Sandra Weber

Freie Journalistin, Stuttgart/Mexiko-Stadt

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Deutsche in Mexiko - Wanderer zwischen zwei Welten

Gerade an Weihnachten sehnen sich manche deutsche Expats nach Glühwein, Schnee und Lebkuchen - dabei werden die typischen Weihnachtsmärkte wie der Nürnberger Christkindlesmarkt gar nicht mal so sehr vermisst. Foto: Tourismus Nürnberg

Weihnachten naht, auch in Mexiko. Doch statt sich mit warmen Glühwein an Weihnachtsmartkständen im Schnee aufzuwärmen, lauscht man in Mexiko den Klängen zu „Jingle Bells“ in der Sonne oder gar am Strand unter Palmen. Gerade an Weihnachten kommt bei vielen in Mexiko lebenden Deutschen Heimweh auf. Aber was ist Heimweh eigentlich?

Von Sandra Weber

Weihnachten in Mexiko ist so anders. Das Bild eines Weihnachtsmannes in einer Kutsche unter Sonne und Palmen will nicht so recht in unsere Vorstellung von Weihnachten passen. Bei vielen deutschen Expats kommen gerade jetzt wieder Erinnerungen ans ferne Deutschland hoch – an Lebkuchen, Weihnachtsplätzchen, den Duft von Tannennadeln und „Stille Nacht, heilige Nacht“ im Schnee. An deutsche Traditionen und Gerüche, die es in Mexiko so nicht gibt.

Mit den Erinnerungen kommt die Sehnsucht und mit der Sehnsucht kommt das Heimweh. Nicht bei allen, aber bei vielen in Mexiko lebenden Deutschen. In einer Online-Umfrage in der Facebook-Gruppe „Deutsche in Mexiko“ zum Thema „Heimweh“ gaben überraschend viele Befragte an, nie oder sehr selten Heimweh zu haben. Und wenn, dann vor allem in der Weihnachtszeit.

Norma R. beispielsweise vermisst die für Weihnachten in Deutschland typischen Düfte und „nach der Kälte in die warme Stube zu kommen“. Eva S. äußert sich ähnlich: „Gerade um Weihnachten fehlen mir die Gerüche und Leckereien oder an meinem Geburtstag ein Zwetschgendatschi.“ Oder auch Ingrid E.: „Ich hatte früher Heimweh an bestimmten Tagen: An Familienfeiern zuhause (alle da außer mir), wie Hochzeiten, Geburten etc. und grundsätzlich an Weihnachten. Ich finde nach wie vor Weihnachten in Mexiko schrecklich.“

Ob Weihnachten traditionell in Kälte und Schnee oder in der Sonne zu verbringen, da scheiden sich die Geister – Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Während Ingrid E. Sonne, Meer und Palmen an Weihnachten „doof“ findet, ist für Cathrin K. Weihnachten in der Karibik „der Traum ihrer Träume“, und weiter: „mit Weihnachtsmärkten habe ich es nicht so. Da wird man durchgeschoben, von Glühwein bekomm´ ich Zahnschmerzen und diese Märkte stinken nach Frittierfett.“

Auch der Kaffee mit einer Freundin im Lieblingscafé, die Fahrradfahrt durch die Altstadt oder der Duft nach Korn und Wald wird vermisst.

Heimweh - eine "krankmachende Nostalgie"

Wikipedia definiert Heimweh als „Sehnsucht in der Fremde, wieder in der Heimat zu sein“. Drastischer noch drückte es der Schweizer Arzt Johannes Hofer aus, der im 17. Jahrhundert die Nostalgia als Krankheitsbild bezeichnete, als eine durch “unbefriedigte Sehnsucht nach der Heimat begründete Melancholie, welche eine bedeutende Zerrüttung der körperlichen Gesundheit, Entkräftung, Abzehrung, Fieber oder sogar den Tod zur Folge hat.“

Als derart traumatisch empfinden die deutschen Expats in Mexiko das Heimweh aber nicht. Vielmehr manifestiert es sich bei den meisten als ein Vermissen der Familie und der besten Freunde, die eben nicht gerade ums Eck, sondern Luftlinie 9.447,11 Kilometer entfernt leben und älter werden. Da schwingt auch die Sorge um die Lieben mit, die Angst, es könne ihnen etwas Schlimmes geschehen und man könne nicht dabei sein, nicht helfen.

„Meine beste Freundin wurde mit Krebs diagnostiziert und dann 10.000 Kilometer weit weg zu sein war schrecklich“, so Norma R. Ähnlich Unschönes hat auch Kathrin S. erlebt, die sich bei Reisen nach Deutschland wie eine „Zeitreisende“ vorkam: „Der Ort war der Gleiche, aber die Leute waren alle älter. Es belastet dann irgendwie sehr und besonders dann, wenn geliebte Menschen für immer gehen.“

Nicht ganz deutsch, nicht ganz mexikanisch

Auch das Gefühl des „Gespaltenseins“ kann belasten, das Gefühl „zwischen zwei Stühlen zu sitzen“ oder wie es Natascha R. ausdrückt: „Ich bin schon zerrissen oder gespalten....ich bin Deutsche, habe deutsche Eigenschaften, auf die ich auch stolz bin, weiß aber, dass ich wohl kaum mehr in der Lage sein werde, nochmals in Deutschland leben zu können oder mich dort integrieren zu können...mein Herz ist hier und irgendwie fühl ich mich auch teilweise als "Mexikanerin", weiß aber, dass ich es nie ganz sein werde oder sein kann. Das zwuselt mich manchmal ganz schön....man fühlt sich so als "Wanderer zwischen den Welten".

Aber längst nicht bei Allen äußert sich das Heimweh in einer Identitätskrise, oft geht es um die ganz einfachen Dinge: Fast alle deutschen Expats haben hin und wieder Heißhunger auf deutsches Essen. Allerdings gibt es inzwischen nahezu alle deutschen Lebensmittel oder die Zutaten dafür in Mexiko zu kaufen, niemand muss mehr wochen- oder monatelang an unbefriedigten Lebensmittel-Gelüsten leiden wie früher.

Selbst zu kochen ist der Tipp von Vielen, oder auch, deutsche Traditionen zuhause in Mexiko weiterleben zu lassen. Auch andere Tipps gegen das Heimweh lassen sich schnell in die Tat umsetzen: Deutsche Musik hören, mit den Lieben daheim kommunizieren oder ganz einfach: Ans kalte Winterwetter in Deutschland denken. Kälte, Schneematsch, Dunkelheit und Nebel verjagen schnell die wehmütigen Gedanken.

In der Umfrage zeigte sich außerdem, dass sich bei den meisten Befragten die Heimweh-Momente auf Vergangenes, auf Kindheitserinnerungen, auf schon nicht mehr Existierendes beziehen. Entsprechend äußert sich Kathrin S.: „Heimweh ist es nicht mehr, denn das was man (ich) hinter mir gelassen habe, hat sich auch verändert.“ So ist Heimweh also auch die Sehnsucht nach etwas, dass es nicht mehr gibt, und vielleicht sogar nie gegeben hat.

Zuerst erschienen am 16. November 2016

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