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Wer an den Flüchtlingen verdient

Die großen Flüchtlingszahlen haben vielen Unternehmen satte Gewinne beschert. Darunter sind auch Firmen, die bei manchem Helfer ­durchaus umstritten sind. Zum Beispiel Amazon und Ikea.


Duschgel, Shampoo, Zahncreme - der Bedarf an Hygieneartikeln in der Notunterkunft im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf ist groß. Etwa 1.300 Flüchtlinge sind seit August vergangenen Jahres in dem Gebäude untergebracht. Der Heimbetreiber, der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), versorgt sie zwar mit dem Notwendigsten, dennoch sind viele Bewohner auf Spenden angewiesen. 

Koordiniert werden diese von den ehrenamtlichen Helfern der Initiative "Freiwillige helfen in Wilmersdorf". Die Initiative nutzt für die Spendenannahme inzwischen, wie andere Berliner Initiativen auch, ein ungewöhnliches Hilfsmittel: die "Wunschlisten"-Funktion von Amazon.

Der amerikanische Online-Händler bietet seinen Kunden die Möglichkeit, öffentliche Einkaufslisten zu erstellen. Klickt man auf die Liste "NUK Rathaus Wilmersdorf" erscheinen unter anderem Unterwäsche, Einwegrasierer und Socken. Der Nutzer kann einfach den Artikel auswählen, den er spenden will. Der Versand läuft automatisch. 

Doch die Wunschlisten sind bei den Helfern nicht unumstritten. Einerseits bedeuten sie zwar zahlreiche Vorteile: Die Spendenbereitschaft wächst, weil die Spender die Produkte nicht mehr selbst vorbeibringen müssen. Die Helfer können große Mengen bestellen und müssen nicht mehr von Filiale zu Filiale ziehen. Andererseits ist da ein Haken: Die Helfer unterstützen mit der Liste ein Unternehmen, das mit seinen fragwürdigen Arbeitsbedingungen, seinen Auswirkungen auf den Einzelhandel, seiner Firmenstruktur und den damit einhergehenden Steuervorteilen immer wieder in der Kritik steht. 

Und dieser Haken ist den Helfern auch sehr wohl bewusst. "Wir haben viel über den Schritt diskutiert", sagt Rüdiger Schild, der die Online-Spendenannahme im ehemaligen Rathaus koordiniert und angibt, privat noch nie bei Amazon bestellt zu haben. Lange hätten er und die anderen Helfer nach Alternativen gesucht, auch bei lokalen Händlern angefragt. Verlässlichkeit und das bequeme Bestellprozedere aber hätten letztlich den Ausschlag gegeben. "Das Blöde ist einfach, dass Amazon funktioniert", sagt Schild.

Ähnliches Unbehagen gibt es auch auf höherer Ebene. Viele Kommunen sind bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen auf schnelle und unkomplizierte Lösungen angewiesen - und damit auf mitunter unbeliebte Kooperationen. Zum Beispiel mit privaten Heimbetreibern. Das sind Firmen wie der Marktführer European Homecare, der in Deutschland über 100 Einrichtungen betreut, sich selbst als "Aldi unter den Anbietern" bezeichnet und immer wieder Negativschlagzeilen macht. Zuletzt, weil Wachmänner in einem der Heime im nordrhein-westfälischen Burbach Bewohner misshandelt haben. 

Doch die privaten Heimbetreiber sind nicht die einzigen, die an den gestiegenen Flüchtlingszahlen verdienen, weil den Kommunen die Alternativen fehlen. Da sind auch die Hotel- und Hostelbesitzer, die vom Berliner Senat in der Vergangenheit bis zu 50 Euro pro Nacht und Flüchtling verlangen konnten. Oder auch das für seine umstrittene Steuerpolitik bekannte Möbelhaus Ikea, dessen Gewinne, auch aus den deutschen Filialen, zum Teil in den Niederlanden, in Luxemburg und in Liechtenstein versteuert werden. Das Möbelhaus kam aufgrund der gestiegenen Nachfrage zeitweise gar nicht mehr mit der Lieferung von Betten und Matratzen an Heime hinterher. 

Für all diese Unternehmen ist Asyl längst zu einem lukrativen Geschäft geworden. Wie hoch die Mehreinnahmen durch die Flüchtlinge sind, bleibt dabei häufig im Dunkeln. Auch Amazon schweigt sich hierzu aus. Dabei dürfte einiges zusammen kommen. Allein in der Notunterkunft im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf machen Bestellungen über die Wunschliste inzwischen 15 Prozent aller Spenden aus, erklärt Rüdiger Schild. Er und seine Mitstreiter hätten angesichts dieser Zahlen schon überlegt, das Unternehmen nach Rabatten zu fragen. Große Hoffnungen machen sie sich allerdings nicht: Die Drogerieketten Rossmann und dm, bei denen die Helfer ebenfalls große Mengen kaufen, hätten ähnliche Anfragen bereits abgelehnt. 

Zudem ist Amazon nicht gerade für übermäßiges Engagement in der Flüchtlingsfrage bekannt. Der Konzern verkündete im Dezember 2015 zwar medienwirksam, dass er die Erlöse der auf seiner Plattform vertriebenen Pegida-Hymne "Gemeinsam sind wir stark" an Flüchtlingsinitiativen spenden wolle. Tatsächlich war die Aktion aber wohl vor allem eine Reaktion auf die zahlreichen Kundenkommentare, die kritisierten, dass das Unternehmen die Single überhaupt zum Verkauf anbot. 

Ein Umdenken indes gab es nicht: Die Schlüsselanhänger "Merkel muss weg" und "Gutmenschen? Nein danke!" führt das Versandhaus noch immer, zu finden in der Rubrik "Germanenschmuck". Geschäft bleibt letztlich doch Geschäft. Und seine Partner kann man sich eben nicht immer aussuchen.

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