Das Gesicht ist aschfahl. Maskenartig. Ein starrer Blick aus weit aufgerissenen Augen. Der Atem rasselt, während der leblose Körper von zwei kräftigen Männern auf einen Rollstuhl gehievt wird. Auch der hat schon bessere Tage gesehen. Nur mit Mühe können die langen Beine des Kranken auf die Fußschiene gestellt werden. Die Knie reichen nun beinahe bis zum Kinn. Ein Rucksack wird dazwischen gestopft. "Mzungu", schreit ein Mädchen und zeigt mit dem Finger auf die zusammengesunkene Gestalt. Es ist 10.30 Uhr an einem sonnigen Tag in Afrika. Endstation Hospital Kibondo.
Vermutlich begann die Misere mit der unglücklichen Verkettung von Umständen, die, jeder für sich betrachtet, harmlos gewesen wären. Eine Lariam-Tablette, als Prophylaxe gegen Malaria gedacht. Ein deftiges Curry und eine Ananas vom Markt. Vielleicht waren die Gründe auch ganz andere, wer weiß das schon. Unbestritten hingegen die Folgen. Durchschlagende Symptome, so dass mein Reisebegleiter in der Nacht kaum zur Ruhe kam.
Durchfall und Busfahren sind so wenig kompatibel wie Höhenangst und Hochseilakrobatik. Erst recht in tansanischen Bussen, bei denen es sich meist um ausgediente Modelle mit unverkennbar indischem Look handelt. Vorhänge, Kordeln und viel Gebammel statt Schnickschnack wie Klimaanlage oder Bord-WC.
Passend zum rustikalen Gefährt ist auch der erste Teil der Straße von Kigoma nach Bukoba nichts für sensible Gemüter. Eine sandige Berg- und Talbahn, die kein europäischer Kleinwagen überleben würde. Die Landschaft ruckelt vorbei: Palmen und Hügel, Bananenfelder und Lehmhütten, überall sind Menschen am Pistenrand, die durch roten Smog laufen oder Rad fahren.
Zwischenstopp nach Zusammenbruch
Im Bus ist die Lage angespannt. Zwar hat Imodium akut bei meinem Begleiter ganze Arbeit geleistet. Sein Kreislauf hingegen verweigert sich und bricht mehrmals zusammen. Einmal müssen sie den Bus sogar anhalten und den Bewusstlosen nach draußen tragen, damit er wieder zur Besinnung kommt. Danach sind selbst die hartgesottenen Einheimischen besorgt und stoppen den Bus kurze Zeit später erneut. In einer staubigen Ortschaft, umgeben von sanften Hügeln mit üppiger Vegetation. Direkt vor dem District Hospital von Kibondo.
Das staatliche Krankenhaus, das 1954 errichtet wurde, besteht aus mehreren flachen Baracken mit Dächern aus Wellblech. Hier warten Scharen bunt betuchter Menschen, meist Frauen und Kinder, die nun alle den "Mzungu", den fremden Weißen sehen wollen.
Pfleger eilen herbei. Doch bevor der Patient behandelt werden kann, muss ein Formular ausgefüllt werden. Wie überall in Afrika. In Museen, Behörden, Hotels. Während ich artig schreibe, suchen die Pfleger nach einem freien Arzt. Vorerst vergeblich. Formular ausgefüllt, Patient tot?
"Können wir ihn nicht irgendwo hinlegen? Notfalls auf die Erde", rufe ich verzweifelt in ein offenes Arztzimmer. "Auf keinen Fall. Nicht auf die Erde", antwortet Doktor Florian Tinuga, der gerade einen anderen Patienten betreut. "Wir haben ein Zimmer für euch." Dort wird der Patient nun in die Waagerechte gebracht. Die Stirn ist kalt. Ein Tropfen Schweiß rollt über die Schläfe. Nach wenigen Minuten ein mattes Lächeln. Gottseidank. Oder besser: "Mungu ni Mweza", Gott ist groß, wie auf vielen Bussen zu lesen ist, die durch Tansania rollen.
