Billiger, schneller und zuverlässiger sollen sie sein: Roboter. Schließlich brauchen sie keine Mittagspausen, keinen Schlaf, können 168 Stunden pro Woche arbeiten - und nicht nur lächerliche 40. Sind in der Fabrik der Zukunft also nur noch Robotergeräusche und keine Menschenstimmen mehr zu hören?
Prognosen sagen menschenleere Fabriken voraus
Aktuell boomen Prognosen, die eine menschenleere Fabrik in naher Zukunft voraussagen. Mitherausgeberin Sabine Nuss sagt dazu: "Eine der bekanntesten Studien von 2015 hat ausgerechnet, dass die Hälfte aller US-amerikanischen Jobs in den nächsten zwei Jahrzehnten von der Automatisierung bedroht werden. Und wir haben gedacht, dem müssen wir mal was entgegensetzen - und zwar mit der Analyse von Marx."
Debatte um Automatisierung fast 200 Jahre alt
Mit Karl Marx, so die Herausgeberin, gelänge es, die Debatte zu erden. Das sei notwendig, sind doch die ersten aufgeregten Debatten um Automatisierung fast so alt wie die Dampfmaschine. Darauf verweist Karsten Uhl von der Technischen Universität Darmstadt in seinem Beitrag: "Zumindest in Bezug auf die mit einer Automatisierung der Produktion verbundenen Hoffnungen und Befürchtungen kann in der aktuellen Diskussion um die vermeintliche vierte industrielle Revolution keineswegs von einer neuen Qualität die Rede sein: Das meiste ist vielmehr alter Wein in neuen Schläuchen."
Heute mehr Menschen in Fabriken tätig als je zuvor
Uhl belegt dies an Quellen aus dem frühen 19. Jahrhundert, in denen bereits das Ende der Arbeit in der Fabrik vorausgesagt wurde. Eingetreten ist dieses Ende freilich bisher nicht. Im Gegenteil: Weltweit haben noch nie so viele Menschen in Fabriken gearbeitet wie heute. Doch warum irren die Prognosen seit beinahe 200 Jahren? Auch zeitgenössische Analysen betrachten die technologische Entwicklung isoliert. Marx hingegen hat Ökonomie immer mit Politik und Gesellschaft zusammen gedacht.
Technologische Entwicklung nur ein Faktor
Ein Schlüsselbegriff in Bezug auf Automatisierung ist Marx' Begriff der Produktivkraft. Darin geht es um die gesamte produktive Kraft, die eine Gesellschaft in sich vereint. Technologische Entwicklung ist nur ein Element unter vielen. Herausgeberin Sabine Nuss: "Dazu gehört zum Beispiel die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und wie diese in der Produktion technologisch Anwendung findet. Dazu gehört auch der durchschnittliche Qualifikationsgrad aller Beschäftigten in einer Gesellschaft und die Organisation der Arbeitsteilung. Und auch die Naturverhältnisse zählt Marx dazu. Das heißt, es ist ein sehr umfassender Begriff, der Technologie in die sozialen Verhältnisse einbettet. Eine Gesellschaft, die die Dampfmaschine kennt, hat einen ganz anderen Stand der Wissenschaft, eine andere Arbeitsteilung und eine andere Naturbearbeitung als eine Gesellschaft, die den Roboter kennt."
Grenzen für Vollautomatisierung
Ein Beispiel: Der Vollautomatisierung in der Autoproduktion sind Grenzen gesetzt. Zwar können heute viel mehr Tätigkeiten durch Maschinen erledigt werden als früher, aber gleichzeitig sind die Arbeitsprozesse viel komplexer geworden. Sabine Nuss und ihr Co-Herausgeber Florian Butollo schreiben in der Einleitung: "Vollautomatisierung in der Automobilindustrie wäre vermutlich schon erreicht, wenn die Produktentwicklung auf dem Stand von Fords Modell T geblieben wäre, das verhältnismäßig einfach aufgebaut und Anfang des 20. Jahrhunderts nur in einer Ausführung hergestellt wurde. Aber die Autoindustrie ist von schnellen Innovations- und Produktzyklen, einer hohen Produktvielfalt und komplexen Produktarchitekturen geprägt."
Neue Arbeitsplätze in Roboter-Entwicklung und -Wartung
Neue Technik, aber auch umweltverträglichere Autos, gleichzeitig zunehmende Mobilität - das alles sind Faktoren, die bei bloßen Berechnungen der technologischen Möglichkeiten ausgeblendet bleiben. Hinzu kommt: Auch die Entwicklung, Wartung und Betreuung der Roboter benötigt menschliche Arbeitskraft. Alte Arbeitsplätze verschwinden, neue entstehen. Ein analytisch innovativer Sammelband
Soziologie, Wirtschaftswissenschaft, Geschichte - die Autorinnen und Autoren der 18 Aufsätze sind in unterschiedlichen Disziplinen zu Hause. Herausgekommen ist ein analytisch innovativer und überraschend unaufgeregter Sammelband. Es sieht ganz danach aus, dass die menschenleere Fabrik auch in den kommenden Jahrzehnten vor allem eines sein wird: ein Schreckgespenst.