Der Autor Tobias Ginsburg hat sich in radikale Männergruppen eingeschleust und fand Frauenhass überall: in Burschenschaften, in der Alt-Right und bei FDP-Mitgliedern.
Über ein Jahr lang hat der Autor und Theaterregisseur Tobias Ginsburg undercover zur Verbindung von Antifeminismus und Rechtsextremismus recherchiert. Er hat völkische Burschenschaften besucht, ließ sich von Pick-up-Artists und Männercoaches beraten, schleuste sich in die Alt-Right-Bewegung in den USA und in einen ultrakonservativen Thinktank in Polen ein. Sein Buch "Die letzten Männer des Westens: Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats" erschien gerade im Rowohlt-Verlag. Wir telefonieren kurz nach der Frankfurter Buchmesse, auf der Ginsburg sein Buch vorgestellt hat. Ginsburg nennt die Veranstaltung "ziemlich bedrückend": Eine der Gruppierungen, um die es in seinem Buch geht, der rechte Jungeuropa-Verlag, hatte einen Stand auf der Messe.
ZEIT ONLINE: Herr Ginsburg, bei Ihren Recherchen zu Antifeminismus sind Sie auf sehr unterschiedliche Männer gestoßen: FDP-Mitglieder, Identitäre, den muslimischen Rapper Kollegah. Auch in den Manifesten von Anders Breivik und den Attentätern von Christchurch und Halle spielte Frauenhass eine wichtige Rolle. Was macht die Wut auf den Feminismus zum Klebstoff, der diese so unterschiedlichen Milieus zusammenhält, wie Sie es nennen?
Tobias Ginsburg: Politischer Männlichkeitswahn und der Hass auf Feminismus konnten schon immer die verschiedenen Milieus der extremen Rechten einen. Aber Antifeminismus hat keine politische Heimat. Er lässt sich überall finden, auch tief im bürgerlichen Milieu. Da ist eben diese Angst: Ich als Mann werde meiner Privilegien beraubt, könnte bald schon als Verlierer dastehen oder werde bereits unterdrückt. Und daraus konnte die wiedererstarkende Rechte weltweit politisches Kapital schlagen. Da wird aus einer diffusen Wut auf Gendersternchen oder Frauenquoten eine existenzielle Angst konstruiert: Deine ganze männliche, heterosexuelle Identität ist bedroht, vielleicht sogar deine ganze Existenz – der "wahre Mann" soll abgeschafft werden! Das macht Antifeminismus auch zu einer starken Einstiegsdroge: Erst ist der Feminismus der Feind, dann die LGBTQ-Bewegung, dann der Antirassismus. Letztlich alle Bewegungen, die gesellschaftlich progressiv sind. Insofern ist es auch kein Zufall, dass sich Angriffe auf Pluralismus und Demokratie oft zunächst gegen Frauen und sexuelle Minderheiten richten.
ZEIT ONLINE: Burschenschaftler, Identitäre, Mitglieder der amerikanischen Alt-Right: Wie schwer war es, an diese Menschen heranzukommen?
Ginsburg: Bestürzend einfach. Wir haben diese Vorstellung, Rechtsextremismus fände in irgendwelchen hermetisch abgeriegelten Parallelwelten statt. Aber diese Menschen, ihre Ideen und Institutionen sind mitten in der Gesellschaft und es gibt keine klare Grenze zwischen "uns" und "denen". Das sind unsere Arbeitskolleginnen oder Nachbarn. Das war vielleicht meine erste Erkenntnis, als ich vor über zehn Jahren das erste Mal undercover unterwegs war und mich bei einer rechtsextremen Burschenschaft einschlich. Ich musste damals bloß fünf, sechs U-Bahnstationen fahren, schon saß ich völlig überfordert in einer Münchner Prunkvilla inmitten waschechter Faschisten und ihrer versoffenen Männlichkeitsriten. Aber ich bin eben ein Mann und ich bin weiß. Für mich gibt es kaum No-go-Areas. Ich kann das, was mir Angst macht, auch aus nächster Nähe betrachten.
ZEIT ONLINE: Sie haben sich für die Recherche den unscheinbaren Namen Anton Schneider zugelegt. Mal gaben Sie sich als Doktorand aus, mal als Journalist, mal als Gründer der fiktiven Gruppe MAfD (Männer in der Afd). Hatten Sie nie Angst, entdeckt zu werden?
