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Kinderzimmer-Bosse: Gründen geht auch unter 18 - aber nur mit Hürden

Hamburg, Düsseldorf Der Unternehmer Milan von dem Bussche ist vor Kurzem umgezogen: von seinem Kinderzimmer in das der Schwester. Sie hat es ihm überlassen, weil ihr Bruder in seinem eigenen Zimmer zuletzt nicht einmal mehr das Bett benutzen konnte, so vollgestopft war der Raum mit technischen Geräten. „Bis meine Schwester ihr Zimmer wieder braucht, will ich meine Produktion längst in eine echte Fertigungshalle verlagert haben", sagt der 17-Jährige.

Vor zwei Jahren hat der Schüler aus Oppenheim ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Rohmaterial für 3D-Drucker aus recyceltem Plastik herstellen lässt. Die Maschinen dafür hat er alle selbst gebaut. Ein Technik-Wunderkind sei er trotzdem nicht, wehrt von dem Bussche ab, schließlich habe er sich alles mithilfe von Youtube-Videos beigebracht.

Bei allem Understatement: Mittlerweile kommen die Kaufangebote für seine Maschinen sogar aus Indien. Und zwar über seinen Instagram-Account.

Im März, als wegen des Coronavirus in Deutschland die Schutzmasken knapp wurden, stellte von dem Bussche seine Produktion um: auf Schutzvisiere aus Plastikschraubverschlüssen. An die 6000 Visiere hätten er und elf Schulfreunde seither hergestellt. Im Dreischichtbetrieb, alle zwei Minuten eines. Den Großteil spendete er ans Rote Kreuz, an Pflegedienste und Altenheime in seiner Region. Seither ist er dort ein Held.

Zuvor hatte er oftmals das Gefühl, ein Störenfried zu sein. Daran sind die örtlichen Behörden schuld: „Wenn ich dort angerufen habe, dann haben die wegen meiner jungen Stimme entweder gleich aufgelegt oder gesagt, ich solle mal meine Eltern ans Telefon holen."

Dabei hatte der Schüler einfach nur eine clevere Geschäftsidee. Um die umzusetzen, wollte er ein eigenes Unternehmen gründen. Doch weil er noch nicht volljährig ist, braucht er dafür eine Genehmigung vom Familiengericht. Das klingt nach einem Einzelschicksal, ist es aber nicht.

Die haben wegen meiner jungen Stimme gleich aufgelegt. Milan von dem Bussche (Jungunternehmer)

Fast 70 Prozent der 16- bis 25-Jährigen in Deutschland haben vor, ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Das ergab eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts Yougov unter 1000 deutschen Jugendlichen. Rund ein Zehntel von ihnen hat dieses Vorhaben sogar schon umgesetzt. Studien, die sich explizit mit minderjährigen Gründern in Deutschland beschäftigen, gibt es bislang nicht.

Deshalb lässt sich über die exakte Anzahl von U18-Gründern keine zuverlässige Aussage treffen. Hauke Schwiezer, Geschäftsführer von Startup Teens, weiß jedoch aus eigener Erfahrung, dass deren Zahl beständig steigt. Seine Organisation vermittelt gemeinsam mit prominente Kooperationspartnern wie etwa Ex-Fußballnationalspieler Phillip Lahm jungen Menschen unternehmerisches Denken und Handeln.

Einmal im Erwachsenenalter angelangt, nimmt der Wunsch, sich selbstständig zu machen, von Jahr zu Jahr ab. Nur 26 Prozent der Erwerbstätigen konnten sich 2019 laut einer Befragung der KfW vorstellen, ihr eigener Chef zu sein.

Für die Jugendlichen dagegen, vor allem für die unter 18 Jahren, gilt: Wären die bürokratischen Hürden nicht so hoch und der Widerstand einiger Schulen nicht oftmals groß, dann gäbe es unter ihnen wohl noch mehr Gründer.

Zurzeit werden die jungen Gründer jedoch vor allem aufgehalten - so wie von dem Bussche. Ihm erteilte das Mainzer Familiengericht nach sechsmonatiger Wartezeit eine höchst analoge Absage. Sein Antrag auf unbeschränkte Geschäftsfähigkeit wurde wegen eines Formfehlers abgelehnt.

