âZwischenmenschliche Beziehungen wirken immer anti-suizidalâ
Manchmal sind Menschen so verzweifelt, dass sie sich selbst töten. Wie man erkennt, ob eine Person suizidgefÀhrdet ist und wie man ihr konkret helfen kann, erklÀrt Kerstin HÀusler, Leiterin der Telefonseelsorge Hannover.
Frau HÀusler, bitte erklÀren Sie: Was ist SuizidalitÀt?
Wenn jemand suizidal ist, hat die Person Gedanken, PlĂ€ne oder konkrete Absichten, sich selbst zu töten. In der Regel handelt es sich dabei nicht um eine Ăbersprungshandlung, sondern um einen Prozess. Betroffene fĂŒhlen sich schon lĂ€nger verzweifelt, kraftlos und hoffnungslos. Irgendwann sind diese Menschen wie in einem Tunnel gefangen und der Suizid erscheint ihnen eine Lösung zu sein, um Ruhe zu finden. Sie möchten nur noch, dass alles vorbei ist, was sie belastet und so quĂ€lt.
Das klingt sehr final, dieses Bild mit dem Tunnel. Ist es trotzdem möglich, jemanden zu helfen, der so tief in einer Krise steckt?
Ja, das ist tatsĂ€chlich möglich. Auch jemand, ĂŒber den eigenen Suizid nachdenkt, ist in der Regel immer noch ambivalent in seinen GefĂŒhlen. Das kann man sich so vorstellen: Eine Stimme im Kopf dieses Menschen Ă€uĂert den Wunsch, nicht leben zu wollen oder nicht mehr so weiterzuleben. Aber es gibt auch eine zweite Stimme, die immer noch den Wunsch nach Linderung und Hilfe hat.
Genau deshalb ist es so wichtig, Menschen in einer akuten suizidalen Phase zu unterstĂŒtzen, indem man mit ihnen spricht. Wenn Personen Andeutungen machen, sich selbst töten zu wollen, ist es wichtig, konkret nachzufragen: âDas klingt, als wĂŒrdest du darĂŒber nachdenken, dir das Leben zu nehmen. Stimmt das?â Oder: âIch mache mir Sorgen um dich. Du bist mir wichtig und ich möchte fĂŒr dich da sein. Lassâ uns gemeinsam ĂŒberlegen, wie wir dir helfen können.â Solche SĂ€tze sind ein erster Schritt gegen die Einsamkeit.
Inwieweit spielt Einsamkeit bei SuizidalitÀt eine Rolle?
Denken Sie noch einmal an den Tunnel. Suizidale Menschen haben oft das GefĂŒhl, sie seien ganz allein, total abgekapselt von der Welt. Niemand könne richtig fĂŒr sie da sein. Zwischenmenschliche Beziehungen wirken immer anti-suizidal. Es hilft auĂerdem ungemein, wenn man im GesprĂ€ch mit einer suizidalen Person zwar empathisch, aber möglichst gelassen bleibt, und sagt: âWir können dieses Thema besprechenâ. Denn gerade am Anfang sind ihre Suizidgedanken auch fĂŒr die Betroffenen selbst noch erschreckend.
Schwierige Phasen haben alle mal in ihrem Leben. Woran erkenne ich, dass jemand aus meinem Familien- oder Freund*innenkreis suizidal ist?
Suizidale Menschen senden normalerweise Signale aus. Es können Warnzeichen sein, wenn sich jemand zurĂŒckzieht, verzweifelt und hoffnungslos wirkt. Da wĂŒrde ich hellhörig werden. Und natĂŒrlich, sobald jemand konkret selbst gefĂ€hrdend handelt. Zum Beispiel, wenn ich mitbekomme, dass jemand Tabletten sammelt, plötzlich gefĂ€hrliche Orte aufsucht oder sich viel risikobereiter als sonst verhĂ€lt. Andeutungen sollte man ernst nehmen und als Hilferuf verstehen. Das können SĂ€tze sein wie: âEs wĂ€re doch besser fĂŒr die anderen, wenn ich nicht mehr da wĂ€re.â Oder: âIch bin fĂŒr euch nur noch eine Last.â
Wenn ich so etwas höre, wĂŒrde ich unbedingt nachfragen. Manche Leute haben Angst, jemanden erst auf die Idee zu bringen, wenn sie mit der Person ĂŒber das Thema Suizid reden. Aber das stimmt nicht. Diese Sorge ist unbegrĂŒndet.
