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Muezzins lernen Singen

Sächsische Zeitung - 25.04.2018
Die meisten hatten noch nie mit Musik zu tun. Aber damit die Lobpreisung Gottes bei den Gläubigen wirklich ankommt, nehmen Muezzins in Tunis Gesangsstunden im Konservatorium.


„Allah Akbar" (Gott ist groß) schallt es vielstimmig über den Innenhof des tunesischen Musik-Instituts Rachidia in der Altstadt von Tunis. Doch der Gebetsruf bricht mittendrin ab. „Hier, bei der letzten Silbe, da müsst ihr eine Stufe runtergehen", korrigiert Fethi Zghonda die Männer, die vor ihm in einem kleinen Unterrichtsraum sitzen. Ein gutes Dutzend Muezzins ist an diesem Vormittag zur Fortbildung gekommen. Bei dem 69-jährigen Musikwissenschaftler und Dirigenten Zghonda lernen sie, den Stil ihres Gebetsrufs zu verbessern.

Die Idee, den Muezzins Gesangsunterricht zu geben, kam Hedi Mouhli, dem Leiter des Instituts Rachidia, als er zum Gebet in die Moschee um die Ecke ging. „Deren Muezzin hat eine schöne Stimme, singt in tunesischem Stil und fehlerfrei." Doch das sei leider längst nicht bei allen der Fall. Der tunesische Religionsminister Ahmed Adhoum habe daher die Idee der Gesangsstunden begeistert aufgegriffen. Seit Ende März läuft die erste Ausbildungsrunde in Tunis. Weitere sollen in anderen Landesteilen folgen.

„Ich habe früher einfach spontan zum Gebet gerufen, wie es mir gefallen hat", erzählt Abdelmounem Othmani, Muezzin einer Moschee in Denden, einem Vorort im Westen der Hauptstadt Tunis. Der Gebetsruf sei zwar verständlich gewesen, aber wahrscheinlich nicht besonders schön anzuhören, mutmaßt er heute.

Weit über 90 Prozent der elf Millionen Tunesier sind sunnitische Muslime. Die überwiegende Mehrheit von ihnen gehört der malikitischen Rechtsschule an, die vor allem in Nord- und Westafrika verbreitet ist und als relativ liberal und tolerant gilt.

Die Gebetsrufer in den mehr als 5.000 Moscheen Tunesiens sind in der Regel Laien, die nur als Nebenjob gegen eine kleine Aufwandsentschädigung die Gläubigen zu den fünf täglichen Gebeten rufen. Eine Gesangsausbildung hat keiner von ihnen. „Der Gebetsruf transportiert eine Botschaft der Einheit Gottes, eine Lobpreisung des Propheten und einen Aufruf zur Arbeit. Aber wenn man morgens um vier eine schiefe Stimme hört, dann kommt diese Botschaft nicht an", sagt Mouhli.

Während der Text des muslimischen Gebetsrufes festgelegt ist, gibt es je nach Region unterschiedliche musikalische Interpretationen. Tunesische Radio- und Fernsehsender übertragen zu den Gebetszeiten oft Versionen aus der Türkei oder den Golfstaaten. Im Rachidia-Institut, dessen Auftrag es ist, die klassische tunesische Musik wie beispielsweise den andalusisch beeinflussten Malouf zu fördern, lege man Wert darauf, tunesische modale Tonleitern zu nutzen, sagt Mouhli. „Wenn man die hört, dann weiß man sofort, dass das tunesisch ist. Warum sollte der Gebetsruf nicht seine eigene tunesische Identität haben?"

Um seinen Schülern die schwierigen tunesischen Modi näherzubringen, hat Zghonda eine Leiter auf ein Blatt Papier gemalt. Darauf zeigt er seinen Schülern an, ob sie mit der Stimme hoch- oder heruntergehen müssen. Für den erfahrenen Lehrer ist der Muezzin-Kurs eine Herausforderung.

„Das ist viel schwieriger, als wenn ich Leute vor mir habe, die Noten lesen können und Tonleitern gelernt haben", stöhnt er. „Meine Teilnehmer hatten vor dem Kurs noch nie mit Musik zu tun." Gerade bei den älteren Muezzins habe er am Anfang Vorbehalte gespürt. Doch die Bedenken haben sich auf beiden Seiten schnell gelegt. „Wenn ich jetzt zum Gebet rufe, klingt das viel flüssiger und ist auch für die Gläubigen angenehmer anzuhören", sagt Abdelmounem Othmani - nicht ohne Stolz. (epd)

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