Pflanzenkohle könnte langfristig CO₂ im Boden binden – mit positiven
Effekten für die Landwirtschaft. Zertifikate sollen dabei für den
Durchbruch sorgen.
Philipp Wedekind kniet neben den Rebstock und greift beherzt in den weichen Boden. Mit beiden Händen führt er die Erde zur Nase. "Riecht nach Waldboden, angenehm frisch", sagt er zufrieden. Der holzige Geruch stammt von dem Holzhäcksel, den Wedekind als dicke Mulchschicht um die Reben herum aufgetragen hat. Darunter kommt braune Erde zum Vorschein, die von schwarzen Bröckchen durchsetzt ist. Zerdrückt man sie zwischen den Fingern, bleiben kleine Krümel zurück. "Das ist die Kohle, die wir dieses Jahr hier eingebracht haben", sagt Wedekind.
Der 39-Jährige ist Winzer in Nierstein, einer Kleinstadt im Herzen der Weinbauregion Rheinhessen. In den vergangenen 15 Jahren hat er hier praktisch aus dem Nichts ein Weingut aufgebaut. Heute wachsen auf seinen rund zehn Hektar Riesling, Grauburgunder und moderne Rebsorten wie Cabernet Jura oder Cabernet Blanc, die resistent gegen Pilze sind. Wedekind ist es gewohnt, neue Wege zu gehen. Deshalb auch die Sache mit der Kohle.
Genau genommen handelt es sich dabei um Pflanzenkohle, auch Biokohle genannt. Sie wird nach einem uralten Prinzip hergestellt, nachdem Köhler schon vor Jahrhunderten Holz ohne Luftzufuhr unter einer Erdschicht verschwelen ließen. Die Verkohlung unter Sauerstoffabschluss nennt sich Pyrolyse und erfolgt heute in modernen Industrieanlagen, die neben Holzresten auch andere organische Stoffe wie Ernterückstände oder Grünschnitt verarbeiten können.
Die Kohle, die in diesen Anlagen produziert wird, ist anders als die klassische Holzkohle nicht zur Verbrennung gedacht. Manche Landwirte bringen Pflanzenkohle in ihre Felder ein, andere verwenden sie als Futterzusatz für die Milchkühe. Und in Zukunft könnte sie sogar Baustoffen wie Beton beigemischt werden.
Zugleich gilt die Pflanzenkohle als einer der Hoffnungsträger im Kampf gegen den Klimawandel. Sie speichert einen Teil des Kohlenstoffs, den die Pflanzen mithilfe der Photosynthese aus der Luft gesaugt haben - und der im natürlichen Kreislauf wieder freigesetzt wird, wenn tote Biomasse verbrennt oder verrottet. Bringt man die Pflanzenkohle im Boden ein, kann der Kohlenstoff nicht mehr als CO 2 in die Atmosphäre gelangen, sondern hat nun den umgekehrten Weg genommen. So entsteht, was Klimawissenschaftler als negative Emissionen oder als Kohlenstoffsenke bezeichnen.
Das "Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change" (MCC) in Berlin schätzt das Senken-Potenzial durch den Einsatz von Pflanzenkohle für das Jahr 2050 auf eine halbe bis zwei Milliarden Tonnen CO2 ein - und damit immerhin auf bis zu fünf Prozent der derzeitigen weltweiten Emissionen. Auch der Weltklimarat IPCC erwähnt das Klimaschutzpotenzial der Pflanzenkohle 2019 in seinem Sonderbericht zur Landnutzung und sieht mögliche positive Nebeneffekte für andere Ökosysteme.
Wie das im Kleinen funktionieren könnte, versucht der Winzer Wedekind auf seinem Weinberg herauszufinden. Er hat mehr als eine Tonne mit Nährstoffen und Mikroorganismen behandelte Pflanzenkohle gekauft und sie in die Erde eingebracht. Die Beigabe, so erhofft er sich, soll die Humusbildung im Boden ankurbeln, damit dieser mehr Wasser aufnehmen und speichern kann. Die Mulchschicht wiederum hat die Aufgabe, vor Verdunstung zu schützen.
"Wir haben hier auf dem Weinberg keinen Zugang zum Grundwasser, deshalb sind wir auf Niederschläge angewiesen. Und die fallen immer unregelmäßiger", erklärt er. Die Auswirkungen des Klimawandels bekommen die Winzer in Rheinhessen schon heute zu spüren. Vor allem längere Trockenphasen machen ihnen sehr zu schaffen.
Die Idee, verkohlte Biomasse im Boden einzusetzen, ist alles andere als neu. In Lateinamerika ließen indigene Völker in vorkolonialen Zeiten Holzkohle mit organischen Abfällen wie Ernte- und Essensresten und Exkrementen gären und brachten die Mischung dann im Boden ein. So entstand eine nährstoffreiche dunkle Erde, die im 20. Jahrhundert von Forschern wiederentdeckt wurde und als "Terra preta" (portugiesisch für "schwarze Erde") ihren Weg nach Europa fand.