Von dem Bussche hat daraufhin seine volljährige Schwester als Geschäftsführerin und Gründerin eingesetzt. Die Schwester studiert in den Niederlanden. Sie musste über die Grenze reisen, sich dort einen Notar nehmen und unter dessen Augen den Gesellschaftervertrag unterschreiben, den zuvor von dem Bussches Notar in Rheinland-Pfalz aufgesetzt hatte. Insgesamt kostete das 1500 Euro. Zuvor hatte er bereits für den negativen Gerichtsbeschluss bezahlen müssen.

Solchen Unbillen ist Charles Bahr mittlerweile entronnen: Er feierte vor fünf Monaten seinen 18. Geburtstag. Doch auch der Hamburger war für seine ersten unternehmerischen Gehversuche auf die Hilfe von Erwachsenen angewiesen. Nach Bahrs Schülerpraktikum in einer Werbeagentur gründete eine Freundin seiner Mutter für Bahr, damals 14, das erste Unternehmen: Tubeconnect Media, eine Agentur für Influencer Marketing. So nennt sich die Werbung mithilfe von Testimonials in sozialen Netzwerken wie Instagram.

Bahrs Mutter wurde Gesellschafterin, er selbst der wohl jüngste Agenturchef des Landes. Drei Jahre später gründete er schon die nächste Firma, Project Z, nachdem seine Mutter die erste für ihn verkauft hatte. Jetzt, gerade mal volljährig, ist Bahr zum ersten Mal Angestellter: Seit diesem Juli ist er „Brand Partnerships"-Manager bei TikTok, der Kurzvideo-Plattform aus China. „Ein Karrieresprung", sagt Bahr. Bahr macht bei TikTok, was er auch schon als Unternehmer gemacht hat: Firmen erklären, wie man attraktiv wird für die Generation Z.

Sein Büro darf Bahr Corona-bedingt noch nicht beziehen, an den Videokonferenzen mit den anderen Managern nimmt er von seinem Jugendzimmer aus teil. Am ungewöhnlichsten sind darin wohl die DVD-Boxen von „Großstadtrevier" und „Notruf Hafenkante" im Regal. Seine Faszination für die beiden biederen Vorabend-TV-Serien könne er auch nicht erklären

Dann sind da noch die beiden Rimowa-Koffer. Dass die nicht wie sonst aufgeklappt mitten im Zimmer liegen, dafür entschuldigt Bahr sich fast schon. Vor Corona sei er 200 Tage im Jahr nur unterwegs gewesen. In einer Web-Doku charakterisierte er sich selbst mal so: „Wenn ich mit jemand anderem unterwegs bin, dann merke ich erst, was für eine Geschwindigkeit ich drauf habe."

Mit gleichaltrigen „Fridays for Future"-Anhängern verbindet ihn augenscheinlich wenig. Stattdessen gelten für Bahr noch die Statussymbole einer vergangenen Managergeneration. Zumindest lenkt er Gespräche immer wieder auf diese Punkte: Seine Schnitzel im Borchardts, seine goldene Senatorkarte bei der Lufthansa, seine guten Beziehungen zur Politik und zu den Medien in Person des 53-jährigen TV-Moderators Kai Pflaume.

Meine Firma berät die „Bravo". Charles Bahr (Agenturchef mit 14)

Den meisten Ärger hatte Bahr laut eigenen Angaben mit den Lehren und der Schulleitung. Die hätten sich wenig flexibel gezeigt, wenn er im Unterricht fehlte, weil er irgendwo, womöglich am anderen Ende Deutschlands einen Kundentermin hatte. „Mit dem wachsenden Erfolg von Charles", erklärt seine Mutter, die selbst Lehrerin ist, allerdings an einer anderen Schule, „habe sogar ich Schwierigkeiten bekommen, Charles zu vermitteln, welchen Stellenwert Hausaufgaben in einigen Fächern gegenüber einem Treffen mit einem wichtigen CEO aus Bayern haben."

Irgendwann war laut der Mutter auf beiden Seiten nur noch Unverständnis füreinander da. „Seine Lehrer sagten immer zu mir: Ihr Sohn kann kein Chef sein. Er ist Schüler."

Allerdings habe er selbst die Beziehung mit seinem eigenen Auftreten nicht gerade verbessert, gesteht Charles Bahr. Als ein Lehrer ihm den Termin für eine Nachklausur nannte, habe Bahr geantwortet: „Moment, da muss ich erst mal in meinem Terminkalender nachschauen."

Und als eine Lehrerin in die Klasse fragte, ob noch jemand die „Bravo" lese, habe er geantwortet: „Meine Firma berät die." Das würde er heute nicht mehr so machen. Er fragt sich jedoch, warum für Jungschauspieler oder angehende Profisportler, die auch nicht seltener die Schule verpassen als er, Lösungen gefunden werden - für junge Unternehmer aber nicht.

