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Plein ganz groß

Text von Sebastian Goddemeier Fotos von Amy Lombard


An diesem Oktobertag ist es verdammt warm in New York, schwüle 27 Grad. Aber das ist nicht unbedingt der Grund, warum Philipp Plein sein weißes Hemd weit aufgeknöpft trägt. Die glatt rasierte und trainierte Brust passt zu den gegelten Haaren und den aufgepumpten Armen. Gut sieht er aus, das muss man sagen. Sein Haus hat er vor wenigen Jahren für 14 Millionen Dollar gekauft. Es ist eines dieser New Yorker Townhouses, roter Backstein, ganz schmal, sieben Etagen, Upper East Side. Die Kronleuchter und Lichtinstallationen scheinen selbst am helllichten Tage auf die Straße hinaus. Die Sofas sind mit teils glitzernden Kissen beladen, Glas und Metall ziehen sich durch die Räume. Die übergroßen Duftkerzen glänzen in Gold. Manchmal ist es ganz schön, wenn in dieser unvorhersehbaren Welt die Dinge exakt so sind, wie man sie sich vorgestellt hat. Willkommen im House of Bling.

Das Plein-Prinzip

Philipp Plein, 40, ist der Außenseiter unter den deutschen Modedesignern. Sein Name löst heftige Reaktionen aus, denn Pleins Kreationen liegen irgendwo zwischen Proll-Chic und Swarovski-Inferno. Nicht gerade deutsches Understatement. Dennoch - oder auch gerade deswegen - ist Philipp Plein wahnsinnig erfolgreich: 265 Millionen Dollar setzte er vergangenes Jahr mit den drei Marken Philipp Plein, Plein Sport und Billionaire um. Nächsten April wird die Marke Philipp Plein 20 Jahre alt, er will ein Parfum auf den Markt bringen. Ein Mann, der weit gekommen ist, aber noch viel weiter kommen will.

Jetzt sitzt er erst mal in seinem Wohnzimmer auf einer weißen Ledercouch, trinkt eine Limonade und berichtet von seinem Werdegang. Mit 20, als Student, stellte er Hundebetten her. Später Möbel (für Menschen), Handtaschen, Glitzerkissen. Und dann Mode. „Ich bin heute der King of Bling, dabei wollte ich das gar nicht sein."

Doch wie viel davon verträgt die Welt? „Bling stirbt nie. Jedes Mädchen möchte eine Prinzessin sein", sagt Plein. Das ist seine Legitimation. „Wenn man sich in einer Branche etablieren möchte, die eigentlich gesättigt ist, muss man eine Nische finden oder erfinden. Mode ist eines der ältesten Gewerbe überhaupt. Das funktioniert immer noch, weil die Menschen ihre Körper nun mal mit Kleidung bedecken müssen in unserer Gesellschaft." Aber muss man dafür blinken wie der Christbaum am Rockefeller Center?

Plein hat eine Nische kreiert, indem er Shirts, Jacken und Hosen mit Glitzersteinen, Totenköpfen verzierte. Oder mit seinem Namen. „Die Leute haben früher über Bling geredet und die Nase gerümpft. Gucci ist nichts anderes als Bling - voll mit Steinen, voll mit Logo. Es hieß: ‚Logo? Geht gar nicht.' Ich habe das Logo zelebriert, Philipp Plein rauf und runter geschrieben. Schau dir Balenciaga an, Fendi. Logo, Logo, Logo. Wir haben mit der Street-Couture angefangen."

Seine Karriere ist eine Chronik der Zufälle. Ein Erbe von 15000 Euro half ihm zum Start, den Rest finanzierte er selbst. „Ich produzierte nie mehr, als ich verkaufte", erklärt Plein. Heute gehört Philipp Plein zu den erfolgreichsten internationalen Modemarken. Vor allem ist er unabhängig. Keine Kredite, keine Investoren, kein Börsengang. Trotzdem läuft die Marke besser als die Häuser etablierter Designer und Schneider wie Dries Van Noten, Vivienne Westwood oder Roberto Cavalli. „Wenn du nicht verkaufst, nicht performst, dann bist du nicht existent. Da mag deine Idee noch so schön sein, wenn es keiner kauft, hast du keine Plattform, keine Daseinsberechtigung." So gesehen ist Plein eher ein kreativer Unternehmer als ein Designer.

