Nicht zum ersten Mal setzt eine traditionsreiche europäische Fluglinie, die irgendwie von nationaler Bedeutung ist, zum Sinkflug an. Air Berlin war nie staatlich, war im Gegenteil ein kecker Herausforderer der behäbigeren Lufthansa, der AG mit staatlicher Vorgeschichte. Aber das Konzept von Air Berlin ging nicht auf. Das Unternehmen häufte Verluste an. Jetzt also der Insolvenzantrag. Für die Beschäftigten, die Aktionäre und die Passagiere hat die Regierung noch einen Schaumteppich ausgelegt. 150 Millionen Euro Übergangskredit, damit alles sanft auslaufen kann. Aber ist das europarechtskonform? Oder haben die Konkurrenten Recht, die dagegen klagen wollen?
Ein Kommentar von Sebastian Schöbel, ARD-Studio Brüssel
2014 hat die EU-Kommission ihre Regeln für Staatsbeihilfe modernisiert - und speziell für die Luftfahrtbranche sogar ein fünfseitiges Merkblatt veröffentlicht. Das wird man sich bei Air Berlin nun wohl recht genau durchlesen, auch wenn die Lektüre nicht immer angenehm sein wird. Denn die Kommission stellt zunächst einmal fest: Dass schwächelnde Unternehmen mit Staatsgeldern gerettet werden, ist nicht mit den Regeln der freien Marktwirtschaft vereinbar. Denn die Konkurrenz bekomme das Geld ja schließlich nicht - und Lieblinge darf sich keine Regierung halten.
Knallharte AuflagenÜberhaupt, so die Kommission: Dass eine Firma vom Markt verdrängt wird, ist nicht grundsätzlich schlecht, sondern sogar gut: So steige die Produktivität. Allerdings: Gänzlich verboten ist die helfende Hand des Staates - wie jetzt bei Air Berlin - nicht, sofern sie nur in ganz bestimmten Ausnahmesituationen eingreife. Und die bringen knallharte Auflagen für die Fluglinie mit sich. Erstens: Sie muss mindestens die Hälfte der Kosten für ihre eigene Rettung selbst aufbringen. Rundum-Sorglos-Pakete der nationalen Regierung sind verboten. Zweitens: Die Auswirkung auf die Konkurrenz muss so gering wie möglich ausfallen.
Heißt im Klartext: Die zu rettende Airline muss Marktanteile abgeben, vor allem in Form von Landerechten, sogenannten Slots. Wo gestern ein Jet der Krisen-Airline stand, muss morgen einer der Konkurrenz stehen. Und drittens: Ein Sanierungsplan muss her, ein neues Geschäftsmodell. Und zwar eins, das in Zukunft ohne Staatshilfe überleben kann. Denn klar ist auch: Gerettet werden darf eine Airline einmal alle zehn Jahre.
Ähnliche Beispiele in der Vergangenheit ohne ErfolgWie streng die Regeln in der Praxis ausgelegt werden, sah man schon 2015. Estlands nationale Fluggesellschaft musste 85 Millionen Euro zurückzahlen, die sie vom estnischen Staat bekommen hatte. Begründung: Estlands Regierung hatte schon zu oft Geld in die kriselnde Airline gesteckt, besser geworden ist die wirtschaftliche Situation aber nicht - während die Konkurrenz auch ohne Staatsgeld auskam. Zyperns nationale Fluglinie Cyprus Airways bekam 2015 das Gleiche von der EU-Kommission zu hören: Sanierungsbemühungen mangelhaft, wirtschaftlicher Erfolg trotz Staatshilfe nicht zu erkennen. Urteil: 65 Millionen Euro mussten zurückgezahlt werden.
Viele Fragen noch offenDoch die EU-Kommission sagt nicht immer Nein zu staatlicher Hilfe für Fluglinien: Adria Airways, airBaltic, LOT, Air Malta und Czech Airlines, sie alle bekamen Hilfe der jeweiligen nationalen Regierung - und das grüne Licht aus Brüssel. Weil die Hilfe den europäischen Regeln entsprach: Mit Augenmaß und verbunden mit erheblichen Anstrengungen der Airlines. Ob die Kommission das auch im Fall Air Berlin so sehen wird, bleibt abzuwarten. Wer bekommt die Landerechte? Wer übernimmt welche Maschinen? Und ist ein Überbrückungskredit auch zulässig, wenn es nur noch um die Zerschlagung des Unternehmens geht, nicht um dessen langfristige Rettung?
Ryanair muss Recht einfordernUm solche Frage zu beantworten, haben wir die EU-Kommission, als Hüterin der Verträge und der Regeln des europäischen Binnenmarktes. Und Ryanair tut gut daran, das von den Brüsseler Technokraten einzufordern - dieses Recht steht Unternehmen in der EU zu, sie sollten es nutzen. Denn schließlich geht es nicht nur um die Zukunft etlicher Air-Berlin-Mitarbeiter, sondern auch um die Machtverhältnisse auf dem Luftverkehrsmarkt - die wir Verbraucher in Form von Ticketpreisen und Flugverbindungen zu spüren bekommen. Das Berlaymont-Gebäude, das Hauptquartier der EU-Kommission in Brüssel, ist damit genau die richtige Stelle, um den Fall Air Berlin zu beurteilen.