Orkan Özdemir will in Berlin für die SPD ins Abgeordnetenhaus. Dabei kämpft er nicht nur gegen die Konkurrenz, sondern auch gegen Hass und Vorurteile.
"Wissen Sie", sagt die Frau, "eigentlich schlägt mein Herz ja für die SPD." Aber sie sei einfach unzufrieden mit deren Führungspersonal. Zu viel sei schiefgelaufen in , an den Schulen, in der Verwaltung. "So kann es nicht weitergehen, Herr Özdemir." Der Mann vor ihrer Tür, Orkan Özdemir, lächelt freundlich, nickt. Dann setzt er zur Antwort an.
Berlin, Ortsteil Friedenau, drei Wochen vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus. Orkan Özdemir kandidiert für die im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Wahlkreis drei. Ein hochgewachsener, sportlicher Mann, Ende 30, in Jeans und grauen Chucks, die schwarzen Haare zum Man Bun arrangiert. "Wenn ich ins Abgeordnetenhaus kommen sollte", sagt er zu der Frau, "rufen Sie mich an. Dann reden wir." Und dann: "Hören Sie auf Ihr Herz." Weiter geht's, zur nächsten Tür.
Özdemir versucht im Gespräch, das Vertrauen der Leute zur Politik zurückzugewinnen. Er, dem so oft nicht vertraut wurde, weil die Menschen die Vorurteile in ihren Köpfen nur so schwer ablegen, will es jetzt richten.
Fast zehn Jahre lang saß Orkan Özdemir in der Bezirksverordnetenversammlung, ein Ehrenamt. Dann wurde es ihm zu eng. Er wollte nicht mehr nur die Zustände an bestimmten Schulen diskutieren, sondern das große Ganze in den Blick nehmen: den Lehrplan beispielsweise. Das Gleiche bei Themen wie Integration und innerer Sicherheit: Es sollte um Grundsätzlicheres gehen. Deshalb will er jetzt ins Abgeordnetenhaus.
Özdemir bezeichnet sich selbst als Person of Color, PoC. Er ist aufgewachsen als Kind türkischer Gastarbeiter in einer armen Gegend, hat Karriere gemacht, erst in der Politikberatung, inzwischen arbeitet er für den Senat. Das hat ihm viel Anerkennung eingebracht. Aber auch Skepsis, Ablehnung bis hin zu offenem Hass. Ein türkischstämmiger Mann, der in einem vorrangig weißen, bürgerlichen Stadtteil für das Abgeordnetenhaus kandidiert, kann das funktionieren?
Er muss das Mandat direkt holen, die Liste hilft ihm nichtÖzdemir ist ein Mann, der sehr von sich überzeugt scheint. Und dem es leichtfällt, andere von sich zu überzeugen. An rund 50 Türen werden er und die SPD-Genossin Maria am Ende geklingelt, mit etwa 15 Menschen gesprochen haben. Fast alle reagieren offen und freundlich, viele scheinen interessiert. "Die Früchte monatelanger Arbeit", sagt Özdemir. "Am Anfang sah das anders aus."
Als er mit seinem Wahlkampf loslegte, sei man ihm noch kritisch begegnet. Trägt deine Frau Kopftuch? Betest du? Wie stehst du zu Erdoğan? Manche wandten sich auch hinter seinem Rücken an Parteikolleginnen: "Der Orkan ist doch bestimmt ein Macho, oder?"
Özdemir sagt, er habe das als Chance gesehen. Er habe verstanden, wie wenig die Bürger hier über Menschen aus Einwandererfamilien wüssten. Deshalb versuche er noch stärker, die Leute miteinander ins Gespräch zu bringen. "Brückenbauen", nennt er das. Prognosen sehen ihn inzwischen knapp vor der Gegenkandidatin der Grünen, bis vor Kurzem deutliche Favoritin im Wahlkreis.
Leicht wird es trotzdem nicht. Er müsse das Mandat direkt holen, erzählt er den Menschen an ihren Türen, er sei nicht abgesichert über eine Liste. Die SPD Tempelhof-Schöneberg hat ihn auf den letzten Platz gesetzt.