Die österreichische Schriftstellerin über
"Political Correctness", Leben in der Provinz - und ihr fehlendes
Verständnis für den Zeitgeist.
"Wiener Zeitung": Vor wenigen Tagen hat Peter Handke den Nobelpreis für Literatur erhalten. Verdient oder zu Unrecht?
Anna Mitgutsch: Die Milošević-Geschichte kann man nicht schönreden, aber man muss dagegenhalten: Handke ist einer der wichtigsten österreichischen Autoren. Er hat großartige Texte geschrieben und das konsistent über mehr als fünfzig Jahre.
Ich verstehe Saša Stanišić, er ist ein Betroffener und darf seine Meinung sagen. Aber Handke so zu boykottieren, wie man das jetzt macht, finde ich unglaublich unfair. Seine Kritiker können ihm nicht das Wasser reichen. Handke ist kein Nazi. Dagegen feiert man immer noch Ernst Jünger - der war ein Nazi.
Menschen, die dem ehemaligen Jugoslawien angehörten oder sich ihm nahefühlen, beurteilen vieles anders. Und Handke hat das auch aus dieser Sicht erlebt, seine Mutter war Slowenin. Viele aus den älteren Generationen sehen das Jugoslawien Titos als repräsentativ für den Widerstand gegen Hitler. Der Zerfall Jugoslawiens war für alle traumatisch, die an dieses Land geglaubt haben. Ich war heuer in Belgrad, man spricht noch immer darüber. Und dann kommen Menschen von außen, die sich nicht um die geschichtlichen Fakten kümmern, und urteilen über Gut und Böse.
Ist das Schwarz-Weiß-Denken symptomatisch für unsere Zeit?
Ganz sicher. Viele machen sofort dicht, wenn es zum Beispiel um Israel geht, ohne über mehr als Vorurteile zu verfügen. Oder wenn es um eine differenzierte Debatte über Zuwanderung geht. Wenn man Fragen stellt, ist man noch nicht fremdenfeindlich. Man muss die Fakten genau kennen und man muss bereit sein, zu diskutieren und zuzuhören.
Was bedeutet "Political Correctness" für Sie als Schriftstellerin?
Ich sehe das ambivalent. Ich habe viele Jahre in den USA gelebt und dort erlebt, dass es in vielem ein wichtiger Einschnitt war. Ich erinnere mich, als die Kinder in der Schule angehalten wurden, über Farbige als "African Americans" zu sprechen. Dazu passten keine hässlichen, negativen Adjektive, die neue Bezeichnung forderte Respekt. Das fand ich toll! Wer tabuisierte Ausdrücke verwendete, zeigte, dass er ein Rassist war. Andererseits ist Political Correctness oft ein Maulkorb. Beim Gendern wird oft die Sprache zerstört. Erst wenn Frauen gleich viel verdienen wie Männer, werde ich konsistent gendern. Bis dahin ist es für mich nur Augenauswischerei.
Die Debatte um kulturelle Aneignung ("cultural appropriation") hat die Literatur erreicht, zumindest in Ihrer Wahlheimat USA. Darf ein alter weißer Mann aus der Sicht einer jungen schwarzen Frau schreiben?
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