Diese Geringschätzung von Gründern kann sich Deutschland eigentlich nicht leisten. Der Global Entrepreneurship Monitor erhebt weltweit die Zahl der Unternehmensgründungen in den einzelnen Ländern. Deutschland belegt dabei aktuell unter 33 vergleichbaren Nationen nur den 28. Platz. Von Jugendlichen sind besonders viele Innovationen zu erwarten in allem, was mit Digitalisierung und sozialen Medien zusammenhängt. Schließlich haben wir es mit der ersten Generation zu tun, die den Umgang damit von Kindesbeinen an gelernt hat.

So wie die heute 22-jährige Lena Kotlarov. Das erste Mal Unternehmerin war sie mit 15, als sie von ihrem Internat in Hamm aus Energieberatung für mittelständische Unternehmen anbot. Mit 17 gründete sie gemeinsam mit zwei Freunden ,„4channels": eine Social-Media-Agentur, die Mittelständlern dabei hilft, junge Bewerber zu begeistern. Dem Bürokratiewahnsinn entgingen Lena und ihre Kollegen, indem sie in den Monaten bis zum 18. Geburtstag einfach keine Rechnungen stellten.

Viel hat sie mit ihrem Unternehmen auch später nicht verdient: „Hätte ich mir mein Studium selbst finanzieren müssen, dann wäre es besser gewesen, ich wäre kellnern gegangen." Monatlich konnten sie und ihre Partner sich im Schnitt nur 300 Euro ausbezahlen. Kotlarov bereut die Erfahrung dennoch nicht: „Man gründet doch nicht wegen des Geldes, sondern wegen der Erfahrung, die man macht."

Immerhin: Inzwischen haben auch minderjährige Gründer so etwas wie eine Lobby, die sich für ihre Interessen starkmacht. FDP-Chef Christian Lindner wollte selbst als 17-jähriger Schüler eine eigene PR-Agentur gründen. Im vergangenen Bundestagswahlkampf wurde ein alter TV-Beitrag über Lindners erstes Jahr als Unternehmer ausgegraben. Der heutige Spitzenpolitiker ist darin als Teenie mit Igelfrisur und Kuhflecken-Krawatte zu sehen.

Er sei damals vom Amtsgericht „förmlich abgewimmelt worden", erinnert sich Lindner. Speziell für minderjährige Gründer fordert er daher eine neue Rechtsform für Unternehmen. Eine „Junior GbR als Testlauf" , so Lindner, die Minderjährige ohne richterliche Zustimmung gründen können. Dafür sollte dann der Umsatz auf 10.000 Euro pro Jahr gedeckelt werden.

Sven Ripsas unterstützt die Forderung des FDP-Chefs. „Warum gibt es nicht eine Art Testphase für minderjährige Gründer, bevor der Bürokratieapparat zuschnappt - in Eigenverantwortung, mit einem monatlichen Freibetrag von 700 Euro und einem Mentor, der in Rechtsfragen das letzte Wort hat?", fragt der Vorsitzende von Network for Teaching Entrepreneurship Deutschland. Der Verein will den Unternehmergeist unter Schülern fördern.

Man gründet nicht wegen des Geldes, sondern wegen der Erfahrung. Lena Kotlarov (Ex-Jungunternehmerin)

Vor allem aber müsse sich bei den Ämtern und Behörden das Bewusstsein ändern, findet Lindner: „Eigentlich müsste man von den Ämtern, den Industrie- und Handelskammern doch erwarten, dass sie junge Menschen mit großen Ambitionen auf besondere Weise betreuen, statt dass man ihnen ihre Vorhaben ausredet." Dass unternehmerischer Erfolg nicht vom Alter abhänge, dafür sei er selbst der beste Beleg. Als er 19 war, habe seine Firma zum ersten Mal eine Million Mark Umsatz gemacht.

Behörden begründen die hohen rechtlichen Hürden mit dem Schutz der Minderjährigen. Andererseits: Wenn grundsätzlich Zweifel daran bestehen, ob Teenager die für den Betrieb eines kleinen Unternehmens erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen, dann läuft möglicherweise etwas in unserem Bildungssystem falsch. Wirtschaft ist bislang nicht bundesweit ein eigenständiges Schulfach. Und so müssen sich jugendliche Unternehmer ihre Informationen weiterhin aus Youtube-Tutorials besorgen.

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