Seit Jahren stelle ich mir vor, wie ich im weißen Spitzenkleid gen Altar schreite. Mein Vater führt mich vorbei an Verwandten und Freunden. Einige heulen ein bisschen, weil sie so ergriffen sind. Mein Freund und ich tauschen Ringe. Alle klatschen. Danach gibt es italienisches Essen, Cocktails und - ganz wichtig - eine Candybar. Ich weiß genau, wie ich heiraten würde. Ich weiß nur nicht, warum ich das in naher Zukunft tun sollte.
Dabei finde ich Hochzeitsfeiern super. Bei der Ehe denke ich aber nicht nur an Liebe. Denn über Jahrhunderte hinweg spielten diese und Gleichberechtigung dabei schließlich gar keine Rolle. Noch bis zum Jahr 1958 konnte der Mann laut Gesetz in Eheangelegenheiten alleine entscheiden.
Auch wenn meine Großmütter einen Beruf hatten und zeitweise ausübten: Die meiste Zeit ihres Lebens verbrachten sie damit, Kinder und Mann zu betüddeln. Und auch meine Mutter wurde im Dorf sogar noch schief angeschaut, weil sie Vollzeit arbeitete und dreimal heiratete. Von einer Ehefrau auf dem Land wurde noch in den Neunzigern erwartet, dass sie neben ihrem Teilzeitjob für Kind und Ehemann Abendessen kocht.
Ich weiß, das ist klischeehaft. Aber so habe ich die Ehe nun mal erlebt: in klassischen Geschlechterrollen. Ich finde den Gedanken gruselig, das Leben der Eltern meiner Freunde zu wiederholen: heiraten, Kinder kriegen, Haus bauen, Haus abbezahlen und glücklich sterben. Hoffentlich.
Mit dem anderen Extrem, der Generation Y, die laut Buchautor Michael Nast angeblich beziehungsunfähig ist, identifiziere ich mich aber auch nicht. Mein Freund und ich haben uns in Prä-Tinder-Zeiten kennengelernt. Wir sind seit fünfeinhalb Jahren zusammen. Bis vor Kurzem haben wir für ein halbes Jahr zusammen gewohnt - und es dann wieder gelassen. Er wäre gern noch geblieben, ich wollte zurück nach Hannover. Denn unser Leben in der Provinzstadt war ein doofer Kompromiss. Wir pendelten beide zur Arbeit oder Uni und fielen abends erschöpft aufs Sofa. Wir lebten wie das sprichwörtliche alte Ehepaar. Das wollte und will ich aber nie.
Ich weiß natürlich, dass man als Ehepaar nicht auf einmal zu Spießern mutiert. Und dass ich nach der Hochzeitsnacht nicht an den Herd gefesselt werde. Meine Gefühle sind da ambivalent. Ich mag den Gedanken, der hinter der Ehe steht. Wer heiratet, hat sich für diese eine, ganz besondere Person entschieden. Man übernimmt Verantwortung füreinander. Für immer. Das ist wirklich romantisch. Es macht mir aber auch Angst.
Menschen verändern sich
Denn niemand kann garantieren, dass mein Freund und ich uns in zehn Jahren noch verstehen. Das sagt auch die Statistik: Mehr als jede dritte Ehe wurde im Jahr 2015 laut dem Statistischen Bundesamt geschieden, nach durchschnittlich 15 Jahren. Denn Menschen verändern sich nun einmal. Daran ändert ein Trauschein nichts.
So eine weitreichende Entscheidung zu treffen, ist mit Anfang 20 zu viel für mich. Ich weiß immer nur, was ich nicht will. So wie unsere Beziehung gerade ist, fühlt es sich richtig an - abgesehen davon, dass wir nicht mehr zusammen wohnen. Aber Abstriche muss man immer machen. Vielleicht lerne ich im Laufe der Jahre, dass das auch für das Heiraten gilt. Solange halte ich es mit „21, 22, 23" von AnnenMayKantereit: „Du bist 21, 22, 23 - und du kannst noch gar nicht wissen, was du willst."
Zum Original