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Wenn eine Frau als Risiko gilt – Filmemacherinnen kämpfen für Gleichberechtigung

Esther Gronenborn ist Regisseurin und sitzt im Vorstand von "Pro Quote Film". Foto: Birgit Gudjunsdottir

Beim „Tatort" sitzen mittlerweile deutlich mehr Frauen im Regiestuhl als noch vor wenigen Jahren. Doch in der überwiegenden Mehrheit sind deutsche Filme und Serien nach wie vor das Werk von Männern. Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen und ihre Kolleginnen fordern eine Quote - und ein grundsätzliches Umdenken in der Branche

Neulich saß Filmemacherin Lisa Miller seit längerer Zeit mal wieder vor dem Fernseher. Sie war zu Besuch bei ihren Eltern und ein Krimi-Abend stand auf dem Programm. Was sie sah, fand sie enttäuschend, wenn nicht erschreckend. „Nach drei Krimis und der siebten Frauenleiche dachte ich: Mir reicht's jetzt." In ihrer eigenen Arbeit ist die 34-jährige Miller bislang ohne Frauenleichen ausgekommen. Die Regisseurin, Drehbuchautorin und Künstlerin hat 2018 ihren ersten Kinofilm herausgebracht.

„Landrauschen" erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die nach dem Studium in Berlin in ihr Heimatdorf zurückkehrt, eher widerwillig ein Praktikum als Lokalreporterin beginnt und mit einer Freundin aus Schulzeiten anbandelt. „Das ist ein Film für alle", sagt Miller. Sie betont das, weil sie oft die Erfahrung macht, dass „Landrauschen" als „Frauenfilm" bezeichnet wird. So ergeht es wohl einem Film, in dem die beiden tragenden Rollen mit Frauen besetzt sind. Im deutschen Kino - und nicht nur dort - ist das noch immer eine Ausnahme.

Dabei sei es entscheidend, dass Frauen sichtbarer seien und in den unterschiedlichsten Facetten mit vielfältigen Berufen gezeigt würden, sagt Miller. „Vorbilder sind total wichtig." Doch davon sei die deutsche Film- und TV-Branche noch weit entfernt: Sie habe manchmal den Eindruck, dass der Beruf der Sexarbeiterin auf dem Bildschirm am stärksten repräsentiert sei. Auch ihr habe es an Vorbildern gemangelt - vor und hinter der Kamera. „Ich bin ganz lange nicht auf die Idee gekommen, dass ich Regisseurin sein könnte", erzählt sie.

Verhältnis beim Regie-Nachwuchs ausgeglichen

Ob Kinofilm oder Fernsehkrimi: Deutsche Film- und Serienproduktionen sind in der überwiegenden Mehrheit das Werk von Männern. Nur jeder fünfte Kinofilm aus dem Jahr 2018 wurde von einer Frau inszeniert, wie der aktuelle Diversitätsbericht des Bundesverbands Regie zeigt. Ganz ähnlich sieht es im TV aus: Bei lediglich 20 Prozent aller fiktionalen Sendeminuten bei ARD und ZDF hat eine Frau Regie geführt, etwas höher ist der Anteil bei den Privatsendern.

Diese Zahlen sind umso bemerkenswerter vor dem Hintergrund, dass das Geschlechterverhältnis beimRegie-Nachwuchs nahezu ausgeglichen ist: Fast 45 Prozent der Absolvent*innen der Filmhochschulen sind Frauen. Doch als Regisseurin arbeitet später nur etwa die Hälfte von ihnen. Bei den Männern hingegen gibt es zusätzlich zu den Regie-Absolventen eine hohe Zahl an Quereinsteigern, die sich als Regisseure etablieren können. Das bedeutet: Vielen qualifizierten Frauen gelingt es nicht, in ihrem Beruf Fuß zu fassen, weniger qualifizierten Männern hingegen schon.

Gerade in der Regie würden Frauen „oft als Risiko betrachtet", sagt Esther Gronenborn. Die 52-Jährige ist Regisseurin und Teil des Vorstands von „Pro Quote Film". Der Verein sich dafür ein, dass der Frauenanteil in allen Bereichen der Filmproduktion steigt. Es werde immer wieder angezweifelt, dass Frauen sich am Set durchsetzen könnten, dass sie der Führungsposition gewachsen seien, so Gronenborn.

Hinzu komme, dass es in der Branche noch immer kein Verständnis dafür gebe, dass Frauen, die Kinder bekommen, oft keinen so stringenten Lebenslauf vorweisen könnten wie ihre männlichen Kollegen. Gronenborn, selbst Mutter, erklärt, es sei nach der Pause schwer gewesen, sich erneut zu etablieren: „Das war wie von vorne anfangen." Dabei ist klar: Wer Filme und Serien inszeniert, wer die Drehbücher schreibt, hat einen Einfluss auf den Inhalt und die Bildsprache.

