Eliten und Volk sind einander fremd geworden, die Kommunikation ist gestört. Elitenforscher Michael Hartmann über die Gründe.
"Wiener Zeitung": Das Phänomen Donald Trump und der Rechtsruck in Europa - Zeichen für ein Elitenproblem?
Michael Hartmann: Trumps Erfolg beruht darauf, dass er sagt: "Ich bin nicht das Establishment" - das sind der Clinton- oder Bush-Clan und all jene, die in Washington schon seit ewigen Zeiten regieren. Dieselbe Linie verfolgt Marine Le Pen in Frankreich. Sie spricht von den verknöcherten Eliten in Paris, von den Absolventen der Eliteschulen wie die der École nationale d'administration, ENA, die aus großbürgerlichen Familien stammen. Le Pen behauptet, anders zu sein. Das stimmt, schaut man genau hin, allerdings weder bei ihr noch bei Trump. Aus dem Ressentiment gegenüber den Eliten in den Machtzentren speist sich aber der Erfolg solcher Personen.
In Deutschland erleben wir den Aufstieg der Alternative für Deutschland, AfD. In Österreich war es mit der FPÖ ja auch nicht anders, hier waren es die zwei Großparteien SPÖ und ÖVP, die immer die Macht hatten. Jörg Haider hat sich als Mann des Volkes dargestellt, was er nun wahrlich nicht war. Auch beim Front National hat der Wahlkreis Elsass-Lothringen einen Kandidaten, der Absolvent der ENA war - das hat viele Leute bisher aber nicht gestört. Es reicht das Label "Wir gehören nicht zu den Machteliten" - zumindest so lange, bis sie Regierungsverantwortung übernehmen müssen.
Trump ist Multimilliardär. Wie passt das zusammen?
Er ist zwar reich, führt sich aber auf wie einer, der es vom Tellerwäscher zum Millionär geschafft hat. Da ist nur gar nichts dran. Schon sein Vater war sehr reich und die Familie hat einen Großteil des Vermögens der Tatsache zu verdanken, dass sie öffentliche Gelder sehr geschickt in ihre Taschen gelenkt hat. Aber das interessiert seine Wähler nicht. Hauptsache, er ist kein Bush, keine Clinton, Hauptsache, er saß noch nie im Senat oder Repräsentantenhaus. Der republikanische Kandidat Trump ist ein "Neuer", allein das reicht im Augenblick.
In Deutschland ist die Rede von der Lügenpresse, in den USA wurde zuletzt bei einer Veranstaltung der Republikaner auf Reporter regelrecht losgegangen. Gehört die Presse auch zur verhassten Elite?
Bei einem Teil der Bevölkerung ist das so, und die Journalisten sind daran nicht ganz schuldlos - zumindest in Deutschland. Heute haben die meisten großen Zeitungen Hauptstadtredaktionen in Berlin. Und die Journalisten wohnen auch in Berlin. In Bonn war das nicht der Fall, dort wollte niemand hin. Bonn war Provinz, Berlin ist hip. Ein Teil der Berliner Journalisten begreift sich auch nicht mehr als Kommentator oder Berichterstatter, sondern als politischer Gestalter. Sehr deutlich wurde das unter Kanzler Gerhard Schröder, gilt aber im Kern bis heute. Zum Beispiel das "Spiegel"-Hauptstadtbüro: Das sind Leute, die wollen auch Themen setzen, politisch direkt Einfluss nehmen, und damit sind sie nicht die Einzigen. Dazu kommt, dass die Themen, die die Journalisten anpacken und ihre Sicht der Dinge geprägt sind von der "Glocke", unter der sie leben. In dem Quadratkilometer zwischen Brandenburger Tor und Gendarmenmarkt sitzen fast alle Redaktionen, ob Fernsehen oder Zeitungen, dort finden Sie die Vertretungen der großen Konzerne, die Lobby-Agenturen, die angesagten Restaurants. Dort treffen sich die Leute regelmäßig und mit den Politikern, die nicht weit davon entfernt im Bundestag sitzen, und gleichen sich in ihren Ansichten zunehmend an. Man bestätigt sich untereinander und entfernt sich damit vom Leben der normalen Bevölkerung. Das führt dazu, dass man sich vor allem in städtischen Problembezirken und eher provinziellen Landstrichen bei der Berichterstattung oft wie auf einem anderen Stern fühlt.
Wie repräsentativ sind die politischen Eliten?
Die soziale Rekrutierung hat sich seit den 1990ern massiv verändert. Ein gutes Beispiel ist der Finanzminister, die zweitwichtigste Person in der Regierung: Theo Waigel war Sohn eines Maurers, er war Minister unter dem Beamtensohn Helmut Kohl. Danach kamen Hans Eichel und Peer Steinbrück, beides Söhne von Architekten. Bei Letzterem gab es sogar familiäre Verbindungen zu einer einflussreichen Bankiersfamilie. Danach kam Wolfgang Schäuble, sein Vater war Steuerberater und Landtagsabgeordneter. Man merkt also, dass sich da bezüglich der Herkunft viel verändert hat. Diese Leute bringen bestimmte Denkweisen mit.
Bei den meisten Unternehmern und akademischen Freiberuflern lautet eine Binsenweisheit: Wir zahlen zu viel Steuern, der Staat kann nicht mit Geld umgehen und deshalb sollten wir ihm möglichst wenig geben. Steuertricks sind gang und gäbe - in meiner Heimatstadt Paderborn fuhr man nach Luxemburg statt in die Schweiz. Es gab die abstrusesten Steuertricks. Der wohlhabendste Apotheker der Stadt legte sein Geld in Ost-Immobilien an, nur um bloß keine Steuern zahlen zu müssen, und ging damit letztlich sogar pleite.
Sie haben die Eliten in Europa untersucht. Was haben Sie herausgefunden?
In Skandinavien sind die Eliten am offensten. Deutschland war immer im Mittelfeld, Österreich ist es heute noch. In Großbritannien, Frankreich und Spanien ging es schon früher exklusiv zu. In Frankreich ist die Differenz zwischen Volk und Eliten - was soziale Rekrutierung und Bildungswege der Politiker angeht - traditionell am größten.
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