Wie kann man konkret helfen?
Das Wichtigste ist es, miteinander zu sprechen. Man sollte darauf hinweisen, dass es Hilfe gibt und man die suizidale Person unterstĂŒtzen, dass man fĂŒr sie da sein möchte. Man kann auch anbieten, einen Termin beim Arzt auszumachen und gemeinsam hinzugehen.
Um selbst die Situation besser einschĂ€tzen zu können, kann man nachfragen, wie konkret es schon ist. Hat das GegenĂŒber vage Suizidgedanken? Oder hat jemand konkrete SuizidplĂ€ne oder schon einen Versuch unternommen? Wenn es gerade so konkret ist, sollte man definitiv professionelle Hilfe in Anspruch nehmen: etwa durch eine Psychiatrie, durch einen Anruf beim sozialpsychiatrischen Dienst oder im akuten Notfall beim Rettungsdienst.
Und wenn die Person nicht will, dass man beim sozialpsychiatrischen Dienst oder beim Rettungsdienst anruft?
Das ist eine schwierige Situation. Denn die betroffene Person fĂŒhlt sich natĂŒrlich ohnmĂ€chtig, wenn man gegen ihren Willen handelt. Keine Frage ist es fĂŒr mich bei Kindern und Jugendlichen. Wenn es akut ist, rufe ich den Rettungsdienst und informiere die Eltern. Bei Erwachsenen kann man versuchen, Zeit zu gewinnen und zum Beispiel bitten: âKannst du mir versprechen, dass du dir zumindest bis Morgen mit der Entscheidung Zeit lĂ€sst?â Suizidale Krisen dauern nĂ€mlich oft nicht lĂ€nger als 24 Stunden. Aber es ist ebenso möglich, zu sagen: âIch sehe, dass du nicht willst, dass ich jemanden anrufe. Aber ich werde jetzt trotzdem einen Arzt benachrichtigen, weil ich nicht damit leben könnte, wenn dir jetzt etwas passiert oder wenn du dir etwas antust. Ich mache mir solche Sorgen.â Es gibt leider keine konkrete Anleitung fĂŒr solche Momente. Man muss ausprobieren, was sich im gemeinsamen GesprĂ€ch erreichen lĂ€sst.
Was macht man, wenn der oder die Betroffene abweisend und wĂŒtend auf Hilfsangebote reagiert â offenbar aber Hilfe nötig zu sein scheint?
Eine Möglichkeit ist es, den sozialpsychiatrischen Dienst anzurufen, um sich eine EinschĂ€tzung geben zu lassen und die Verantwortung zu teilen. Das klingt jetzt vielleicht etwas verrĂŒckt, aber manchmal dringt man zu suizidalen Menschen auch damit durch, wenn man klar ausspricht: Suizid ist nicht die Lösung, sondern endgĂŒltig. Das konkrete Benennen von Handlungen ist auch wichtig, um wachzurĂŒtteln. Also: âIch habe Angst, dass du dich tötestâ, statt âIch habe Angst, dass du nicht mehr da bist.â
Wie sorgen Helfer*innen in so einer belastenden Situation fĂŒr sich selbst?
Wenn ich mir Sorgen mache um eine suizidgefĂ€hrdete Person, sollte ich auch fĂŒr mich selbst UnterstĂŒtzung suchen. Das können Freundinnen, Freunde, die Familie oder auch die Telefonseelsorge sein. Manchmal geraten Menschen, die man gernhat, immer wieder in suizidale Krisen, zum Beispiel aufgrund einer psychischen Erkrankung wie Depressionen. Man macht sich dann ĂŒber einen lĂ€ngeren Zeitraum Sorgen â mal mehr, mal weniger. In solchen FĂ€llen ist es besonders wichtig, den Blick weit zu halten. Es sollte Bereiche im eigenen Leben geben, die einem gut tun und Energie geben, wie Hobbys oder Treffen mit Freundinnen und Freunden.
AuĂerdem sollte man sich seiner Rolle und seinen Grenzen bewusst sein. Es gilt, sich nicht zu ĂŒberschĂ€tzen. Ich kann Hilfe anbieten und unterstĂŒtzen. Aber ich kann eine andere Person nicht vom Suizid abhalten, wenn sie keine Hilfe annimmt.