Wenn man ihm lange genug zuhört, kann man sich vorstellen, wie er morgens vor dem Spiegel steht und über sich selbst staunt. „Bis heute weiß ich zum Teil nicht, was ich tue. Wäre ich auf einer Design- oder Marketingschule gewesen, hätte ich bestimmt einiges anders gemacht." Plein ist zu seinem Imperium gekommen, weil er auf sein Bauchgefühl gehört hat.

Jetzt gerade sagt ihm sein Bauch, dass er Hunger hat. Vom ersten Stock geht es hinunter ins Esszimmer im Erdgeschoss. Lunch-Time. Der massive Steintisch ist gedeckt mit allerlei: Pasta, Pizza, Salat, gedünstetem Gemüse. In einem Eiskrug zwei Flaschen Dom Pérignon. Ein Blumenbouquet und ein weiterer silberner Flaschenkühler in Form eines Elefantenkopfes zieren die Tafel. Im Hintergrund wuseln seine Angestellten sehr eifrig, den einen bittet er, den Laptop zu holen. Auf YouTube ruft er verschiedene Videos auf, von ganz früher. Damals hatte er kein Geld, quartierte sich mit seinem ersten Angestellten während der Mailänder Möbelmesse in einem Stundenhotel ein. „Ein richtiges Hotel war zu teuer", sagt er und beißt in seine Pizza.

Emotionale Bruchlandung

Neben ihm sitzt Lebensgefährtin Justyna. Die schöne Polin tippt auf dem Handy herum und schaut nur kurz auf, wenn Plein Sachen sagt wie: „Guck mal, Baby. Da war ich auf einer Messe." Vom Essen kleben Nudelstückchen an ihrem Lipgloss. Dafür liegt ihr Haar perfekt. Justynas Parfum breitet sich im ganzen Raum aus. Natürlich wurde sie von Kopf bis Fuß in Philipp Plein gekleidet. Manchmal berührt sie seinen Arm, an dem eine mit Diamanten besetzte Uhr und Cartier-Armreife glänzen. Wenn sie antwortet, dann kurz und in gebrochenem Englisch.

Plein und die Liebe, das war nicht immer einfach. Mit der Brasilianerin Fernanda Rigon bekam er vor knapp fünf Jahren seinen Sohn Romeo Prince. „Ich hatte ein sehr schlechtes Verhältnis zu Fernanda", erzählt er. Drei Jahre zusammen, dann ein Jahr getrennt, kurze Versöhnung. Aber noch vor der Geburt scheiterte die Beziehung endgültig. Der Streit ging so weit, dass Plein seinen Sohn nicht sehen durfte.

Danach, sagt Plein, hat er niemandem mehr richtig vertrauen können. Er war noch mal kurz mit einer Frau zusammen, die selbst Kinder hat. „Mit anderen Kindern zusammen zu sein war extrem schwierig für mich, weil ich immer an meinen Sohn denken musste", sagt Plein. „Ich bekam das Gefühl, ich betrüge ihn."

Romeo Prince lebt in Brasilien, besucht dort einen englischsprachigen Kindergarten. Plein jettet zwischen Amerika, Europa und Asien hin und her. Immerhin hat er sich mittlerweile mit der Mutter einigermaßen versöhnt. „Mein Sohn besucht mich nächsten Monat. Er wird auch Weihnachten bei mir sein."

Noch einen Schluck aus der Red-Bull-Dose, dann möchte Plein los. In seinem schwarzen Rolls-Royce donnert er durch die Straßen von Manhattan. Bei freier Fahrt drückt er aufs Gas. „Ich liebe Autofahren. Da bin ich ziemlich deutsch." Die Millionärsdomizile der Upper East Side ziehen vorbei. Plein schaut seitlich aus dem Fenster. „Ich dachte als Kind, dass die ganzen Häuser mit Doorman Hotels seien." Mit 14 war er zum ersten Mal in New York - es ist eine Stadt, in der man zunächst immer nur nach oben schaut.

Plein hat in seiner Kindheit lange Zeit nach oben geschaut. „Als meine Mutter sich scheiden ließ, hatten wir überhaupt kein Geld." Tagsüber verkaufte die Mutter in München Antiquitäten, nachts schliefen sie im Geschäft. „Wir hatten kein Auto. Wir hatten eine Zeit lang gar nichts."