Fehlende Sichtbarkeit betrifft nicht nur Frauen

„Je mehr Frauen hinter der Kamera verantwortlich sind, desto mehr Frauen sehen wir auf dem Bildschirm", sagte Elizabeth Prommer 2020 in einem Gespräch mit dem Informationskanal „NDR Info". Prommer ist Professorin für Medienwissenschaft und hat zahlreiche Studien zur Rolle von Frauen vor und hinter der Kamera veröffentlicht. „Wenn eine Frau das Drehbuch geschrieben hat, sehe ich dreimal mehr Frauen, als wenn ein Mann das Drehbuch geschrieben hat", so Prommer weiter.

Bislang, auch das konnte sie nachweisen, kommen im deutschen Fernsehen auf eine weibliche Rolle zwei männliche. Das gilt über alle Fernsehsendungen hinweg - mit Ausnahme von Telenovelas und Daily Soaps. Ganz ähnliche Werte hat Prommer übrigens für die Besetzung zentraler Rollen in deutschen Streaming-Produktionen ermittelt.

Die fehlende Sichtbarkeit betreffe nicht nur Frauen, wie Sophie Charlotte Rieger, Chefredakteurin des feministischen Filmmagazins „Filmlöwin", mit Bezug auf die deutsche TV- und Kinolandschaft betont: „Es fehlen Frauenfiguren, es fehlen Figuren of Color, es fehlen Figuren mit Behinderung, es fehlen migrantische Figuren - genau die bräuchten wir aber, um Gesellschaft einigermaßen fair abzubilden und allen Menschen die Möglichkeit zu geben, eine Identifikationsfigur zu finden." Die gute Nachricht: In Sachen Gendergerechtigkeit gibt es erste Bemühungen der Fernsehbranche, wenn auch vorsichtige.

Ein paar Beispiele: Die ARD-Tochtergesellschaft „Degeto" beschloss 2015 eine Zielvorgabe, die vorsieht, dass in mindestens 20 Prozent der Filme eine Frau Regie führt. Damit reagierte die „Degeto" auf Forderungen von „Pro Quote Regie", dem Vorgängerverein von „Pro Quote Film". Auch beim „Tatort" sitzen immer mehr Frauen im Regiestuhl - zuletzt sogar deutlich mehr als die vereinbarten 20 Prozent. Allerdings: Die Drehbücher für den ARD-Sonntagskrimi stammen noch immer fast ausschließlich von Männern.Das ZDF hingegen legte ein Förderprogramm für Frauen auf, und zwar für Serienproduktionen am Vorabend.

Laute Kritik an ARTE-Ausschreibung

Der Kultursender ARTE setzt ebenfalls auf Nachwuchsförderung - und griff aus Sicht zahlreicher Kritiker*innen völlig daneben. Im vergangenen Herbst hatte der Sender Filmemacherinnen dazu aufgerufen, bei dem Kurzdokumentarfilm-Wettbewerb „Regisseurin gesucht" teilzunehmen. „Fakt ist, dass viel zu wenig Dokumentarfilme von Frauen auf ARTE gezeigt werden", heißt es in dem Aufruf. Der Gewinnerin will der Sender einen Entwicklungsvertrag für einen längeren Dokumentarfilm anbieten.

Die Autorinnen und Filmemacherinnen Pary El-Qalqili und Biene Pilavci - Gründerinnen der Initiative „Nicht mein Tatort" - reagierten darauf mit einem offenen Brief, dem sich zahlreiche Verbände und Filmschaffende anschlossen. Sie kritisieren unter anderem, dass ein Wettbewerb, aus dem eine einzelne Gewinnerin hervorgehe und bei dem die Teilnehmerinnen unentgeltlich in Vorleistung gehen müssten, nicht dazu geeignet sei, die strukturelle Teilhabe von Regisseurinnen zu verbessern.

Zudem ignoriere der Sender die Tatsache, dass es bereits mehrere Generationen qualifizierter Regisseurinnen gebe. Als weitere Reaktion gründete sich ein Netzwerk mit dem Namen #wirwarenimmerda. „Gleichstellung ist nicht gleich Nachwuchsförderung, das sollte man nicht miteinander vermengen", sagt Regisseurin Gronenborn. Die ARTE-Ausschreibung sei ein Beweis dafür, dass eine wirkliche Teilhabe von Frauen hinter der Kamera nicht existiere. Ihr Fazit: „Es hat sich nicht so viel getan, wie es den Anschein hat."

