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Herpes kam erst, als Menschen das Küssen lernten

Fieberblasen an den Lippen sind schmerzhaft und werden durch das am weitesten verbreitete Virus hervorgerufen - das Humane Herpesvirus. Etwa zwei Drittel der Menschheit trägt das Virus laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in sich. Bisher vermuteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass sich das Herpesvirus parallel zum Menschen entwickelt und mit der Besiedelung der Welt ausgebreitet hat. Eine aktuelle Untersuchung an der Universität Cambridge zeigt nun, dass die weltweite Verbreitung wahrscheinlich erst mit Beginn der Bronzezeit startete.

Zu dieser Zeit kamen viele Menschen von der Eurasischen Steppe nach Europa. Mit ihnen hielten neue kulturelle Praktiken Einzug, zu denen auch romantisches Küssen zählt. Damit eröffnete sich für das Virus eine neue Möglichkeit der Verbreitung, denn zuvor wurde Herpes vorrangig von Müttern auf ihre Neugeborenen übertragen.

Virus-Gene in Zähnen gefunden

Das Team um Charlotte Houldcroft vom Department für Genetik an der Universität Cambridge analysierte die DNA von rund 3.000 archäologischen Funden. In vier Genomen aus Zahnwurzeln entdeckten sie Hinweise auf eine Infektion mit dem Herpesvirus. Der älteste Nachweis stammt von einem Mann, der vor 1.500 Jahren im russischen Uralgebirge lebte.

Durch eine Sequenzierung der Genome und einem Vergleich zu Proben aus dem 20. Jahrhundert habe man eine Mutationsrate und die Evolution des Virus abschätzen können. „Gesichtsherpes versteckt sich lebenslang in seinem Wirt und wird nur durch oralen Kontakt übertragen, so dass Mutationen langsam über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg auftreten", so Houldcroft. Jede Primatenart habe eine Form von Herpes, erklärt Christiana Scheib, ebenfalls von der University of Cambridge. Deshalb gehe man davon aus, dass auch Menschen das Virus in sich trugen, seit sie Afrika verlassen haben. Das Küssen könnte später aber zu einer Verbreitung des oralen Herpes beigetragen haben.

Seit der Bronzezeit

Die früheste bekannte Überlieferung des Küssens ist nach Angaben des Forscherteams ein Manuskript aus der Bronzezeit in Südasien. Der Brauch sei in der menschlichen Kultur bei weitem nicht universell. Auch heutzutage ist der romantische Kuss nicht in allen Teilen der Welt verbreitet. Eine Studie des Kinsey Instituts an der Indiana University kam 2015 zu dem Ergebnis, dass es nur in 46 Prozent der 168 untersuchten Kulturen erfolgt. Insbesondere im Mittleren Osten, in Nordamerika und Europa werden demnach viele Küsse verteilt. Bei afrikanischen Kulturen südlich der Sahara, auf Neuguinea oder in Zentralamerika spiele der mit Liebe und Sexualität verbundene Kuss eher keine Rolle.

Erkenntnis für Virenentwicklung

Solche Funde können laut den Forschenden wesentliche Aufschlüsse darüber geben, wie Viren entstehen und sich entwickeln. Auch für das Verständnis der aktuellen Pandemie seien diese Erkenntnisse wichtig: „Die Welt hat zugesehen, wie rasch das Coronavirus über Wochen und Monate mutiert ist. Ein Virus wie Herpes entwickelt sich in einem viel größeren Zeitrahmen", so Houldcroft.

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