Im niederösterreichischen Gänserndorf gibt es einen Bio-Bauernhof der
besonderen Art.
Elmas Hände sind rau, rissig, dreckig. Sie hat schwarze Ränder unter den Fingernägeln. Es sind die Hände einer Gärtnerin. Dabei ist sie erst seit einem Monat hier. Samenkorn für Samenkorn steckt sie in die mit Erde gefüllten Anzuchttöpfchen. Biopaprika sollen einmal aus diesen Samen werden, die Töpfchen sind mit kleinen Schildern versehen, auf denen die Sortenbezeichnung notiert ist.
Elma trägt die Töpfe in eine Dunkelkammer, in der es angenehm nach Erde riecht, die Luft ist - anders als in der Kühle des Glashauses - feucht und warm. Später werden sie in eines der großen Beete verpflanzt. Tag für Tag müssen sie dann gegossen werden, ihr Wachstum will genau beobachtet werden.
Diesen und weitere Artikel zum Thema finden Sie auch im "Wiener Journal" vom 2. März 2018.
Bevor sie hier anfing, hatte Elma wie die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen keine Ahnung, wie viele Handgriffe, wie viele Arbeitsschritte nötig sind, um Gemüse, Kräuter und Blumen zu produzieren, die man später im Supermarkt oder auf dem Wochenmarkt kaufen kann. Eine Kollegin ruft ins Gewächshaus: "Elli, willst du einen Kaffee?" Obwohl sich die meisten erst seit einigen Tagen oder Wochen kennen, herrscht im ganzen Betrieb eine freundlich-vertraute Atmosphäre.
Elma ist 31 und war fünf Jahre lang arbeitslos, bevor sie das Gärtnern für sich entdeckte. Und wenn man ihr zuhört, klingt es nach einem Glücksgriff. Wie sie von dem Projekt erfahren hat, weiß sie selbst nicht mehr. Die Idee, es einmal hier zu probieren, stammte jedenfalls nicht - wie bei vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen vom Arbeitsmarktservice (AMS). Ja, es stimmt, nicht wenige landen hier eher unfreiwillig.
Ganz anders bei Elma. "Es war meine eigene Idee. Ich muss es durch Zufall irgendwo aufgeschnappt haben", sagt sie strahlend. Dass es hier, am Rande von Gänserndorf, einer niederösterreichischen Kleinstadt am Rande des Wiener S-Bahnnetzes ein Projekt gibt, das den unauffälligen Namen "WUK Biopflanzen - Soziale Landwirtschaft" trägt und Langzeitarbeitslosen eine Chance bietet, eine Perspektive. Und etwas ermöglicht, wovon heute viele Menschen träumen: draußen, im Freien arbeiten, mit den eigenen Händen, körperlich aktiv sein, statt am Schreibtisch zu sitzen oder hinter einer Ladentheke zu stehen.
Noch nie zuvor Erde berührt
Der Gedanke hat auch Elma gefallen. An ihrem ersten Tag hat sich die gelernte Verkäuferin trotzdem überfordert gefühlt. "Ich hatte vorher noch nie Erde angefasst", erinnert sie sich lachend. Elma, die früh Mutter geworden ist und heute schon einen dreizehnjährigen Sohn hat, trägt ihre langen Haare schwarz gefärbt, ihr Gesicht ist sorgfältig geschminkt, ihre ungewöhnlichen, bernsteinfarbenen Augen hat sie dunkel umrandet. Bei jedem Satz, den sie sagt, spürt man die Mischung aus alter Unsicherheit und neu gewonnenem Selbstvertrauen. Was ihr hier am besten gefällt: "Niemand sagt hier, nein, das kannst du nicht, du bist eine Frau."
Keinen Moment hat sie gezögert, als ihr vor kurzem von den Leiterinnen des Projekts angeboten wurde, in einem nahegelegenen Waldstück einen Motorsägekurs zu machen."Das bin ich", sagt sie, als könne sie es selbst nicht ganz glauben und zeigt auf ihr Handydisplay, auf dem eine in dicke Kleidung vermummte Gestalt zu sehen ist, die mit einer überdimensional wirkenden elektrischen Säge einen dicken Baum fällt.
Die Haut ihrer Oberschenkel sei danach voller blauer und grüner Flecken gewesen, erzählt sie, als könne sie es selbst kaum glauben, dass sie so etwas erlebt hat. Von der euphorischen Stimmung, die dem fallenden Baum folgte zehrt sie noch heute.
Trotzdem fühlt sie sich noch manchmal unsicher. Sie will die Chance nutzen, unbedingt alles richtigmachen. Wenn sie Fragen hat, nicht mehr weiterweiß, ruft sie Eva Oswald an. Sie ist Gartengestalterin und eine der wenigen fixen Angestellten hier. Sie hilft den Langzeitarbeitslosen, die hier ein bis 12 Monate arbeiten in allen fachlichen, gärtnerischen Fragen.
