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Klimapositiver Zug filtert CO2 aus der Luft

Von Lukas Wieselberg und Sarah Marie Piskur


Um die Klimaerwärmung zu bekämpfen, braucht es auch neue Technologien, die klimaneutral funktionieren oder der Atmosphäre sogar Treibhausgase entziehen. Fachleute haben nun zwei innovative Beispiele vorgestellt: ein Eisenbahnwaggon, der Kohlendioxid aus der Luft filtert und Energie aus den Bremsen gewinnt, und Flugzeugkerosin, das mit Sonnenenergie hergestellt wird.

Ersteres existiert freilich bisher nur auf dem Papier, der Bau der Eisenbahnwaggons soll im nächsten Jahr beginnen. Zweiteres gibt es bereits - eine Testanlage zur Herstellung von klimaneutralem Kerosin in Spanien zeigt erste, vielversprechende Resultate.

CO2 aus der Luft filtern

Die aktuellen Hitzewellen führen die Dringlichkeit von Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung besonders deutlich vor Augen. Im Energiesektor werden herkömmliche Technologien, Einsparungen und Effizienzsteigerungen nicht ausreichen, sind sich Fachleute sicher. Rund um die Welt arbeiten viele von ihnen deshalb an neuen Methoden. Ein Zauberwort dabei ist „Direct Air Capture" und meint Verfahren, die Kohlendioxid - das wichtigste Treibhausgas - aus der Luft filtern.

Derartige Anlagen existieren bereits, die Firma Climeworks etwa filtert in der Schweiz CO2 aus der Luft und speichert es in unterirdischem Gestein auf Island. Nachteil: Für den Filterprozess sind riesige Ventilatoren nötig, die Luft in den Filterapparat strömen lassen - das braucht viel Energie und macht den Einsatz teuer.

Ganz von selbst könnte das mit den nun vorgestellten speziellen Eisenbahnwaggons funktionieren. Sie sollen an regulär fahrende Züge angehängt werden und die Luftströmung während der Fahrt nutzen. Der Fahrtwind strömt in das Innere der Waggons, wo das CO2 durch einen chemischen Prozess abgeschieden und CO2-freie Luft wieder ausgestoßen wird. Sobald der Waggon eine bestimmte Menge an CO2 gesammelt hat, wird es konzentriert, in flüssiger Form in einem Behälter gesammelt und kann dann als Rohstoff genutzt oder gespeichert werden.

Bremsen sollen Energie liefern

Die Technologie habe aber noch einen zweiten Vorteil, berichtet ein Team um den Chemiker Geoffrey Ozin von der Universität Toronto in der Fachzeitschrift „Joule". Die Energie für den chemischen Filterprozess soll aus der Bewegung des Eisenbahnzugs selbst stammen - konkret aus den Bremsvorgängen. Zwar sei das Prinzip von Nutzbremsen oder regenerativen Bremsen, also die Umwandlung von Bewegungsenergie in elektrische Energie, lange bekannt, sein Potenzial aber noch lange nicht ausgeschöpft. „Das ist verschwendete Energie", sagt Eric Bachman, Studien-Erstautor und CEO der CO2Rail Company in Texas. „Jedes vollständige Bremsmanöver erzeugt genug Energie, um 20 durchschnittliche Haushalte einen Tag lang mit Energie zu versorgen."

Sein Unternehmen möchte nächstes Jahr erste „Anti-CO2-Züge" bauen. Die an heutige Tankwaggons erinnernden Wagen könnten an vorhandene Züge angedockt werden, die bestehende Bahninfrastruktur sei ideal, um einen Beitrag zur Erreichung der Pariser Klimaziele zu leisten. „Man müsste nur nutzen, was schon existiert", sagt der Chemiker Geoffrey Ozin. Bis zu 3.000 Tonnen CO2 könnte jeder durchschnittliche Frachtzug der Atmosphäre pro Jahr auf diese Weise entziehen - bei den Millionen Zugfahrten weltweit pro Tag kommt man schnell in den Gigatonnenbereich. Wegen der selbst und nachhaltig erzeugten Energie seien die Kosten moderat: Die Fachleute haben 50 US-Dollar pro Tonne errechnet, andere Direct-Air-Capture-Technologien würden mit mehreren hundert Dollar rechnen.

Zweite Technologie: Umweltfreundliches Kerosin

In einer zweiten, ebenfalls im Fachmagazin „Joule" erschienenen, Studie beschreiben Schweizer Wissenschaftler ein Experiment, bei dem sie mit Hilfe von Wasser, Sonnenlicht und CO2 umweltfreundliches Kerosin herstellten. Möglich ist das durch einen Solar-Reaktor-Turm, den das Team rund um den Ingenieur Stefan Zoller von der ETH Zürich in Kooperation mit dem spanischen Energieforschungszentrum IMDEA in Madrid baute.

Insgesamt 169 bewegliche Spiegel um einen zentralen Solarturm reflektieren die spanische Sonne und konzentrieren die Einstrahlung auf ein Loch mit 16 Zentimeter Durchmesser. Dahinter befindet sich eine Reaktorkammer, die mit Cerium - einer Seltenen Erde - ausgekleidet ist. Das Cerium reagiert in der Kammer mit Wasser und CO2. Dadurch entsteht ein Synthesegas, das ein Modul an der Basis des Turmes in Kerosin umwandelt. Besonders umweltfreundlich ist der Prozess nach Angaben der Forscher, wenn das benötigte CO2 vorab aus der Luft gebunden wird.

Das gewonnene Kerosin sei für die bestehende Luftfahrtindustrie geeignet, das Verfahren aber aktuell noch nicht effizient genug. Mit dem derzeitigen Aufbau wandelt der Turm nur etwa vier Prozent der Sonnenenergie in Kerosin um. Für die Forscher ist das zu wenig - sie wollen in weiteren Schritten bis zu 15 Prozent Energie-Effizienz erreichen.

Alternativen zu Rohöl und Biokerosin

Obwohl ein kommerzieller Einsatz noch nicht möglich ist, sieht Koautor und Ingenieur Aldo Steinfeld von der ETH Zürich das Potenzial für eine „saubere" Luftfahrt: „Die CO2-Menge, die während eines Flugs ausgestoßen wird, ist die gleiche, mit der wir im Solarreaktor Kerosin herstellen", erklärt der Schweizer. „Das macht den Treibstoff CO2-neutral. Vor allem wenn wir CO2 benutzen, das direkt aus der Luft gewonnen wird."

Das „grüne Kerosin" aus der Schweiz fügt sich ein in eine Reihe ähnlicher Projekte, die weltweit verfolgt werden. Im deutschen Emsland etwa wird CO2-neutrales Kerosin mit Hilfe von Windenergie erzeugt. In Graz baut der Technologiekonzern AVL eine Anlage, die synthetische Kraftstoffe herstellen soll. Die Produktion der auch in der Luftfahrt verwendbaren, klimaneutralen Treibstoffe soll nächstes Jahr starten.

Eine weitere Alternative ist Kerosin, das auf Biomasse basiert, etwa auf Altspeiseöl. Die Austrian Airlines fliegen seit März 2022 teilweise mit dem umweltfreundlichen Kraftstoff. Eine komplette Umstellung sei derzeit noch nicht möglich. Denn Biokerosin ist aufgrund der geringen Nachfrage drei- bis fünf Mal so teuer wie herkömmliches Kerosin.

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