Sebastian Handke

Konzept – Redaktion – Inhalt, Berlin und Hamburg

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Reportage

Andris Nelsons – der sanfte Euphoriker

Elegant ist das nicht. Der Mann mit dem Stab bäumt und beugt sich, er kauert, schaukelt, macht sich lang. Mit weit ausgreifenden Handschaufeln scheint er die Musik selbst aus der Luft zu schöpfen. Ein Fausthieb geradeaus, ein Ausfallschritt halb rechts. Dann stürzt er nach vorn, greift übers Pult fast ins Orchester, als wolle er mit bloßen Händen den Klang anmischen. Er krümmt und duckt sich, reckt sich gen Himmel, als wolle er Gott am Rockzipfel fassen. Dann, selig die Arme ausbreitend, fliegt Andris Nelsons. Und lächelt. Als könne er sein Glück, hier stehen zu dürfen, während die Klangmassen über ihm zusammenschlagen, immer noch nicht fassen.
Andris Nelsons, 1978 in Riga geboren, ist der Dirigent der Stunde. Alle wollen ihn haben, jeder will ihn hören, inzwischen ist er Chef gleich zweier Klangkörper von Weltrang: des Boston Symphony Orchestra und des Gewandhausorchesters in Leipzig. Mit gerade mal 41 Jahren. „Dirigieren ist schon ein merkwürdiger Beruf“, sagt Nelsons. „Man kann ja viel machen mit bloßen Händen. Aber keine Töne.“ ...