Wer durch Afrika reist, sucht Abenteuer und Exotik. Danach klingen auch die Risiken für Leib und Seele, von denen die Internetseite des Auswärtigen Amts lediglich die prominentesten nennt: Dengue-Fieber, Bilharziose, Typhus, Schlafkrankheit, Cholera, Malaria. Hin und wieder Pestausbrüche. Eine Portion Gelassenheit erscheint notwendig, denn Angst ist ein schlechter Reisebegleiter. Leicht gesagt, wenn der Ernstfall tatsächlich eintritt.
Angst vor dem Tropf
Im Kibondo Hospital kämpft Schwester Jane mit den Gerätschaften. Die Messung von Blutdruck und Blutzucker sieht eher nach "Jugend forscht" als nach professioneller Routine aus. Doktor Tinuga fragt nach dem Krankheitsverlauf. "Kein Imodium. Keine Bananen. Nur Wasser und Brot", befindet er und ordnet einen Tropf mit Elektrolyten an. "Muss das sein?", frage ich skeptisch.
"Wir verwenden sterile Nadeln", versichert der Arzt. Doch auch der Patient schüttelt energisch den Kopf. Tinuga bleibt hartnäckig. "Glauben Sie mir, es ist besser so. Sie brauchen Flüssigkeit." Das Vorhaben erweist sich als schwierig, weil die Blutgefäße des Patienten für die Schwester unauffindbar sind. Doktor Tinuga lässt die rabiaten Bohrversuche abbrechen. Kurz darauf ist der Kranke eingeschlafen.
Schwester Jane zeigt mir die sanitären Einrichtungen des Krankenhauses. Pro Baracke eine Toilette - typisch afrikanisch mit Loch in der Erde. Und ein hüfthoher Wasserhahn ohne Becken.
Zeit für Reinigungsarbeiten. Nach vierstündigem Ritt über rostrote Pisten sehe ich aus, als hätte ich den Mars umgegraben. Ich spanne eine Leine, dusche den Rucksack und wasche Wäsche in einer Plastikschüssel.
Nach einer Weile kommt Doktor Tinuga mit guten Neuigkeiten. "Cholera ist es nicht", sagt er. Die Sorge war nicht unberechtigt, denn wir haben vier Tage in Mpulungu verbracht, wo die Krankheit wenige Tage vor unserer Ankunft ausgebrochen war. Er setzt sich zu mir auf eine Bank vor unserer Baracke, in der es nur Zweierzimmer gibt. Karge Räume mit Steinfußboden und ölfarbenen Wänden, Betten mit zerschlissenen Matratzen und einem kleinen Ablagetisch.
Verpflegung werde nur in speziellen Fällen angeboten, sagt der 34-jährige Tinuga, bei Unterernährung oder Aids. Die Immunschwäche sorgt für hohe Todesraten und eine Lebenserwartung, die mit 53 Jahren zu den geringsten weltweit gehört. Im Kibondo District Hospital arbeiten unter Tinugas Leitung zehn Assistenzärzte und 60 Schwestern.
Besuch vom Busunternehmen
Es wird Abend in Kibondo. Nachdem der deutsche Patient in den vergangenen Stunden liebevoll von Schwester Jane und vielen anderen umsorgt wurde, die ihm immer wieder Mut zusprachen, scheint das Schlimmste überstanden zu sein.
Dann kommt Herr Ramadhani vorbei, ein Repräsentant der Busgesellschaft "Adventure Tours" in Kibondo, bei der wir gebucht hatten. Er fragt, ob er helfen kann. Jemanden informieren? Plätze im nächsten Bus organisieren? Oder besser gleich einen Wagen mit Chauffeur?
Am nächsten Morgen ist der Patient wieder obenauf, lebenslustig und voller Pläne. Wir nehmen Ramadhanis Angebot an. Doktor Tinuga gibt seinen Segen und erklärt für den Notfall, in welchen Orten auf der Strecke Krankenhäuser stehen. "Es war gut, dass ihr hierhergekommen seid. Viele versuchen, zu lange durchzuhalten. Manchmal ist es zu spät."
Schwester Jane bringt die Rechnung: 2,50 Euro. Verdammt wenig Geld für eine Lektion in Demut und Bescheidenheit. Mitten im Nirgendwo, wo Beistand und Kümmern all das ersetzt, was Hochleistungsmedizin in Deutschland ist.
Text: Sarah Paulus (www.sarahpaulus.de)
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