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Homosexueller in Tunesien: "Ich habe versucht, mich umzubringen"


Wie geht es jungen Homosexuellen in sicheren Herkunftsländern?

Sichere Herkunftsländer: Dazu sollen künftig auch Marokko, Algerien und Tunesien zählen. Die Bundesregierung will die drei Staaten als sicher einstufen ( SPIEGEL ONLINE). Die Behörden gehen in diesem Fall davon aus, dass den Menschen dort politisch keine Gefahr droht. Asylbewerber können dann schneller abgeschoben werden.


Lange haben Politiker und Menschenrechtler über diese Frage diskutiert, die Entscheidung ist bis heute umstritten. Denn diese Staaten seien keinesfalls für all ihre Bürger wirklich sicher, warnen Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International in ihren Berichten: Vor allem Homosexuelle würden in allen drei Ländern immer wieder ins Visier der Polizei geraten und regelmäßig zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.

Wir haben mit zwei Menschen gesprochen, die in diesen Ländern leben oder lebten. Sie sind homosexuell - und kennen die ewige Angst davor, das in der Heimat offen auszuleben.

Wir können ihre Geschichte nicht im Detail überprüfen - sie deckt sich aber mit dem, was Menschenrechtsorganisationen berichten.

Brahim, 28, aus Algerien

Seit April 2015 ist Brahim in Deutschland. Er floh aus Algerien, beantragte Asyl in Berlin. Er befinde sich auf Grund seiner Homosexualität in Lebensgefahr, gab er an. In Algerien steht auf "Verstoß gegen die guten Sitten" und "widernatürliche Handlungen mit Personen des gleichen Geschlechts" bis zu drei Jahre Haft und eine Geldstrafe. Nun wartet Brahim in einer Sammelunterkunft auf seinen Asylbescheid. Er erhofft sich von Deutschland, endlich ohne Angst vor Verfolgung sein Leben leben zu können.

So erzählt Brahim seine Geschichte:

In Algerien habe ich nach dem Studium als Sonderschullehrer für behinderte Kinder gearbeitet. Eines Tages war ich mit meinem Freund in einem Park unterwegs. Die Polizei überraschte uns, als wir uns gerade küssten. Sie wollten mich festnehmen und ins Gefängnis stecken. Mein Schwager schritt ein, er arbeitet auch bei der Polizei. Nur deswegen haben die mich und meinen Freund laufen gelassen. Doch noch am gleichen Tag rief mich meine Schwester an. Sie sagte: Ich solle bloß nicht mehr nach Hause kommen, sonst würde mein Vater mich umbringen. Ich hätte Schande über die Familie gebracht. So geht man in Algerien mit Homosexualität um.

Ich habe meine Familie seit diesem Tag nicht mehr gesehen.

Ich floh nach Oran, eine Großstadt einige hundert Kilometer entfernt, wo mich keiner kennt. Ich versteckte mich mit anderen Schwulen und flüchtete von dort aus nach Deutschland. Ich hatte schon vor meiner Flucht über das Internet Kontakt zu einem Aktivisten in Berlin. Der nahm mich auf und half mir, den Asylantrag zu stellen. So bin ich hierher gekommen.

Die Behörden in Berlin haben mich ganz genau befragt, was mir passiert ist und warum ich geflohen bin. Ich erzählte alles. Jetzt warte ich auf meinen Bescheid. Ich habe Angst, dass mein Asylantrag abgelehnt wird, denn ich kann nicht zurück. Mein Vater hat mich als vermisst gemeldet und in Algerien wird deshalb nach mir gefahndet.

Auch wenn die Polizei mich damals hat laufen lassen: Dass ich schwul bin, steht nun in den Akten. Deswegen könnte ich in Algerien keine Wohnung mehr mieten, keine Arbeit annehmen, gar nichts machen. Ich kann dort nicht mehr leben.


Jihed, 22, aus Tunesien

Jihed ist einer von sechs jungen Männern, die im Herbst in einem privaten Studentenwohnheim in der tunesischen Stadt Kairouan festgenommen wurden. Er und seine Freunde wurden wegen Homosexualität zu drei Jahren Haft verurteilt und für fünf weitere Jahre aus der Stadt verbannt.

Das Gesetz, das Homosexualität in Tunesien unter Strafe stellt, stammt aus dem Jahr 1913. Die Anwältin der Studenten hat Berufung gegen das Urteil eingelegt. Unter anderem seien die Angeklagten von der Polizei unter Druck gesetzt worden, einer Rektaluntersuchung zuzustimmen, obwohl sie dazu rechtlich nicht verpflichtet seien. Nach Zahlung einer Kaution sind die jungen Männer nun wieder auf freiem Fuß. Am 25. Februar müssen sie jedoch erneut vor den Richter. Wie die Polizei auf die Spur der Studenten kam, wissen die jungen Männer und ihre Anwältin nicht mit Sicherheit.

So erzählt Jihed seine Geschichte:

Eines Abends kam die Polizei ins Wohnheim, wir waren zu sechst. Wir sind schwul, aber nur befreundet. Zwischen uns lief nichts. Sie haben erst nach Drogen und Hinweisen auf terroristische Aktivitäten gesucht, aber nichts gefunden. Dann haben sie auf dem Laptop von einem von uns einen schwulen Porno entdeckt und uns alle mitgenommen.

Wir wurden zum Gerichtsmediziner gebracht, der eine Rektaluntersuchung durchgeführt hat, um festzustellen, ob wir Analverkehr praktizieren. Deswegen wurden wir auch verurteilt. Wir wurden in eine Zelle mit mehr als 190 Insassen gesperrt. Wir wollten so tun, als seien wir wegen Drogenkonsums verurteilt worden, aber als wir ankamen, wussten alle anderen Insassen schon über unser Schwulsein Bescheid. Sie haben geradezu auf uns gewartet.


Wir wurden jeden Tag belästigt und gedemütigt. Wochenlang haben wir auf dem blanken Steinboden geschlafen. Ich glaube, das waren die schlimmsten Wochen meines Lebens. Im Moment sind wir wieder auf freiem Fuß, weil unsere Anwältin Berufung eingelegt hat. Doch mittlerweile hat meine Familie von der Geschichte erfahren - und dadurch auch, dass ich schwul bin.

Zu ihnen oder an die Uni kann ich nicht mehr zurück. Alle wissen Bescheid, ich habe Drohnachrichten bekommen. Ich würde gern die Uni wechseln, aber das wurde abgelehnt. Dabei wäre ich im nächsten Jahr mit dem Studium fertig geworden und hätte arbeiten können. Ich habe versucht, mich umzubringen. Ich sehe nicht mehr klar und kann mir keine Zukunft mehr vorstellen. Hier in Tunesien kann ich nicht mehr leben. Meine Anwältin will versuchen, mir zu helfen, dass ich nach Europa ausreisen kann.


Wie geht es jetzt weiter?

In Tunis versucht ein Netzwerk aus Unterstützern, die Betroffenen juristisch und psychologisch zu betreuen. Auch in den anderen Ländern nehmen sich verschiedene Menschenrechtsorganisationen in den vergangenen Jahren vermehrt dem Thema an. Doch der Weg zu einer Legalisierung der Homosexualität - und damit zu einem angstfreien Leben in denen für sicher erklärten Ländern - ist noch weit.

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