Das Verhältnis zu seinen Eltern sei heute gut, wenn auch distanziert. Wenn Plein jetzt von seinem Vater spricht, meint er den Mann, den seine Mutter nach der Scheidung von seinem leiblichen Vater geheiratet hat. „Ich hatte zu meinem leiblichen Vater nie so ein enges Verhältnis. Aber das ist auf Umstände zurückzuführen." Pleins Vater starb an den Folgen einer Suchterkrankung.

Er selbst trinkt keinen Alkohol. Er mag ihn nicht. Drogen? Nie ausprobiert. Schon mal betrunken gewesen? Never. „Ich wollte nie abhängig sein. Ich habe mir andere Drogen gesucht." Sport zum Beispiel, er behandelt seinen Körper wie eine Maschine. „Und die Arbeit ... ich musste und wollte mich beweisen, um unabhängig zu sein." Erfolgsdruck ist Antrieb genug.

Jenseits von Salem

Sein Stiefvater, ein Herzchirurg, ermöglichte ihm das Abitur am Elite-Internat Salem. Auf dem Internat war Plein ein Außenseiter. Er passte mit seinen schulterlangen Haaren nicht rein zwischen all die Snobs in Poloshirts und Khaki-Hosen. „Am Anfang habe ich versucht, mich anzupassen, habe mir die Haare abgeschnitten, aber dann gemerkt, dass das nicht meins ist. Wenn man in eine geschlossene Gesellschaft kommt, ist man automatisch erst mal Außenseiter."

Aus dem Radio pumpt Hip-Hop. Plein erzählt von seinen Lieblingsorten in New York. „Der Basketballplatz im Central Park und der See." Dort mietet er gern ein Boot. Das entspannt ihn. Die Menschen auf den Straßen schauen immer wieder seinen schwarzen Panzer bewundernd an. In Amerika ist es sehr okay, Erfolg nicht nur zu haben, sondern ihn auch zu zeigen. Deshalb ist Plein hier besser aufgehoben als in Deutschland.

Ihm ging es nie so sehr darum, Kunst zu schaffen, sondern Geld zu verdienen. „Ich hätte dir alles verkauft", sagt er. Heute sitzt er in seinem Rolls-Royce, den er vom Valet-Service am „Plaza" parken lässt. Plein möchte seinen Showroom präsentieren. Das zweistöckige Büro liegt direkt neben dem „Plaza"-Hotel mit Blick auf den Central Park. Die ausgestellten Kleidungsstücke wirken weniger „bling", dafür mehr „fashion".

Der Weg des Labels war lang. In Mailand nahm ihn zunächst keiner ernst. Plein musste sich beweisen. Wie immer. „Ich legte die Shows auf den späten Abend mit anschließender Party abseits der Fashion Week." Mit den Jahren kamen immer mehr Menschen, die Schauen wurden zu Spektakeln. In diesem Jahr ließ Plein Models neben Robotern eine künstliche Skipiste entlanglaufen. Das hat ihn 5,8 Millionen Dollar gekostet. Viel Geld, aber nicht in der Mode. „Unser Werbebudget betrug letztes Jahr 22 Millionen, der Umsatz 252 Millionen. Das ist noch im unteren Segment für den Luxushandel. Wenn wir fünf Millionen ausgeben, gibt Chanel acht oder zehn Millionen aus. Das sind andere Dimensionen."

Es sind vor allem seine Vorbilder. Plein hat noch Träume. Zu seiner Markengruppe möchte er weitere Labels dazukaufen.

Nun steht er auf der Dachterrasse seines Showrooms und blickt hinab auf die Stores von Louis Vuitton & Co. „Weißt du, woran ich hier denken musste? ‚Karlsson vom Dach'. Das war mein Lieblingsbuch als Kind." Fliegen können. Abheben. Wenn es einer nach ganz oben geschafft hat, dann er. Plein ganz groß.

180 Philipp-Plein-Stores gibt es weltweit. Noch in diesem Jahr sollen 15 weitere eröffnet werden.

7200 Dollar Umsatz macht jeder seiner 60 eigenen Stores am Tag. 120 Läden laufen über Lizenzen.

50 000 Flugmeilen fliegt Plein im Monat - vorzugsweise im Privatjet. Dennoch hat er Angst vorm Fliegen.

„Nicht alles, was glänzt, ist Gold - aber alles ist Geld!" Philipp Plein

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