Ginsburg: Ach, das Unheimlichste ist eigentlich das Warten, nachdem man erstmals Kontakt aufgenommen hat. Diese Frage: Fallen die auf meinen sorgsam gelegten digitalen Trail auch rein? Auf meine Internetseiten und Social-Media-Kanäle, die ich alle für mein Alter Ego angelegt habe. Wenn das auffliegt, kann ich auch in eine Falle laufen! Aber in dem Moment, in dem sich die Tür öffnet und ich eine Hand schüttele, bin ich eigentlich safe. Dann bin ich drin. Ich weiß mich ja zu benehmen, kenne die Etikette, spreche mittlerweile fließend Rechtsextrem. Das reicht, damit konnte ich mich einem faschistischen Rapper als PR-Mann andienen oder Alt-Right-Aktivist:innen als identitärer Reporter aus Übersee.
ZEIT ONLINE: Die Recherche hat Sie in durchaus gefährliche Situationen geführt, etwa zu Treffen völkischer Burschenschaften, auf Neonazikonzerte und eine Alt-Right-Demo in Boston.
Ginsburg: Oft habe ich erst nach den Treffen realisiert, wie saugefährlich einzelne Situationen waren. Wenn ein Nazi skeptisch wird und mir ganz konkret droht oder wenn jemand nonchalant erzählt, dass er einen Menschen umgebracht hat. Aber in diesen Momenten funktioniere ich. Was bleibt mir auch anderes übrig? Erst zu Hause habe ich Zeit, zu begreifen, was ich da eigentlich für fiese Scheiße erlebe. Aber es sind eben nicht nur die Hoffnung auf gute Geschichten und morbide Neugierde, die mich dahintreiben. Mich treibt ja gerade die Angst – oder vielmehr: die Weigerung, Angst zu haben. Genau deswegen muss ich hinter die bedrohlichen Fassaden schauen. So kann ich Menschenfeinde als Menschen kennenlernen, als widersprüchliche, wutzerfressene, zerrissene oder auch verzweifelte Typen. Das macht sie zwar nicht weniger gefährlich, aber es entzaubert sie. Es nimmt ihnen ihre Kraft. Und wenn wir gegen ihre lebensgefährlichen Ideologien vorgehen wollen, dürfen wir nicht länger wegsehen.
ZEIT ONLINE: Gab es Treffen, die Sie besonders mitgenommen haben?
Ginsburg: Meist waren es gar nicht die gefährlichen, sondern eher die traurigen Geschichten, die mich besonders trafen. Zum Beispiel die Machenschaften dieser Männercoaches. Das sind Menschen, die ihre einsamen und teils labilen Kunden in deren verzweifelter Wut festigen, um ihnen dann das Geld aus der Tasche zu angeln: "Mit mir kriegst du eine Frau, ich mach dich zum Alpha, zum Boss, zum wirklichen Mann." Das ist eine besonders perverse Art der Menschenverachtung.
ZEIT ONLINE: Sie schreiben in Ihrem Buch, Sie wollen sich weder vor den Menschen fürchten noch sie belächeln. Sie wollen sie verstehen. Haben Sie das Gefühl, Sie haben sie verstanden?
Ginsburg: Sicher! Dieser Männlichkeitswahn ist ja auch verteufelt attraktiv. Es ist diese gefährliche Mischung aus Selbstermächtigung und Opfergetue zusammen mit dem Versprechen von Macht: Jetzt kriegst du vielleicht noch aufs Maul, aber wenn du erst mal wieder ein echter, harter Mann in einem echten, harten Land sein darfst, dann sitzt du am Schalter. Daraus entsteht dann auch schnell der Glaube, man müsse nun in Notwehr handeln. In letzter Konsequenz ist es ein Aufruf zur Schlacht.
ZEIT ONLINE: Viele der Männer, die Sie treffen, sind unfähig, über eigene Schwächen und Gefühle zu reden. Besonders beim Treffen der Bundesvereinigung Liberale Männer, einem der FDP nahestehenden Männerrechtsverein, fällt das auf. Viele der Männer sind geschieden, sind aber nicht in der Lage, offen darüber zu reden – weil das nicht ihrem Männerbild entspricht. Ist dieses Männerbild eines der Hauptprobleme?
