden, die dort absolviert werden, "die recht unsystematische Ausbildung in den Betrieben zu kompensieren", erläutert Berufsbildungsforscher Peter Schlögl.


Qualität der Lehre

Die Qualität der Ausbildungsbetriebe streue erheblich, da die Lehre derzeit der einzige Bildungsbereich ohne systematische Qualitätssicherung sei, kritisiert Schlögl weiter. Das erklärt auch, warum das Image der Lehre regional und nach Branchen unterschiedlich bewertet wird.

An einer Lösung wird gearbeitet - von Wirtschaftsministerium und Sozialpartnern. Ein standardisiertes Qualitätsmanagementsystem soll zumindest in Zukunft die Ausbildung verbessern. Dafür sollen schon kommendes Jahr Zertifizierungen für gut ausbildende Lehrbetriebe und neue Prüfverfahren bei der Lehrabschlussprüfung entwickelt werden.


(Oona Kroisleitner, Selina Thaler, DER STANDARD, Family, 25.11.2013)

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