Sascha Gorhau

Freier Journalist, München und Augsburg

10 Abos und 2 Abonnenten
Artikel

Erika Steinbach: Ein Twitter-Eklat im Faktencheck

Erika Steinbach provotiert mit ihrer Aussage in der Flüchtlingsdebatte.


Aufschrei wegen Erika Steinbach: Geschlossen echauffieren sich Politiker aller Parteien über einen migrationskritischen Tweet von Erika Steinbach. Auch in den sozialen Netzwerken stößt ihre skurrile Zukunftsprognose für Deutschland auf Protest. Doch auf welchen Daten gründet die Vorhersage der CDU-Frau und wie realistisch ist sie? Der Steinbach-Tweet im Faktencheck.


Einigkeit im Bundestag ist selten. Doch nach den jüngsten Äußerungen von Erika Steinbach formulieren Politiker koalitionsübergreifend ihre Ablehnung gegen die Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.


Der SPD-Viezevorsitzende Ralf Stegner twitterte: "Wenn Bundestag eine Obergrenze für Dummheit hätte, würde Frau Steinbach an der Grenze zum Reichstag zurückgewiesen."

CDU-Generalsekretär Peter Tauber wollte aus Anstandsgründen lieber gar nichts zu Steinbach sagen, und Bernd Riexinger von den Linken forderte, die Politikerin als CDU-Sprecherin für Menschenrechte abzusetzen."


Sogar die FDP meldet sich außerparlamentarisch zu Wort: Parteichef Christian Lindner brachte ebenfalls eine "Obergrenze für Dummheit" im Zusammenhang mit Steinbachs Äußerungen ins Spiel.


Was war passiert? Erika Steinbach hatte bereits in der Vergangenheit mit kontroversen Äußerungen für Unmut gesorgt. Am vergangenen Wochenende provozierte die 72-Jährie nun einen neuen Eklat.


Über ihren offiziellen Twitter-Account postete sie das Foto eines blonden Kindes, umringt von dunkelhäutigen Menschen. "Deutschland 2030" ist die Aufnahme überschrieben. Der Satz "Woher kommst Du denn?", gerichtet an das blonde Mädchen, steht darunter.


Steinbach-Tweet: Foto stammt von 2012

Das Foto ist schon seit langem in den sozialen Netzwerken bekannt - meist im Zusammenhang mit deutschnationalen und ausländerfeindlichen Äußerungen.

Steinbach nutzte zahlreiche Tweets, um den Kritikern zu antworten. Unter anderem schrieb sie: " Die Daten deuten darauf hin, dass Deutschland 2030 wirklich so aussehen könne, wie auf dem verwendeten Foto. In Großstädten gibt es jetzt schon einen erheblichen Anteil nichtdeutscher Bevölkerung."


Ein Faktencheck zeigt: Die Aussage kann im Bezug auf das Bild überhaupt nicht zutreffen. Die Original-Aufnahme stammt von einem Tumblr-Blogeintrag und datiert auf das Jahr 2012.

Seine Unterschrift lautet: "Tow headed child visits India - cultural shock in the village". Zu deutsch etwa: "Ein strohblondes Kind besucht Indien - Kulturschock im Dorf." Das Bild entstand also in Indien und ist völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Es erscheint zudem unwahrscheinlich, dass sich besagtes indisches Dorf geschlossen nach Deutschland aufmacht.


Selbst wenn man das Bild auf die Meta-Ebene hebt und seine symbolische Aussage überprüft, so bleiben Zweifel am Wahrheitsgehalt von Steinbachs Aussagen. Die CDU-Politikerin prognostiziert sinngemäß, dass es Daten gebe, laut denen Deutschland im Jahr 2030 von Ausländern übervölkert sei, Deutsche im eigenen Land hingegen in der Minderheit.