Ähnlich äußert sich Filmkritikerin Rieger. Das Bewusstsein für das Thema nehme zwar zu, Frauen und queere Personen bildeten zunehmend Netzwerke, um für mehr Sichtbarkeit zu kämpfen. Doch oft blieben die Filmemacher*innen und Aktivist*innen bei Netzwerktreffen und auf Panels unter sich. „Es ist grundsätzlich in Deutschland ein großes Problem, dass die Leute, die Macht und Geld haben, sich komplett aus dem Thema raushalten", so Rieger.

Hemmschwelle für Förderung ist hoch

Für Esther Gronenborn und ihre Mitstreiterinnen ist klar, was passieren muss: „Pro Quote Film" fordert eine 50:50-Quote für alle kreativen Schlüsselpositionen, also Regie, Kamera, Drehbuch, Produktion sowie für alle anderen Gewerke wie Schauspiel und Komposition. Und nicht nur das: „Da wir in einer vielfältigen Gesellschaft leben, gehören neben der Genderquote auch Diversitätsstandards zu jeder Förder-, Produktions- und Redaktionsentscheidung dazu", heißt es in einem Statement des Vereins.

Dabei geht es auch ums Geld: Die Filmförderung ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der deutschen Filmlandschaft. Und auch hier gibt es ein massives Ungleichgewicht, wie Auswertungen der Filmförderungsanstalt (FFA) zeigen. So ging im Bereich Regie im Jahr 2019 nur ein Viertel der FFA-Fördergelder an Projekte von Regisseurinnen.

Das Problem: Die Hemmschwelle ist so hoch, dass Frauen ihre Filme oft noch nicht einmal bei den Förderanstalten einreichen. Häufig, so Gronenborn, wollen die Förderinstitute schon beim Antrag eine Firma sehen, die den Film produziert. Aber: „Es ist sehr schwer, eine Produktionsfirma zu finden, die an das Projekt und an die Frau glaubt."

Auch Lisa Miller hat ihren Film „Landrauschen" nicht zur Förderung eingereicht. Sie habe Vorgespräche mit den Förderanstalten geführt, berichtet sie, aber da sei ihr signalisiert worden, dass sie keine guten Aussichten habe. Sie gründete eine eigene Produktionsfirma und finanzierte den Film über Crowdfunding und Sponsor*innen - ein gewaltiger Kraftakt, wie sie selbst sagt, und kein Modell, das auf Dauer funktioniere.

Schulungen gegen unbewusste Vorurteile

Dabei wurde die Anstrengung am Ende belohnt: „Landrauschen" gewann mehrere Preise, darunter den Max Ophüls Preis als bester Film. 2018 wurde Millers Film auf der Berlinale gezeigt - ein Erfolg für die junge Filmemacherin. Von diesem Tag in Berlin ist ihr allerdings auch eine Frage in Erinnerung geblieben, über die sie bis heute staunt: „Drei verschiedene Leute haben mich an einem Tag gefragt, ob ich das weitermachen möchte."

Eine Erfahrung, die wohl keine Seltenheit in der Branche ist. „Bei Frauen werden Erfolge nicht so hoch bewertet wie bei Männern", meint Regisseurin Gronenborn. „Gelingt einer Frau ein guter Film, wird das eher als Zufall wahrgenommen." „Unconscious bias" nennt Filmkritikerin Rieger diese Voreingenommenheit gegenüber Filmemacherinnen, die es ihnen erschwert, sich in der Branche zu etablieren.

Der Verein „Pro Quote Film" spricht von „stereotypen Wahrnehmungskriterien" und fordert daher regelmäßige Fortbildungen für Redakteur*innen und andere Menschen in Entscheidungspositionen. Ihrer Meinung nach sollten Schulungen, unter anderem zu den Themen Sexismus, Rassismus und Altersdiskriminierung von Frauen, als berufliche Weiterbildung verpflichtend sein. Das soll am Ende zu faireren Bedingungen hinter der Kamera führen - und zu diverseren und weniger stereotypen Figuren.

„Ich möchte, dass die ganze Bandbreite abgebildet wird", sagt Regisseurin Lisa Miller. Es gehe nicht darum, nur noch ein bestimmtes, positives Frauenbild zu zeigen. So hält Miller beispielsweise nicht viel vom Motiv der „starken Frau", denn auch dies sei ein Klischee. „Frauenfiguren können auch hysterisch sein, sie können auch stressig sein. Wichtig ist, dass sie es nicht nur sind."

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