Selina Thaler

Redakteurin: Der Standard // frei: Die Zeit, Zeit Campus, Wien

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Einkauf: Der Faktencheck zum Handel

© Marc Daneau/Eyeem

Shoppen? Nur noch online. Bezahlen? Nur noch mit Karte. Fünf Vorurteile zur Zukunft des Handels - und was davon stimmt.


Vorurteil 1: Die Innenstädte veröden

Online shoppen, das geht rund um die Uhr und ist praktisch. Viele Verkäufer im stationären Handel fürchten deshalb, dass ihnen die Kundschaft ausbleibt. Zu Recht. Wer alles im Internet bekommt - noch dazu oft günstiger -, ist nicht mehr auf Läden angewiesen. Die Befürchtung, dass der Onlinehandel zur Verödung der Innenstädte führt, ist deshalb nicht von der Hand zu weisen. Zumindest in kleinen Städten ist das so.

Eva Stüber, Expertin am Institut für Handelsforschung Köln (IFH), sagt: "Die Leute kaufen in der Filiale zielgerichteter ein als früher. Sie informieren sich vorher online und gehen dann ins entsprechende Geschäft." Die Folge: Spontankäufe und ausführliche Einkaufsbummel fallen weg - und damit auch Umsätze. Das spüren vor allem kleine Händler. Der Handelsverband Deutschland rechnet damit, dass bis 2020 jedes zwölfte Geschäft schließen wird.

Das Szenario einer Innenstadt mit viel Leerstand und wenig Gedrängel könnte vor allem in kleinen und mittelgroßen Städten Wirklichkeit werden. Ganz ausgestorben werden nur wenige sein, sagt Eva Stüber. Zumindest solange es Restaurants, Kinos und Museen gibt. Großstädte sind im Vorteil: Die zahlreichen Einwohner und Touristen füllen die Straßen.

Eine neue Entwicklung ist, dass einige Online-Händler in den stationären Handel investieren: Zalando etwa verkauft Ware, die online nicht wegging, in Outlet-Stores in Berlin, Köln und Frankfurt und hat zudem den Streetwearladen Kickz übernommen. Die Kleidung des Versandhändlers Otto kann man in einem Concept-Store in Hamburg anprobieren und die Brillen des Online-Optikers Mister Spex in Filialen in Berlin und Bremen. Amazon hat in Oberhausen einen Showroom, wo man Kindle und Echo testen kann. In den USA betreibt Amazon Buchläden und kaufte im Juni die größte Bio-Supermarkt-Kette Whole Foods. "Die Online-Händler schaffen so Sichtbarkeit und Kundenbindung", sagt Eva Stüber. Und: Sie lindern den Leerstand, den sie in den Städten anrichten. Zumindest ein bisschen.

Aktuell gibt es in Deutschland etwa 400 Filialen von Online-Händlern, das sind rund 0,1 Prozent aller Geschäfte. Bis 2020 werden es etwa 2500 sein, rechnet das IFH. Die Zentren der Kleinstädte wird das jedoch nicht retten, denn die Online-Filialen sind da, wo ihre Zielgruppe wohnt: in Berlin, Hamburg oder Köln.


Vorurteil 2: Die Supermärkte verschwinden

Nein, das ist mit einiger Sicherheit falsch. Zwar liefern Amazon, Rewe oder Edeka mittlerweile Lebensmittel nach Hause, doch das wird Supermärkte nicht ersetzen. Aber verändern. Elf Prozent der Deutschen nutzen die Lieferservices bereits, ergab eine Umfrage des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel. Der Online-Handel von Lebensmitteln wächst derzeit stark und wird das laut Prognosen auch in Zukunft tun.

Antonio Krüger, Professor für Künstliche Intelligenz im Handel an der Uni Saarland, forscht zu den Supermärkten der Zukunft: "Diese werden wie eine Markthalle aufgebaut sein, wo man nicht nur einkaufen kann, sondern auch Gastronomie hat." Milch, Salat oder Klopapier werde es dort nicht mehr geben, sondern nur Qualitätsware wie Fleisch, Fisch oder Käse. Die Produkte des täglichen Bedarfs bekomme man in Zukunft über einen Online-Abo-Dienst, glaubt Krüger. Voraussichtlich laufe das über ein intelligentes Haushaltssystem, dessen Einkaufsliste an den Abo-Dienst gekoppelt sei. Das System erkenne, wann ein Produkt zur Neige gehe, teile das per App mit und bestelle es. In die Supermärkte gehe man trotzdem noch, sagt Krüger: als Inspiration zum Kochen oder als Zeitvertreib mit Freunden. Krüger schätzt, dass in fünf bis zehn Jahren so ein System deutschlandweit verfügbar sein wird und dass es manche dann bereits nutzen werden.

Der Online-Handel frischer Lebensmittel werde in zehn bis 15 Jahren von der Mehrheit verwendet werden, sagt Krüger. In Großbritannien bestellen die Leute jetzt öfter, weil man dort für den Einkauf lange Wege auf sich nehmen muss: Auf eine Million Einwohner kommen dort 100 Supermärkte, hierzulande sind es 340. Bei uns geht es schneller, die Milch im Laden ums Eck zu kaufen, statt auf die Lieferung zu warten.


