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Warum finden wir uns auf alten Fotos auf einmal doch schön?

Auf alten Fotos finden wir uns im Nachhinein oft attraktiver als zur Zeit der Aufnahme. Wieso? Foto: sarandy westfall/Unsplash

Damals „na ja", heute „oh ja"? Wie wir unser Aussehen auf Bildern bewerten, hängt von vielen Faktoren ab. Ein Psychologe erklärt, welche das sind und was der sogenannte Mere-Exposure-Effekt damit zu tun hat.


Im Hintergrund eine italienische Stadt, davor sitzen zwei sehr junge Frauen auf einer Steinmauer. Eine davon bin ich. Etwas schüchtern lächele ich gen Kamera, die Augen verdeckt eine große Sonnenbrille. Meine Haut ist zwar hell, aber straff und die Figur schlank. Es ist ein schönes Bild von mir, das zehn Jahre alte Foto. Damals empfand ich es zwar als netten Schnappschuss - mich darauf allerdings zu blass und zu dick.

Gespräche mit Kolleginnen und Freunden zeigen: So geht es offenbar nicht nur mir. Viele Menschen finden sich auf Fotos schöner, wenn sie sie einige Jahre später wieder aus der Schublade hervorkramen oder in der Cloud wiederfinden. Woran liegt das?


Ideale verändern sich

Das erste Stichwort, das der Sozialpsychologe Phillip Ozimek nennt, heißt Selbstwahrnehmung. Wie sehe ich mich? Wie bin ich tatsächlich? Und wie möchte ich idealerweise aussehen? Diese Fragen spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle. Der Clou, die Antworten darauf variieren im Laufe des Lebens eines Menschen. Und: „Der Vergleichsstandard ändert sich über die Jahre“, erklärt Ozimek, der an der Fernuni Hagen in der Fakultät Psychologie als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist.


Einerseits wandelt sich, was man selbst schön findet. War im Alter von sechzehn Jahren noch Kleidergröße 34 das Ziel, findet dieselbe Person ein paar Jahre später vielleicht einen kurvigen Körper schöner. Störte einen als Teenager das kleine Muttermal links auf der Wange, sehnt man sich als Erwachsene zurück nach der beinahe makellosen Haut. Zusätzlich ändert sich mit der Zeit, welches Aussehen und welche Körperformen – aus Sicht der Gesellschaft – als besonders attraktiv gelten.


„Außerdem vergleicht man die Person auf dem Bild mit der Person, die man jetzt ist. Und natürlich ist man auf dem Bild jünger als jetzt“, sagt Sozialpsychologe Ozimek. Das manchmal ganz schön zerknittert dreinblickende Gesicht, das einem jeden Morgen aus dem Spiegel entgegenblickt, ist auf dem alten Foto noch ganz glatt. Die Falten von heute zerfurchten damals noch nicht die Haut. Im Vergleich zu jetzt schneidet die zehn Jahre jüngere Version von einem selbst besser ab, sieht attraktiver aus.


Was ist der Mere-Exposure-Effekt?

Was auch noch eine Rolle spielt: Unser jüngeres Ich haben wir schon häufiger auf Bildern gesehen und uns daran gewöhnt. „Wir bauen eine Art Vertrautheit mit dem Foto auf“, sagt Ozimek. Hier setzt der Mere-Exposure-Effekt ein. Dieser besagt, dass Menschen Dinge positiver bewerten, die sie schon häufiger wahrgenommen haben. Der Mere-Exposure-Effekt ist ein Grund dafür, warum Instagram immer wieder die gleichen Werbeanzeigen im Feed zeigt. Und er erklärt auch, warum Menschen ein Lied, das oft genug aus dem Radio dudelte, irgendwann gern hören.


Eine Einschränkung gibt es aber. „Wir müssen den Reiz beim ersten Kontakt als neutral oder positiv wahrnehmen. Über ein Foto, das wir von Anfang an schrecklich finden, ändern wir unsere Meinung nicht mehr“, erklärt der Sozialpsychologe. Außerdem warnt er vor dem Einfluss der in den sozialen Netzwerken beliebten Filter. Durch bearbeitete Fotos könnten Menschen „eine ganz verzerrte Wahrnehmung davon haben, wie sie selbst und andere aussehen“. Solchen Idealen nachzueifern oder nachzutrauern kann unzufrieden und unglücklich machen.


Warum wir uns auf Selfies oft nicht mögen

Mit dem Mere-Exposure-Effekt lässt sich noch etwas anderes erklären. Nämlich, warum bei 53 Selfies manchmal keines dabei ist, das einem gefällt – obwohl wir unser Aussehen beim Blick in den Spiegel heute und auch an anderen Tagen als ganz passabel bewerten. Ob beim Händewaschen oder Zähneputzen: Im Spiegel betrachten wir uns mehrmals am Tag selbst. Dieser Anblick ist uns sehr vertraut. Eine Kamera zeichnet das eigene Gesicht dagegen so auf, wie andere es sehen und nicht in unserer gewohnten, spiegelverkehrten Ansicht. Deshalb sind manche Menschen regelrecht schockiert, wie anders sie – ihrer Meinung nach – auf Bildern ausschauen.


Die Kamera-App auf dem Smartphone verstärkt dieses Problem noch. Wer auf einem iPhone den Selfiemodus einschaltet, betrachtet sich auf dem Bildschirm wie im Spiegel – das ist auch bei vielen Android-Geräten der Fall. Das iPhone speichert das Foto allerdings nicht so ab, wie man sich selbst auf dem Screen gesehen hat, sondern ohne Spiegelung. Was auf dem Bildschirm erst noch gut aussah, lässt einen beim Blick in die Foto-App erschaudern.


Der Blick der anderen auf uns

Das Entspiegeln passiert aber nicht, um die Besitzerinnen und Besitzer des Smartphones zu ärgern. Denn: Andere Menschen wiederum sehen uns so gut wie nie im Spiegel. Deshalb finden sie das Selfie ohne Spiegeleffekt hübsch, das man selbst als scheußlich bewertet.


Das heißt: Wenn Freundinnen oder Eltern ein aktuelles Foto als schön bezeichnen, das wir selbst gar nicht mögen, muss kein gutes Zureden oder Wohlwollen dahinterstecken. Die anderen sehen uns einfach öfter, sind an den Anblick gewöhnt – und bewerten ihn offenbar grundsätzlich als positiv.

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