Eine Stelle, die gegebenenfalls über entsprechende Quellen Bescheid wissen sollte, ist das Statistische Bundesamt in Wiesbaden. Olga Pötzsch arbeitet dort in der Fachabteilung für Demografische Analysen, Methoden und Vorausberechnungen. Sie antwortete auf Nachfrage: "Das Statistische Bundesamt hat keine Vorausberechnungen für Migranten und deren regionale Verteilung in Deutschland erstellt. Die Quellen, auf die sich Frau Steinbach beruft, sind uns unbekannt."


Statistik-Experte: Wohl keine Datenbasis für Steinbach-Tweet

Ähnlich äußert sich auch das Institut für deutsche Wirtschaft in Köln (IW): "Dass sich der Tweet von Frau Steinbach auf eine existierende statistische Datenbasis stützt, bezweifle ich stark," sagt Philipp Deschermeier vom IW. "Ich beschäftige mich seit Jahren mit demographischen Vorausberechnungen und Prognosen, aber wie man solche Aussagen auf Basis wissenschaftlicher Methoden treffen kann, kann ich nicht nachvollziehen," so der Ökonom.


Auch Statistik-Experten der Bertelsmann-Stiftung zweifeln an validen Zahlen als Basis für Steinbachs Äußerungen: "Fragen zur Bevölkerungsentwicklung bis 2030 sind derzeit alles andere als einfach zu beantworten, da die Datenlage im Kontext von Geflüchteten eher unklar ist", sagt Petra Klug, die bei Bertelsmann unter anderem das Buch "Eine demografische Reise durch Deutschland" (2014) veröffentlicht hat.


"Schwierig ist zudem, dass in der öffentlichen Debatte selten zwischen Geflüchteten und Asylberechtigten unterschieden wird, die Bleibeperspektiven einschließlich der Regelungen zum Familiennachzug nicht geklärt sind", so Klug.


Interessant ist: Erika Steinbach twittert eine Szene aus einem indischen Dorf - und prangert die Situation in deutschen Großstädten an. Verschiedene Untersuchungen wie beispielsweise die Raumordnungsprognose 2030 (ROP 2030) des Bundesinstituts für Bau, - Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung bestätigen: Die Bevölkerung in Deutschland wird internationaler - besonders in Großstädten. Der Anteil der Migranten wird dort steigen.


Mehr Ausländer in Großstädten - aber oft falsche Wahrnehmung

"Die Großstädte waren auch vor der Flüchtlingskrise die primäre Anlaufstelle bei Zuwanderung. Die Gründe hierfür sind zwar sehr vielfältig, beispielsweise die Bekanntheit, Arbeitsplätze und bereits existierende Netzwerke, aber es ist kein neues Phänomen," sagt Philipp Deschermeier.


Zudem: Die Wahrnehmung von Ausländern ist in jeder Region, in jeder Stadt unterschiedlich: "Sicher gibt es Städte und vor allem Stadtteile, in denen der Ausländer-Anteil hoch ist - oft wird der Anteil nach unserer Erfahrung aber falsch eingeschätzt. So lag der Ausländer-Anteil 2013 beispielsweise in Düsseldorf bei 17 Prozent, während er in Dortmund bei 13,2 Prozent lag," sagt Petra Klug.


Insgesamt ist das Faktenfundament von Erika Steinbachs Tweet also dünn bis nicht vorhanden. Vor Indern indes braucht die CDU-Frau keine Angst haben. Das Statistik-Portal "statista.de" schlüsselt die in Deutschland registrierten Ausländer nach ihrer Herkunft auf.

Die jüngsten Statista-Zahlen weisen 76.093 gemeldete Inder in Deutschland im Jahr 2014 aus. Damit liegt das Land auf Rang 26 und spielt insgesamt nur eine geringe Rolle als Auswanderungsland für Inder.


Auf Rang zwei hingegen liegen Menschen aus unserem Nachbarland Polen (674.152). Dort, im Ort Rumia bei Danzig, wurde Erika Steinbach 1943 geboren.

IM VIDEO: Erika Steinbach sorgt auf Twitter für Eklat
Zum Original