Vorurteil 3: Das Bargeld wird abgeschafft

Karte rein, PIN eingeben, Karte raus. Bargeldlos bezahlen ist praktisch und geht schnell. Aber wird es das Bargeld komplett verdrängen? Wohl nicht.

In Deutschland hängen die Menschen so stark am Bargeld wie in kaum einem anderen EU-Land. Das hat eine Umfrage der ING-DiBa-Bank gezeigt: 84 Prozent der befragten Deutschen wollen nicht auf Münzen und Scheine verzichten. Eine Umfrage des EHI Retail Institute ergab, dass rund 78 Prozent ihre Einkäufe gern bar bezahlen, vor allem Beträge unter zehn Euro. Das könnte sich allerdings langfristig ändern, glaubt Ulrich Binnebößel, Experte für Geld beim Handelsverband Deutschland: "Durch kontaktloses Bezahlen mit dem Smartphone. Das ist unkompliziert, und besonders junge Leute benutzen ihr Handy ohnehin ständig."

Trotzdem: Dass das Bargeld deshalb ganz abgeschafft wird, ist ziemlich unwahrscheinlich.


Vorurteil 4: Versandhandel schadet der Umwelt

Nicht unbedingt. Mehr Online-Handel bedeutet mehr Pakete, die auszuliefern sind, und dadurch mehr Verkehr. Wenn also der Online-Handel weiterhin jährlich um etwa zehn Prozent wächst, wird auch der Verkehr weiter zunehmen. Thomas Bergmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner Öko-Institut, sieht darin ein Problem: "Dadurch wird insgesamt mehr gekauft, aber auch zurückgeschickt." Rund 300 Millionen Artikel werden jährlich in Deutschland retourniert, schätzt die Forschungsgruppe Retourenmanagement der Uni Bamberg. Dabei entstehen 143.000 Tonnen CO₂.

Es kann aber trotzdem besser für die Umwelt sein, Schuhe online zu bestellen, als sie im Laden zu kaufen. Die Lieferung eines Paars Schuhe verursacht im Schnitt 660 Gramm CO₂, hat das Öko-Institut berechnet. Wenn man stattdessen fünf Kilometer hin und fünf Kilometer zurück mit dem Auto zum Schuhgeschäft fährt, fallen insgesamt 3.270 Gramm CO₂ an. Selbst wenn Kunden mit dem Fahrrad zum Laden fahren, entstehen immer noch 1.270 Gramm CO₂.

Der Grund: Die Lieferung der Ware in die Filiale und deren Betrieb verbrauchen viel Energie. Allerdings setzt diese Rechnung voraus, dass die Online-Shopper in der gewonnenen Zeit keine anderen verkehrsbedingten Emissionen verursachen. "Meist bringt man die Emissionen, die man beim Einkaufen einspart, wieder auf, weil man Freunde trifft oder zum Sport fährt", sagt Bergmann. "Nur wenn man diese Wege mit dem Rad zurücklegt, kann man Emissionen einsparen."

Und wer dann die Schuhe zurückschickt, ist mit 1030 Gramm CO₂ immer noch klimafreundlicher als jemand, der mit dem Fahrrad die Schuhe vor Ort in der Filiale kauft.


Vorurteil 5: Besitz ist Neunziger! Wir teilen alles

Auto? Carsharing. Filme? Netflix. Musik? Spotify. In den vergangenen Jahren wurden Firmen groß, die ihr Geld mit Mietangeboten verdienen. Keiner braucht mehr CD- oder DVD-Sammlungen, das kann man streamen. Keiner braucht mehr Autos, die kann man mieten. Dieser Trend wird vermutlich noch zunehmen.

Seit Dezember 2016 bietet Otto mit Otto Now eine Plattform an, die auch Fernseher, Waschmaschinen oder E-Bikes vermietet. Ein Laptop kostet monatlich 30 Euro. Seit Januar hat MediaMarkt 500 Produkte zur Miete im Angebot. Die beiden Firmen testen noch bis Jahresende, ob das ein Geschäftsmodell sein kann.

Lars Hofacker, Experte für Online-Handel am EHI Retail Institute, sagt dazu: "In Deutschland stehen wir damit noch am Anfang." Eine Umfrage von PWC zeigt: 46 Prozent der Deutschen haben schon Sharing-Angebote genutzt, bei Menschen unter 30 waren es sogar 82 Prozent. Das spricht für die Zukunft des Teilens.

Diese junge Zielgruppe wollen Otto und MediaMarkt ansprechen. "Aber auch 80-Jährige überlegen, ob es sich lohnt, noch eine hochpreisige Waschmaschine zu kaufen, oder ob man die nicht besser mietet", sagt Handelsexperte Lars Hofacker. Bestimmt werden Menschen in Zukunft noch Sachen besitzen wollen. Aber nicht mehr alles.

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