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Ferne Opfer klagen an

Hungerlöhne in Textilfabriken, giftige Abwässer im Bergbau – manches Geschäft in Krisengebieten und Billiglohnländern geht einher mit Verstößen gegen Menschenrechte und Umweltschutzregeln. Firmen in reichen Ländern, die daraus Profit ziehen, lassen sich nur schwer verantwortlich machen.


Das Landgericht Dortmund muss sich demnächst mit einem ungewöhnlichen Fall beschäftigen. Mitte März haben Hinterbliebene und Opfer eines Fabrikbrandes in Pakistan eine Klage auf Schadenersatz gegen den Textilhändler KiK aus dem westfälischen Bönen eingereicht. KiK war Hauptabnehmer der Fabrik Ali Enterprises in Karatschi, in der bei einem Brand im September 2012 mehr als 250 Textilarbeiter umkamen und weitere 32 verletzt wurden. Dass es so viele Opfer gab, lag vor allem am schlechten Brandschutz: Bis auf einen waren alle Notausgänge verriegelt, die Fenster waren vergittert. KiK hätte das wissen und verhindern müssen, so der Vorwurf.


Zwar hatte die Tengelmann-Tochter nach dem Vorfall jeder Familie rund 4.000 Euro als Soforthilfe gezahlt. Das sei jedoch zu wenig; schließlich hätten viele Familien ihren Haupternährer verloren oder müssten eine teure medizinische Behandlung bezahlen, erklärt Miriam Saage-Maaß von der Menschenrechtsorganisation ECCHR, die die Betroffenen unterstützt. Auch bei den Verhandlungen über eine langfristige Entschädigung habe KiK kein überzeugendes Angebot vorgelegt. Deshalb hätten sich die Opfer für eine Klage in Deutschland entschieden. Sie fordern jeweils 30.000 Euro Schmerzensgeld. Ihnen gehe es aber nicht nur ums Geld: „Sie wollen Gerechtigkeit", sagt Saage-Maaß.

Ein Präzedenzfall in Deutschland

Der Prozess könnte einen Präzedenzfall in der deutschen Rechtsprechung schaffen. Denn ob deutsche Firmen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn in ihren Lieferbetrieben im Ausland Arbeiter zu Schaden kommen, ist bislang ungeklärt. Genauso wie die Frage, unter welchen Umständen Mutterunternehmen für Verstöße ihrer Töchter haftbar gemacht werden können.

Warum Antworten darauf nötig sind, zeigt sich in zahlreichen Verstößen gegen Menschenrechte und Arbeitsstandards, an denen Firmen aus dem Ausland beteiligt sind: auf Baustellen in Katar, in Elektronikfabriken in China, in von Gift verseuchten Dörfern am Rande der Goldminen in Peru, in der Vertreibung von Menschen für den Bau von Staudämmen in Brasilien oder im Südsudan. Firmen laufen gerade bei Geschäften in Krisenregionen und Billiglohnländern Gefahr, direkt oder indirekt in die Verletzung grundlegender Menschenrechte verwickelt zu werden. Zugleich bietet die Justiz in den Ländern oft wenig Rechtsschutz, und den Opfern fehlen die Mittel, sich juristisch gegen die übermächtigen Gegner zu wehren. Im Fall der Brandkatastrophe in Karatschi ist es für die Betroffenen schlicht unmöglich, denn als Einkäufer kann KiK in Pakistan nicht rechtlich belangt werden.


Ein Grund, warum man Firmen für Vergehen im Ausland nur sehr schwer haftbar machen kann, ist der geringe Stellenwert von Menschenrechten in internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Zwar steht etwa in den Rohstoffabkommen, die Deutschland mit Peru und Kasachstan geschlossen hat, dass die Rechte und Interessen derjenigen beachtet werden sollen, die vom Bergbau betroffen sind. Allerdings sind laut einer Studie von Misereor keine konkreten Schritte zur Einhaltung und keine Beschwerdemöglichkeiten in den Verträgen festgeschrieben. Gestärkt werden dagegen die Rechte der Konzerne. Etwa mit Bürgschaften, die ihnen bei Geschäften im Ausland das Risiko eines Zahlungsausfalls abnehmen, oder mit Investitionsabkommen, die es den Unternehmen ermöglichen, im Streitfall internationale Schiedsgerichte anzurufen.


Einer ähnlichen Logik folge die strikte Trennung von Mutter- und Tochterfirmen, meint Johanna ­Kusch von Germanwatch. Der Gedanke sei, Investitionen zu schützen, damit Anleger auch bei höheren Risiken investierten. „Aber brauchen die Arbeitnehmer und die Menschen, die von den Geschäften betroffen werden, nicht mehr Schutz?"

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