Noch nie zuvor gelobt
25 bis 30 Menschen arbeiten hier in der Regel, von Anfang zwanzig bis Anfang sechzig, mit den unterschiedlichsten beruflichen Hintergründen und Lebensgeschichten. Kein einfacher Job für die Vorgesetzten. Trotzdem strahlt Eva Oswald, als sie sagt: "Motivieren macht mir einfach Spaß." Für viele der "Transitarbeitskräfte" ist Job in der Biolandwirtschaft der erste, in dem sie positive Erfahrungen machen.
So erging es auch Andrea. Sie sei noch nie zuvor gelobt worden, soll mir ihre Chefin später erzählen. Sie ist schon seit einem Jahr hier, wurde direkt nach ihrem Probemonat verlängert. Die 25-jährige erzählt: "Ich habe noch nie ein Praktikum gemacht, bei dem mir jemand wirklich gut erklärt, was ich tun soll."
Der erste Tag sei schlimm gewesen, der Gedanke "ich kann das nicht" war übergroß. Auch bei ihr dominiert die Angst, etwas falsch zu machen. "Aber hier steckt meine Chefin einfach einen Finger in den Topf mit Erde und sagt dann wertfrei, ob es passt. Wenn nicht, mach ich es halt noch einmal. Aber das wertfrei ist wichtig für mich." Es gefällt ihr, dass sie hier viel lernt, ohne Druck und mit viel Verständnis. Und dann sagt sie noch einen starken Satz: "Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich keine Selbstzweifel habe."
Ein Problem mit körperlicher Arbeit dürfe man hier aber nicht haben. Es ist kalt und ungemütlich draußen. Die langen gelben Gartenschläuche können sie gerade nicht zum Gießen verwenden, dafür ist es zu frostig. Andrea und ihre Kolleginnen füllen Gießkanne für Gießkanne und schieben sie mit der Schubkarre in die Gewächshäuser.
WUK Biopflanzen produziert Kräuter, Gemüse und Blumen. Verkauft wird einmal wöchentlich freitags im Wiener WUK (Werkstätten- und Kulturhaus), auf Pflanzenmärkten und direkt in Gänserndorf durch den Genussbus in Gänserndorf (Termine auf genussbus.at). Außerdem liefert das soziale Unternehmen Pflanzen und Blumen für die kommunalen Grünflächen und Friedhöfe und kümmert sich in den nahegelegenen Wäldern und Naturschutz und Aufforstung.
Die Idee zu dem ambitionierten Projekt stammt von Sozialarbeiterin Ursula Königer, die es 2009 mit einer Kollegin startetet und bis heute leitet. Die Vision: Eine Verbindung aus sinnstiftender Arbeit für Langzeitarbeitslos in Verbindung mit nachhaltiger, biologischer Landwirtschaft. Sie fand eine verlassene Kräutergärtnerei am Rande Gänserndorf und überzeugte das WUK, das marode Gelände zu pachten.
Geschützter Raum für Mensch und Natur
Stolz zeigt sie Fotos aus der Zeit der Übernahme.: Die Scheiben der Glashäuser sind zerborsten, überall liegen Haufen von Plastikkübeln und anderer Schrott, das Gelände ist zugewuchert.
Sie berichtet vom schwierigen Start, den bürokratischen Hürden, dem Unverständnis der konventionellen Bauern in der Nachbarschaft. Auch die Wirtschaftskammer hatte Bedenken: Was, wenn die Gehälter zu hoch sind, der Hof zu viel Umsatz macht und so den Markt verzerrt?
Doch Ursula Königer erzählt damit mit solch einer Nonchalance, dass man spürt: sie hat keinen Moment gezweifelt, dass ihr Projekt Früchte tragen wird. Die Sozialarbeiterin mit der lila Haarsträhne, die ihr immer wieder vor die fast türkis leuchtenden Augen fällt, hat so eine positive, mitreißende Ausstrahlung, dass man sich gut vorstellen kann, dass sie damit den ein oder anderen frustrierten Klienten mitreißen kann. Doch leicht ist es nicht. Da gibt es jene, die vom AMS hergeschickt werden und denen es nicht liegt, körperlich zu arbeiten oder sich die Hände schmutzig zu machen. Die bleiben in der Regel nicht lange. Andere sind schon so lange arbeitslos, dass es ihnen schwerfällt, wieder in der festen Struktur eines Arbeitsplatzes zu funktionieren und "wieder in die Gänge zu kommen", wie es Ursula Königer formuliert.
Einen Monat Probezeit gibt es, danach kann auf sechs oder zwölf Monate verlängert werden. Was klar ist: das harte Arbeitsleben ist hiervon noch weit entfernt. WUK Biopflanzen ist ein geschützter Raum, in dem die Menschen wieder Selbstvertrauen und Perspektiven finden sollen. Denn gewinnbringend arbeiten muss das Unternehmen nicht, finanziert wird es zum größten Teil vom AMS. Die restlichen zwanzig Prozent des Jahresumsatzes müssen selbst erwirtschaftet werden.
Was nach dem Transitarbeitsplatz kommt? Elma weiß es noch nicht. "Alles ist offen", sagt sie. Aber sie weiß schon jetzt, was sie interessiert und welche Talente in ihr schlummern.
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