Ginsburg: Unbedingt. Es ist diese alte Vorstellung, wie ein Mann zu sein hat: hart im Nehmen, resilient, ein Kämpfer. Klar ist das ein Stereotyp, aber es ist so alt wie mächtig. So was aufzubrechen ist sauschwer. Und das war ja auch das Kuriose an diesen Männerrechtlern: Die glauben sich zwar als Opfer des Feminismus und eines vermeintlichen Matriarchats, aber sie sprechen dabei auch legitime und wichtige Themen an. Existenzielle Probleme, von denen Männer sehr viel häufiger betroffen sind als Frauen, sei es Wohnungslosigkeit, Drogensucht oder die höhere Selbstmordrate, oder oft überhörte Themen wie häusliche Gewalt gegen Männer oder die geringeren Chancen von Vätern bei Sorgerechtsstreitigkeiten. Aber dann greifen schon gleich wieder diese alten, verknöcherten Männlichkeitsbilder, die jedes legitime Anliegen wieder zerstören. Die ausgestellte Aggressivität, die alles überlagert. Letztlich bleibt da kaum was als Frauenverachtung, Hass und Traurigkeit. Es ist schlimm, zu sehen, wie sich nicht wenige dieser Herren dann bald nach rechts außen orientieren.
ZEIT ONLINE: Einige der Antifeministen sagten menschenverachtende, antisemitische Dinge. Ein Mann, der sich selbst als Faschist bezeichnet, erzählt Ihnen gar von seinen Völkermordsfantasien. Wie sind Sie mit diesen Situationen umgegangen?
Ginsburg: Ich bin ein deutscher Jude – dass Antisemitismus nach wie vor grassiert, das weiß ich leider nur zu gut. Das schockiert mich auch nicht mehr, irgendwann wächst einem da Hornhaut auf der Seele. Und auch, dass Antifeminismus und Antisemitismus Hand in Hand gehen, hat leider eine lange Tradition. Es sind dann mehr die Kleinigkeiten und menschlichen Tragödien, die so richtig wehtun. Mitzuerleben wie etwa ein junger Kerl über seinen Wunsch nach Stärke nach und nach von Neonazis rekrutiert wird und das gar nicht ganz zu begreifen scheint. So etwas ist kaum erträglich.
ZEIT ONLINE: Sie geben in Ihrem Buch auch vollkommen abstruse Theorien wieder, die Sie zu hören bekommen. Etwa die, Frauen hätten den Nationalsozialismus zu verantworten, weil sie Männer in Uniform attraktiv fänden – und damit Kriegseinsätze provozieren würden.
Ginsburg: Klar kriegt man viel Schwachsinn zu hören. Auch diese eine zentrale rechte Vorstellung, hinter Feminismus und "politischer Korrektheit" stünde eigentlich nur eine neomarxistische Verschwörung gegen die traditionelle Familie, Männlichkeit und Nation. Klar klingt das lachhaft. Aber gefährlich ist es trotzdem und wir dürfen auch nicht die Menschen, die daran glauben, einfach als Idioten verlachen. Extremismus hat nichts mit Intelligenz zu tun, nichts mit Bildungsgrad, Ost oder West, jung oder alt, arm oder reich. Und unisex ist Hass sowieso. Man stolpert schnell in diese Wahnwelten.
ZEIT ONLINE: Beispiel Polen. Sie haben sich in Warschau mit Vertretern des christlich-fundamentalistischen Thinktanks Ordo Iuris getroffen, deren Mitglieder unter anderem in staatlichen Ministerien und am obersten Gerichtshof des Landes sitzen. In Polen, sagen Sie, ist Krieg gegen Feminismus bereits Teil der Staatsräson. Wie weit ist Deutschland Ihrer Meinung nach davon entfernt?
Ginsburg: Vor zehn Jahren hätte das, was heute in Polen geschieht, kaum jemand in dem Land für möglich gehalten. Das müssen wir begreifen, denn Polen ist uns nicht nur geografisch nah. Vieles, was dort zu "LGBT-freien Zonen" oder dem kompletten Abtreibungsverbot führte, wird auch bei uns schon diskutiert. Etwa der Mythos, dass eine ominöse "Translobby" Familien zerstöre. Ich erlebte junge polnische Männer, die sich derartiges anhörten, bevor sie Jagd auf queere Aktivist:innen machten. Unvorstellbar, könnte man meinen. Aber noch am selben Abend las ich eine ganz ähnliche Argumentation in einem Artikel der FAZ, in dem von "Transgenderpropaganda in Kindertagesstätten und Kindergärten" die Rede ist. Das alles ist uns schon so viel näher, als wir denken! Natürlich ist das Erstarken der internationalen Rechten eine Gegenbewegung auf all das, was wir gesellschaftlich erreicht haben: eine offene Gesellschaft der Teilhabe, der Mitsprache, Vielfalt und Offenheit. Aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. All diese hart erkämpften Freiheiten sind unglaublich zerbrechlich. Und die Antidemokraten stehen schon bereit und warten nur darauf, es zu zerstören.