Schnee bedeckt die Strände am Kaiserbad Bansin, nur ein paar Spaziergänger sind unterwegs. Bei minus fünf Grad strahlt die Sonne, als wolle sie in der kalten Jahreszeit Rekorde brechen. Solche Wintertage müssen es gewesen sein, an denen einst die Bernsteinhexe am Meerufer von Usedom auf die Suche nach Schätzen ging.
Ihre Geschichte kennt jeder Inselbewohner. Der Schriftsteller und Theologe Johannes Wilhelm Meinhold veröffentlichte im Jahr 1843 ein Buch darüber: Während des Dreißigjährigen Krieges, als auf Usedom Not und Elend herrschten, entdeckte demnach die 15-jährige Pfarrerstochter Maria Schweidler eine Bernsteinader.
Sie verkaufte die kostbaren Steine, um sich Brot für die Hungernden leisten zu können. Zur gleichen Zeit wies sie die Avancen des Amtshauptmannes Appelmann zurück, worauf der Verschmähte sie wegen ihres unerklärlichen Geldbesitzes der Hexerei bezichtigte. Maria wurde daraufhin zum Scheiterhaufen geführt. Doch Graf Rüdiger von Nienkerken bewahrte sie vor dem Flammentod, indem er sie zur Frau nahm.
Die Zeiten von Krieg und Hungersnot sind längst vorbei. Jeden Sommer finden sich Zehntausende Erholungssuchende auf Usedom ein. Die Insel ist mit rund 1900 Sonnenstunden im langjährigen Jahresmittel der sonnenreichste Ort Deutschlands.
Doch was könnte Besucher im kalten Winter auf die Ostseeinsel locken, bei Schnee und wenig Sonne? Eine Schatzsuche vielleicht, auf den Spuren der Bernsteinhexe. Viele Touristen hoffen, als Souvenir einen funkelnden Stein mit nach Hause zu nehmen.
Schatzfunde nur bei Wetterglück
Geeignete Anlaufpunkte sind die Bernsteinbäder Ückeritz, Loddin, Koserow und Zempin, wo jedes Frühjahr die Bernsteinwoche mit der Krönung der Bernsteinkönigin stattfindet. "Dort liegen die reichsten Vorkommen der Insel", sagt Frank Reischke, Geschäftsführer des Hotels Bansiner Hof. "Gleich hinter Bansin geht es los. Entlang der 15 Kilometer langen Steilküste."
Um tatsächlich fündig zu werden, muss das Meerwasser kalt sein. Dann schwimmen die Steine obenauf und sinken nicht wie im Sommer auf den Grund. Doch auch im Winter braucht man ein bisschen Glück. Zunächst einen kräftigen Westwind, der die Niederungen volllaufen lässt. Dann sollte der Wind scharf auf Nordost drehen. "So kann er über Hunderte Kilometer so richtig Fahrt aufnehmen", erklärt Reischke. "Bedingt durch den hohen Wasserstand, schlägt das Meer dann mit voller Wucht auf die Küste, wodurch die Bernsteinadern freigespült werden. Wenn sich das Meer zurückzieht, funkelt der Strand." Ein Phänomen, das sich vor allem mit den Winterstürmen zeigt. "Das lockt natürlich Touristen an, sogenannte Nachsammler."
Dieser Tage ist das nicht so. Kein Lüftchen weht, das Meer ist ruhig. An seinen Ufern schwappt es träge.
Warm, leicht, nicht feuerfest
Wen das Schatzsucherglück im Stich lässt, der kann es sich einfacher machen und den Bernsteinbasar in Loddin besuchen. Dort bietet der Sammler Hans-Jürgen Schwarzenholz Naturbernstein an: "Ketten und Anhänger aus eigener Produktion, auch ungeschliffene Stücke." 300 Arten gibt es weltweit in 30 verschiedenen Grundfarbtönen, von Weiß bis Schwarz.
Anders als Kieselsteine, die immer kalt und schwer sind, ist Bernstein warm und leicht. Er schwimmt daher in zehnprozentiger Salzlösung oben. "Oder man macht die Brennprobe", sagt der Experte. "Da bleibt allerdings nichts übrig. Ist ja nicht mehr als fossiles Harz von Bäumen. Damit es zu Bernstein wird, muss das Harz Millionen Jahre unter bestimmten Bedingungen lagern." 35 bis 50 Millionen Jahre alt ist der Ostseebernstein. Sein eigener größter Fund? "Faustgroß", sagt Schwarzenholz. "Aber das passiert nur einmal im Leben."
Nur ein paar hundert Meter entfernt von seinem Laden, im Nachbarort Koserow, begann die Geschichte der Bernsteinhexe Maria Schweidler. Am nahegelegenen Streckelsberg soll sie ihre Bernsteinader entdeckt haben. Schriftsteller Meinhold selbst war von 1821 bis 1827 Pastor in der dortigen Kirche, wo er - so steht es im Vorwort zur Erstausgabe seines Büchleins - auf die Familienchronik der Schweidlers stieß, auf die er sich als Vorlage beruft.
Gefangen im Schloss
Einige Schauplätze seiner Aufzeichnungen können heute besichtigt werden: Schloss Pudagla, ein ehemaliges Kloster aus dem 13. Jahrhundert, in dessen Kreuzgewölbe Meinhold sowohl Marias Hexenprozess als auch das Verlies verortete, in dem sie bis zu ihrer Verurteilung eingesperrt gewesen sein soll.
In der Nähe des Schlosses erhebt sich der 38,60 Meter hohe Glaubensberg. Auf diesem hätte das Mädchen den Flammentod erfahren, wenn nicht Graf Rüdiger von Nienkerken gekommen wäre und sie geehelicht hätte.
Dessen Nachlass ist das wenige Kilometer entfernte Wasserschloss Mellenthin. Heute beherbergt das Gebäude ein Hotel mit eigener Bierbrauerei und Kaffeerösterei. Ein guter Endpunkt für die Tour auf den Spuren der Hexengeschichte.
Zuletzt ist sie tatsächlich nur das: eine Geschichte. Als nämlich Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. Interesse an Meinholds jahrhundertealten Quellen äußerte, musste dieser einräumen, dass die angebliche Familienchronik nie existiert hat und damit die schaurigschöne Hexenstory frei erfunden war. Dem Charme der Erzählungen wie auch dem Reiz der winterlichen Bernsteinromantik tut das aber keinen Abbruch.
Text: Sarah Paulus (www.sarahpaulus.de)
Foto: Rolf G. Wackenberg (www.wackenberg.com)
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